"Clinton hat Geschichte geschrieben"
8. Juni 2016"Die größte Macht der Welt ist der Möglichkeit, zum ersten Mal in ihrer Geschichte eine Frau als Regierungschef zu haben, ein gutes Stück nähergerückt", kommentiert die spanische Zeitung "El Mundo" aus Madrid den Sieg Hillary Clintons bei den Vorwahlen. Ihre wahrscheinliche Kandidatur für die Demokratische Partei sei "ein Meilenstein im langen Kampf um Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen".
Nun müsse aber ein Schlussstrich unter den internen Kampf der Demokraten gezogen werden. Die Partei sei gezwungen, "alle Kräfte zu vereinen, um den gemeinsamen Rivalen Donald Trump zu bekämpfen, der laut Umfragen noch alle Siegeschancen hat. Wenn Hillary sich weiter mit (Vorwahlkampf-Gegner Bernie) Sanders streitet und nicht ab sofort Trump bekämpft, wird dieser in den Umfragen weiter unaufhörlich steigen."
Die Londoner "Times" erinnert daran, dass Clinton "hart gekämpft" habe. So habe sie 2008 Barack Obama in den Vorwahlen zwar knapp bei den direkten Stimmen geschlagen, bei den Delegiertenstimmen dann aber verloren. Der Skandal um ihre Verwendung einer privaten E-Mail-Adresse für offizielle Angelegenheiten als Außenministerin sei noch nicht endgültig vorüber. Und ihr Sieg über Sanders sei weit knapper, als viele das erwartet hätten. "Dennoch kann ihre Hartnäckigkeit und Unermüdlichkeit nur bewundert werden. Clinton hat bereits Geschichte geschrieben", meint die Londoner Zeitung.
Die Mailänder Zeitung "Corriere della Sera" äußert sich verhalten: "Es hätte ein Triumph sein können, stattdessen ist es nur ein halber Sieg." Clinton sei zwar wahrscheinlich die erste Frau in 240 Jahren amerikanischer Geschichte, die die Nominierung für das Weiße Haus geschafft hat. "Ein historischer Moment, eine große Revanche. Aber das Klima ist düster: Clinton hat sich in einem demokratischen Umfeld durchgesetzt, dass noch nie so gespalten war." Es sei unwahrscheinlich, dass sich ein "radikaler Kandidat" wie Sanders jetzt mäßige und Clinton seine Unterstützung zusage.
Auf den politischen Kurs der USA schaut die schwedische Boulevardzeitung "Aftonbladet": "In unserer Besessenheit mit dem verrückten Donald Trump haben wir eine andere große Erzählung der USA vergessen: die, dass das Land langsam nach links driftet. (...) Es ist keine kleine Sache, dass die Demokraten in den USA heute mit einer Politik in den Wahlkampf ziehen, die weiter links angesiedelt ist als in Jahrzehnten."
Die französische Regionalzeitung "La Montagne" blickt auf die Schwächen Clintons. "Die frühere First Lady hat viele Handicaps, sie gilt als kaltherzig, berechnend, ehrgeizig und zynisch. Sie symbolisiert das politische 'Establishment', das die amerikanische Unterklasse nie gemocht hat." Natürlich gebe es in diesem "Unterklassen-Amerika" neben den Nichtwählern die große Zahl der Latinos, Schwarzen und Asiaten, von denen viele für die "Kandidatin der Minderheiten", also Clinton, stimmen würden. "Aber es gibt auch ein anderes Amerika, das der Weißen der Unter- oder Mittelschicht, mit Angst vor Armut und sozialem Abstieg. Deren Held heißt Trump."
Die "Neue Osnabrücker Zeitung" richtet ihr Augenmerk auf das nun anstehende Duell zwischen Clinton und Trump. "Es könnte einer der spannendsten, gleichzeitig aber auch einer der hässlichsten Wahlkämpfe in der amerikanischen Geschichte werden." Die jüngsten persönlichen Attacken der Demokratin gegen den republikanischen Kontrahenten zeigten: "Clinton ist nervös." Dazu habe sie auch allen Grund, da sie nicht mehr Favoritin, sondern auf Augenhöhe mit Trump sei. "Clinton muss sich jetzt entscheiden, ob sie mit Populismus oder mit Inhalten punkten möchte", meint die "Neue Osnabrücker Zeitung".
Auf die Kritik an Clinton geht die "Berliner Zeitung" ein. Der Ex-Außenministerin werde ihre jahrzehntelange Arbeit als Politikerin in der Washingtoner "Regierungs- und Parlamentsblase" zum Vorwurf gemacht, "so als sei schon ihre Erfahrung der Grund für die Misere des Landes". "Der Begriff Establishment dient derzeit nur noch als Schimpfwort. Er bringt den Blutdruck zumindest jener Amerikaner in gesundheitsgefährdende Höhen, die ihren Hass auf Washington als Ausdruck eines besonderen Freiheitswillens kaschieren und dabei in Kauf nehmen, dass das Land immer mehr auseinanderbricht", warnt die "Berliner Zeitung".
wo/ag (dpa/afp)