Presseschau: "Die Religion ist nur ein Vorwand"
6. Februar 2006"De Morgen" (Brüssel): Besseres Verständnis nötig
"Haben in den 1930-er Jahren viele Menschen über die Meinungsfreiheit schwadroniert, als in den Medien Karikaturen geldgieriger Juden erschienen? Wer hat die Stimme erhoben, um zu sagen, dass der 'Spaß vorbei' sei, als im Ruanda der 90er Jahre auf Radio Mille Colines 'Witze' über die Tutsis gemacht wurden? Wie absolut ist die Freiheit der Meinungsäußerung? Kontext ist alles. (...) Lasst uns darüber zumindest gründlich nachdenken. Und vor allem sämtliche bestehenden Brücken benutzen, die in unserem Land zur Muslimgemeinschaft bestehen - und es sind derer noch viel zu wenig -, um wirklich zu einem besseren Verständnis zu kommen."
"Jyllands-Posten" (Arhus): Aufruhr nicht von Karikaturen verursacht
"Niemand hätte sich in seinen wildesten Fantasien ausmalen können, dass die Angriffe auf die Veröffentlichungen der Mohammed-Zeichnungen in dieser Zeitung in eine Überreaktion münden würden, die zu Volksaufständen führt und gewisse Regimes bedroht. (...) Die Ursache für die gewaltsame Entwicklung in der Region liegt deshalb auch ganz woanders. Es hat schon lange in den Ländern gebrodelt, die keine oder nur eine schwache Haltung gegenüber dem Vormarsch religiöser Fundamentalisten gefunden haben."
"Daily Telegraph" (London): Demonstranten ermuntern zum Morden
"Britische Staatsbürger marschieren durch die Straßen der Hauptstadt und rufen dazu auf, Mitbürger zu 'enthaupten', zu 'massakrieren' und 'auszulöschen'. Ein zweijähriges Mädchen, das in diesem Land geboren wurde, hat eine Kopfbinde um mit der Aufschrift 'Ich liebe El Kaida'. Demonstranten rufen nach einem 'echten Holocaust' mit der schrecklichen Andeutung, die bei allen Holocaust-Dementierern zu vernehmen ist: Dass der Genozid niemals stattgefunden habe, jedoch besser stattgefunden haben sollte. Es gab eine Zeit, da hätte man all dies als leere Rhetorik abgetan. Doch in den letzten fünf Jahren ist eine solche Unschuld zerstört worden. (...) Wenn diese islamistischen Demonstranten sich wie Selbstmordattentäter kleiden und die 'herrlichen' Angriffe des 11. September bejubeln, dann sind sie nicht harmlose Tagträumer, sondern sie ermuntern zum Morden."
"The Guardian" (London): Reale Drohungen
Die islamischen Fanatiker dürften sich längerfristig selbst geschadet haben, indem sie in der Öffentlichkeit so viel über sich offenbart und damit wertvolle geheimdienstliche Erkenntnisse an die Polizei und die Sicherheitsdienste geliefert haben. Doch es genügt nicht, sich auf die Schulter zu klopfen und zu versichern, wie schwierig alles ist. (...) Diese Drohungen sind real und ernst und wenn die Regierung ihre Köpfe in den Sand steckt, wird sie verlieren. Die konservativen Abgeordneten David Davis und Dominic Grieve hatten Recht, als sie sich am Wochenende für Strafverfolgung aussprachen. Es war auch ermutigend, dass moderate muslimische Führer öffentlich auftraten. Doch viel mehr davon wird für eine effektive Strategie gegen die Fürsprecher der Gewalt gebraucht.
Gazeta Wyborcza (Warschau): Meinungsfreiheit schützen, nicht verdammen
"Um zu zeigen, worum der Streit geht, und als Geste der Solidarität mit den Dänen, haben einige westliche Zeitungen die Karikaturen nachgedruckt, am Samstag auch die (polnische) 'Rzeczpospolita'. Die Regierung kritisierte sie dafür scharf und meint, dass die Zeichnungen die Gefühle der Moslems verletzen und die Grenzen der Meinungsfreiheit überschreiten. Das ist ein Missverständnis. Meinungsfreiheit lässt sich nicht verbieten, weil sich eine Gruppe betroffen fühlt. ... Die Worte des Außenministers, der die Moslems um Vergebung bat, gehen zu weit. Vor allem, da er nicht gleichzeitig die Akte der Gewalt (gegen dänische Botschaften) verurteilte. Es ist nicht gut, wenn der Dialog mit dem Islam über den Nachdruck verletzender Zeichnungen geführt wird. Aber es ist noch schlimmer Erpressung nachzugeben und Fanatiker mit Drohungen festlegen lassen, was in freien Medien erscheinen darf."
"Le Figaro" (Paris): Keine Kapitulation vor der Erpressung
"Die Religion ist in dieser ideologischen Schlacht nur ein Vorwand: Mehr noch als den Rat des Propheten befolgen die radikalislamischen Ideologen den Rat von Clausewitz, Lenin, Hitler und Mao. Bundeskanzlerin Angela Merkel scheint das am Freitagabend in München begriffen zu haben. Die radikalen Islamisten wollen die liberalen Werte und eine Vorstellung von Glück zerstören, die auf die arabischen Eliten und die Muslime eine langsame, aber unwiderstehliche Anziehungskraft ausüben. Diesen Manipulierern folgen Fundamentalisten völkischer und identitärer Art, die ihren totalitären Traum verwirklichen wollen. Das ist der Grund, warum man fest bleiben muss. Wie kann man auf die Zukunft einer Demokratie setzen, die sich zwar den Menschenrechten verbunden erklärt, die aber jedes Mal kapituliert, wenn die Ausübung einer Freiheit von einer Minderheit bedroht wird, die Gewalt zur Erpressung einsetzt?"
"Kurier" (Wien): Moslems fühlen sich gedemütigt
"Viele, vor allem arme Moslems fühlen sich vom Schicksal maßlos gedemütigt. War ihnen nicht ein Siegeszug verheißen, nachdem ihr Prophet die letzte und damit nach ihrer Auffassung letztgültige Offenbarung erhalten hatte? Im Gegensatz dazu erlebte der Nahe Osten in den letzten Jahrhunderten einen ständigen Triumph des Westens, mit schweren Niederlagen und demütigendem Kolonialismus - wegen der Überlegenheit der Aufklärung. Dass der damit verbundenen Trennung von Religion und Staat in Europa endlose innere Kriege vorangegangen sind, ist nur wenigen bewusst. Nun könnte die Chance einer Revanche auftauchen. Zittert er nicht schon, der bisher übermächtige Gegner? Der Erdölreichtum und der Terror scheinen es möglich zu machen. Dazu fühlen sich Moslems dem Westen religiös überlegen: Sie beobachten dort die Erscheinungen des 'anything goes', der Spaßkultur. Das halten sie für einen dekadenten Sittenverfall bis hin zur gottlosen Banalisierung. Da scheint ihnen die Bewahrung ihrer Identität wichtiger zu sein."