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Politik

Das beredte Schweigen des Salah Abdeslam

Catherine Martens
6. Februar 2018

Der Prozess gegen den mutmaßlichen Drahtzieher der Attentate von Paris und Brüssel beginnt mit einer Überraschung: Abdeslam schweigt nicht. Was er sagt, erzürnt einen Opferanwalt und gefällt seinem Verteidiger nicht.

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Belgien Prozess Salah Abdeslam in Brüssel
Bild: Reuters/E. Dunand

"Schweigen ist meine Verteidigung. Das macht mich weder zum Schuldigen, noch zum Kriminellen." Es ist genau 11 Uhr als Salah Abdeslam, 28, seine Worte wohlüberlegt vorbringt. Zwei Stunden läuft zu diesem Zeitpunkt bereits die erste gerichtliche Anhörung im Brüsseler Justizpalast. Abdeslam spricht mit klarer Stimmen ohne Zögern. 

Sofien Ayari, 24, auch er auf der Anklagebank, wirkt dagegen unsicher. Er antwortet mal auf Französisch, mal auf Arabisch, den Blick fest auf seinen Übersetzer gerichtet. Oft lässt er Fragen der Richterin mit einem vagen " weiß ich nicht mehr" ins Leere laufen. Einige Informationen gibt er dennoch preis.

Mitläufer oder Drahtzieher?

Der Tunesier bestätigt, ein Jahr beim sogenannten Islamischen Staat (IS) in Syrien gewesen zu sein. Er räumt auch ein, dass er und Abdeslam sich wochenlang zusammen versteckt gehalten hätten, unter anderem auch in jener Wohnung Rue du Dries 6, im südwestlichen Stadtteil von Brüssel, in Forêst. Jenes Versteck, das ihnen schließlich zum Verhängnis wurde und der belgischen Polizei zu einem Fahndungserfolg verhelfen sollte: Abdeslam war vor seiner Festnahme einer der meistgesuchten Männer Europas. Er soll eine zentrale Figur im IS-Terrornetzwerk von Paris und Brüssel gewesen sein.

Er werde schweigen, keine Fragen beantworten, hieß es vor Sitzungsbeginn. Er redet, ist die erste unerwartete Wendung beim weltweit beachteten Prozessauftakt. Der Aufwand dafür ist enorm, das Interesse der Medien riesig. Hunderte Journalisten sind angereist - zum ersten öffentliche Auftritt des einzig überlebenden mutmaßlichen Attentäters der Pariser Anschläge vom 13. November 2015. Der kleine Sitzungssaal im Erdgeschoss ist bis auf den letzten Stuhl besetzt. Stapelbare Hartschalensitze erweitern provisorisch die Gerichtsbänke.

Terroranschläge nicht Gegenstand der Anklage

Bereits in den frühen Morgenstunden war Abdeslam in einem Sicherheitskonvoi aus Nordfrankreich nach Brüssel gefahren worden. Seit seiner Festnahme am 15. März 2016 im Brüsseler Stadtteil Molenbeek sitzt er in Isolationshaft im nordfranzösischen Hochsicherheitsgefängnis Fleury-Mérogis.

Auf die Frage der Richterin, warum er anwesend sei, antwortet Abdeslam knapp: "Weil ich vorgeladen wurde, deshalb". Vorgeladen in einem Prozess, der symbolträchtiger Auftakt ist, und dennoch nur Nebenschauplatz bleiben wird angesichts der Gräueltaten, die sich am 13. November 2015  in Paris und am 22. März 2016 in Brüssel ereigneten.

In der belgischen Hauptstadt muss sich der mutmaßliche IS-Terrorist nun vor Gericht verantworten für eine Schießerei in jener Wohnung im Brüsseler Stadtteil Forêst zwischen ihm, Ayari und der belgischen Polizei; nach den Pariser Anschlägen und unmittelbar vor den Brüsseler Attentaten. Was genau hat sich abgespielt, an jenem Abend, in der Rue du Dries, Hausnummer 6, dem letzten Versteck der IS-Sympathisanten?

Staatsanwaltschaft fordert 20 Jahre Haft

Versuchter Mord, illegaler Waffenbesitz, terroristische Absicht sind die Anklagepunkte in dem Blitz-Prozess, im dem bereits Ende der Woche alle Parteien zu Wort gekommen sein sollen. Dann hat das Gericht einen Monat Zeit, um ein Urteil zu fällen. Die Brüsseler Staatsanwaltschaft fordert 20 Jahre, Höchststrafe. Laut Staatsanwältin Kathleen Grosjardin ist die Beweislage gegen die Angeklagten Ayari und Abdeslam erdrückend.

"Sie sind geblieben. Sie wussten sehr wohl, dass da draußen die Polizei steht. Statt zu fliehen, entsicherten Sie die Waffen, um zurückzuschlagen." Die Staatsanwaltschaft könne daher davon ausgehen, dass sowohl Abdeslam als auch Ayari in klarer Absicht zu töten handelten. Zudem, führt die Staatsanwältin aus, seien die benutzten Waffen keine automatischen gewesen, somit sei jeder Schuss eine bewusste Entscheidung zu töten gewesen.  

Auch der Besitz einer großen Anzahl von Waffen könne beiden zweifelsfrei nachgewiesen werden. Auf den gefundenen Kalashnikovs im Brüsseler Versteck Forêst lasse sich die DNA beider Vorgeladenen eindeutig zuordnen. Die Staatsanwaltschaft hält ihre Beweisführung gegen die beiden Angeklagten für wasserdicht: Beide hätten sich zum IS bekannt. Beide hätten gemeinsam bewusst die Konfrontation mit der Polizei gesucht. Beide seien Tatbeteiligte, egal wer genau geschossen habe. Angebracht sei die Höchststrafe von 20 Jahren, davon mindestens 13 Jahre im geschlossenen Vollzug.

Abdeslam wird politisch

"Ich habe keine Angst vor Ihnen. Sie können mit mir machen was Sie wollen. Ich vertraue Allah." Abdeslam spricht ohne zu sprechen. Er beantwortet keine einzige Sachfrage; wer besorgte die Waffen, wer kümmerte sich um die gefälschten Ausweise, stand ihm ein Laptop zu Verfügung, wer organisierte die unterschiedlichen Verstecke in Charleroi, in den Brüsseler Gemeinden Jette, Schaerbeek und Forêst?

Abdeslam lässt die Richterin abblitzen, nicht einmal erheben will er sich, "zu müde".  Aber wach genug, die Aufmerksamkeit zu nutzen, politisch zu werden: "Ich kann nur feststellen, Muslime genießen nicht gleiches Recht. Ganz zu schweigen von der Unschuldsvermutung, die gilt bei meinen muslimischen Schwestern und Brüdern nicht."

Maître Guillaume Lys, einer der Opfer-Anwälte, ist erbost darüber, "dass Salah Abdeslam sich hier eine Bühne verschaffe für politische Äußerungen und obendrein eine Opferhaltung einnehme". Dies sei schlicht "unzumutbar und unangemessen für jedes einzelne tatsächliche Opfer der Anschläge". 

Angehörige hoffen auf Antworten

Ein Stressmoment, so scheint es, auch für Abdeslams Anwalt Sven Mary. Ein wortgewandter Abdeslam passt nicht in sein Verteidigungskonzept, so der Ex-Geheimdienstagent Claude Moniquet. Die Strategie Marys sei, so Moniquet, seinen Mandanten als sprichwörtlich "zu dumm zu verkaufen". Zu einfältig, zu naiv, um selbst Drahtzieher zu sein.

Ganz grundsätzlich wird es dann noch am Ende des ersten Tages. Ob die Angeklagten Anschläge auf europäischem Boden gut heißen würden? Er sei zwar nicht "in allen Punkten einverstanden" mit dem IS, so Ayari, doch "meistens gebe es eine Erklärung". Salah Abdeslam scheint genug gesprochen zu haben und schweigt.

Bitter für die Angehörigen. Auf Abdeslams Auftritt vor Gericht hatte Jean-Francois Mondeguer zwei Jahre gewartet. Zwei Jahre ohne Schlaf, seine Tochter lebt nur noch in seinen Erinnerungen. "Sie war bezaubernd. Sie liebte Paris" erzählt er, ein Foto von ihr in der Hand. Sie wurde nur 30 Jahre alt. Erschossen auf der Terrasse des Cafés "Belle Equipe" im Herzen von Paris. "Ich werde jeden Tag hier herkommen. Ich muss jedes Detail wissen, warum sie sterben musste."