Prozess um den Tod des "Bankiers Gottes"
6. Oktober 2005Eines der dunkelsten Kapitel der italienischen Kriminalgeschichte soll ans Licht gebracht werden: Vor einem Hochsicherheitsgericht in Rom müssen sich seit Donnerstag (6.10.2005) fünf Männer für den Tod des italienischen Bankiers Roberto Calvi im Jahr 1982 verantworten. Calvi war Präsident des Geldinstituts Banco Ambrosiano und wurde wegen seiner engen Beziehungen zum Vatikan als "Bankier Gottes" bezeichnet. Er wurde im Juni 1982 erhängt unter einer Themse-Brücke in London aufgefunden, die Taschen seines Anzugs waren mit Steinen und Banknoten voll gestopft. Zunächst stocherten die Fahnder im Nebel, immer wieder gab es Zweifel an der Selbstmordthese, erst eine Exhumierung der Leiche brachte dann neue Ermittlungen ins Rollen.
1,3 Milliarden Dollar verschwanden
Calvis Tod kam zu einer Zeit, als seine Bank zusammenbrach, weil 1,3 Milliarden Dollar verschwunden waren, die als Kredite an nicht existierende Firmen in Lateinamerika ausgegeben worden waren. Es war der größte Bankenskandal in der italienischen Nachkriegsgeschichte. Calvi verfügte über gute Beziehungen zur Vatikanbank und dessen früherem Leiter, dem amerikanischen Erzbischof Paul Marcinkus.
Unter den fünf Angeklagten ist auch Giuseppe "Pippo" Calo, der nach Ansicht der Staatsanwaltschaft den Mordauftrag gab. Calo, der als der "Kassierer" der Mafia galt, wurde schon vor mehreren Jahren in einem anderen Verfahren verurteilt. Weiter angeklagt sind die Geschäftsmänner Ernesto Diotallevi und Flavio Carboni, dessen österreichische Exfreundin Manuela Kleinszig, und Calvis Fahrer und Leibwächter, Silvano Vittor. Neben Carboni ist Vittor vermutlich die letzte Person, die Calvi lebend gesehen hat.
Geldwäsche für die Mafia?
Carboni war am Donnerstag als einziger der Angeklagten auch im Gericht anwesend; der "Mafia- Kassierer" Calo war per Video aus seiner Gefängniszelle zugeschaltet. Mit Ausnahme von Vittor wurden alle Angeklagten schon im April beschuldigt, Vittor erst in der vergangenen Woche. Sein Anwalt hatte deshalb auch eine Vertagung des Prozesses beantragt. Laut Staatsanwaltschaft sollen Carboni und Vittor nach London gekommen sein, um Calvi seinen Mördern auszuliefern.
Die Anwälte der Beschuldigten weisen die Vorwürfe zurück. Sie erklärten, es gebe keine Beweise dafür, dass es sich beim Tod Calvis um Mord gehandelt habe. Dagegen deute alles auf Selbstmord hin. Die Anklage beruhe nur auf den Aussagen ehemaliger Mafia-Mitglieder, deren Glaubwürdigkeit zweifelhaft sei, sagte Corrado Oliviero, ein Anwalt von Calo. Der Prozess wurde am Donnerstag kurz nach Beginn erst einmal vertagt. Auf alle Fälle steht ein Mammutverfahren an, 117 Zeugen sind geladen, zwei Jahre Prozessdauer sind geplant.
Sollte Calvi zum Schweigen gebracht werden?
Als Hintergrund des Verbrechens vermutet die Staatsanwaltschaft Geldwäscheaktivitäten der Mafia. Immer wieder war von düsteren Machenschaften der berüchtigten Geheimloge P2 samt Verstrickungen von Politik und Kirche die Rede. "Wenn mir etwas zustößt, muss der Papst zurücktreten", soll Calvi kurz vor seinem Tod gesagt haben.
Die Justiz vermutet, Calvi habe zu viel von schmutzigen Geschäften der Banco Ambrosiano und der Vatikanbank IOR (Istituto per le Opere di Religione) gewusst. "Calvi sollte für immer der Mund geschlossen werden, weil er alle Geheimnisse der Geldwäsche der Mafia durch die Banco Ambrosiano und die Vatikanbank kannte", berichtete die römische Zeitung "La Repubblica" vor einiger Zeit. Die Mafia habe damals befürchtet, der wegen der Bankpleite bereits schwer in Bedrängnis geratene Calvi könnte "plaudern". Auch das Geldinstitut des Vatikans soll damals am Rand des Ruins gestanden haben. Als pikantes Detail galt seinerzeit auch der Name der Themsebrücke, unter der man die Leiche fand: Blackfriars Bridge, "Brücke der schwarzen Klosterbrüder". (stu)