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Presseschau: "Käßmanns Rücktritt ist eine Flucht nach vorn"

24. Februar 2010

Die deutschen Zeitungen beschäftigen sich mit dem Fall Margot Käßmann, die betrunken am Steuer ihres Dienstautos erwischt wurde - und danach Rücktritt erklärte.

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Deutsche Presse (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DIE WELT schreibt:

"Es ist ein Unterschied, ob irgendein Bürger oder die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland mit 1,54 Promille Alkohol am Steuer erwischt wird. Bischöfin Margot Käßmann hat sich wie eine Privatperson verhalten, obwohl sie das nicht darf. Mit diesem Verhalten schadet sie ihrem Amt".

FRANKFURTER RUNDSCHAU vertritt die gleiche Ansicht:

"Für die Kirche ist ihr Abgang ein schwerer Schlag: Sie verliert ihr bedeutendstes Sprachrohr und erleidet einen schweren Glaubwürdigkeitsverlust. Käßmanns Nachfolger wird in ihre Fußstapfen erst hineinwachsen müssen. (…) Mit ihrem Rücktritt beweist sie allerdings persönlich Stärke und bewahrt sich und die Kirche vor einer kräftezehrenden Debatte darüber, wie viel sich ein Kirchenmensch als Vertreter hoher moralischer Instanz an Fehltritten erlauben kann".

DER STERN findet:

"Zu offensichtlich ist eine Grenze überschritten, wenn ein Erwachsener sich mit 1,54 Promille Alkohol im Blut ans Steuer setzt. Natürlich darf sie das nicht! Es ist eine Affäre: Wo gibt's denn so etwas: Eine Bischöfin, eine EKD-Ratsvorsitzende gar, Vertreterin von 26 Millionen Protestanten im Lande, die wie eine x-beliebige betrunken Auto fährt, die über eine rote Ampel braust".

Im FOCUS heißt es:

"Kritisierte sie doch selbst 2007 in einer Publikation des TÜV Nord „mangelndes Verantwortungsbewusstsein“ von Fahrern, „insbesondere wenn Alkohol und Drogen im Spiel sind“. Käßmann erwies sich also in ihrer eigenen Terminologie als verantwortungslos sich selbst und ihren Mitmenschen gegenüber. Es ist ein Skandal, der die Biographie der Bischöfin nachhaltig verändern wird. Man kann sein Scheitern auch selbst provozieren".

So schreibt die BERLINER ZEITUNG:

"Die EKD-Ratspräsidentin Margot Käßmann hat natürlich einen schweren Fehler begangen. … Aber Vorbild ist eben kein Synonym für Tugendbold und für perfektes Leben, in dem Schwächen so wenig Platz haben wie Pfefferkörner in der Sahnetorte. Ein Vorbild, das keine Fehler machen darf, ist kein Vorbild, sondern ein verlogenes Klischee, ein Hirngespinst doppelmoralischer Anstalten, früher der Kirchen, heute der Medien".

WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG stellt fest:

"Man möchte es so gerne eine menschliche Tragödie nennen. Doch damit entließe man die Bischöfin zu leicht aus der Verantwortung für ihr Handeln. Denn das war verantwortungslos. Über 1,5 Promille im Blut, das ist nicht nur das eine Gläschen über den Durst. … Als moralische Instanz, die Margot Käßmann gerade auch in gesellschaftlichen und politischen Fragen sein will und muss, hat sie an Glaubwürdigkeit verloren".

Abschließend kommentiert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.

"Der Proteststurm hat die Bischöfin sichtlich überrascht. Aber sie hat daraus gelernt - und deshalb wohl schnell begriffen, dass sie ihre Glaubwürdigkeit und ihre Vorbildfunktion nur retten kann, wenn sie die Konsequenzen aus ihrem Fehler zieht. Wie ein Damoklesschwert hätte dieser verhängnisvolle Samstagabend sonst über ihrem Amt gehangen. Ihr Rücktritt ist eine Flucht nach vorn".

Zusammengestellt von Natalia Karbasova
Redaktion: Oliver Samson