Krank durch Terror
17. Oktober 2012Pakistanische Gesundheitsexperten gehen davon aus, dass knapp die Hälfte aller Menschen im Land an psychischen Erkrankungen leiden. Depressionen, Zukunftsängste und psychischer Stress seien die direkte Folge der unsicheren Zustände in dem südasiatischen Staat. Dadurch sei auch die pakistanische Gesellschaft insgesamt in den vergangenen Jahren immer intoleranter und gewalttätiger geworden, erklärt Imran Murtaza, ein Gesundheitsexperte an der Fountain-House-Klinik in Lahore. "Viele Menschen haben Zukunftsängste. Die anhaltenden Aufstände, die Gesetzlosigkeit auf der Straße, die vielen Selbstmordattentate machen den Pakistanern das Leben schwer. Und die Preissteigerungen sowie die hohe Arbeitslosigkeit machen das Ganze noch schlimmer."
Die Wirtschaft des Landes hängt am Tropf von IWF und Weltbank. Inflation und Arbeitslosigkeit sind auf Rekordniveau. Vor allem junge Pakistaner treffen scharenweise Vorbereitungen, das Land zu verlassen, um im Ausland ihr Glück zu suchen.
Schlimmste Krise in der Geschichte des Landes
Politische Kommentatoren glauben, Pakistan durchlebe gerade die schlimmste Existenzkrise seiner 65-jährigen Geschichte, da es gleichzeitig vom Aufstand der Taliban in der Provinz Khyper-Pakthunkhwa und der Separatistenbewegung in Balutschistan erschüttert wird. Entwicklungen, die sich auch auf den Seelenzustand der Menschen auswirken können. So macht Naeem Siddiqui vom Aga-Khan-Hospital in Lahore vor allem den Anstieg terroristischer Aktivitäten im Land für den Zuwachs psychischer Erkrankungen verantwortlich. "Auf der einen Seite werden die Menschen immer gewalttätiger und unsicherer", erzählt der Arzt im Gespräch mit der DW, "und auf der anderen Seite werden sie immer gleichgültiger. Wenn eine Bombe in ihrer Stadt explodiert, fragen sie schon gar nicht mehr, wie es passiert ist oder wie viele Opfer es gab, sondern nur, welche Straßen jetzt schon wieder gesperrt sind."
Siddiqui fügt hinzu, dass ernste psychische Probleme und Angstzustände vor allem die Frauen in Pakistan betreffen. "In der westlichen Welt bedeutet Heiraten eine gewisse Stabilität, in Pakistan ist es genau umgekehrt. Die Mehrheit der psychisch Erkrankten sind verheiratete Frauen. Sie sind unglücklich in ihrer Ehe und werden von ihren Ehemännern und deren Familien schlecht behandelt." Das "System Familie", das eigentlich Rückhalt und Sicherheit bieten sollte, breche unter dem Eindruck der sich verschlechternden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lage und vor dem Hintergrund eines generellen "Klimas der Angst" immer öfter zusammen.
Wenig Hilfsangebote und wenig Nachfrage
Siddiqui kritisierte auch die Regierung, weil sie den psychischen Erkrankungen in der Bevölkerung nicht genügend Beachtung schenke: “Für 170 Millionen Pakistaner gibt es gerade einmal 450 ausgebildete Therapeuten.“ Und auch Menschen selbst nähmen seelische Erkrankungen oft nicht ernst: Sie gingen lieber zu Geistlichen oder okkulten Praktikern als Rat bei professionellen Psychotherapeuten zu suchen.