Neues EU-Gesetz soll Journalisten schützen
16. September 2022Die EU-Kommissarin für "Werte und Transparenz" hat an diesem Freitag ein lange angekündigtes Gesetz zur Freiheit der Medien in der EU vorgestellt. Obwohl in der Menschenrechts-Charta der EU und den Verfassungen der 27 Mitgliedsländer die Freiheit der Presse eigentlich garantiert wird, ist Vera Jourova der Ansicht, dass Journalistinnen und Journalisten mehr Schutz vor Einflussnahme, Bedrohung und Gewalt brauchen. "Wir wollen damit nicht funktionierende Systeme in den Mitgliedstaaten zerstören", sagte sie in Brüssel.
Verglichen mit anderen Regionen der Welt ist die Lage der Medien in Europa nach Angaben der Organisation Reporter ohne Grenzen nicht schlecht. Ausnahmen bilden Belarus, Russland und die Türkei. In weiten Teilen Asiens, Afrikas und Teilen Lateinamerikas ist die Situation ungleich schwieriger. Besser als in Europa ist die Situation in Nordamerika und Australien sowie in Südafrika.
Warum ist ein europäisches Gesetz für freie Medien nötig?
Nach Beobachtungen der EU-Kommission und auch von Reporter ohne Grenzen haben in den vergangenen Jahren Gewalt und Mobbing gegen Journalisten jedoch in vielen Teilen der EU zugenommen. Die Medienkonzentration schreitet fort und in machen Mitgliedsstaaten, zum Beispiel in Ungarn, Polen und Griechenland greifen die Regierungen massiv in die Besitzverhältnisse im Mediensektor ein oder versuchen die Berichterstattung regierungsfreundlich auszurichten.
Auch in Deutschland, so Reporter ohne Grenzen in seinem Jahresbericht, haben Angriffe auf Medienleute bei Demonstrationen von Impfgegnern oder rechtsgerichteten Gruppierungen zugenommen, ebenso Verunglimpfungen unter dem Stichwort "Lügenpresse". Deutschland ist in der Rangliste von Reporter ohne Grenzen deshalb von "Gut" nach "Zufriedenstellend" abgerutscht. Auch die nachlassende Vielfalt bei Tageszeitungen spielt eine Rolle. EU-Kommissarin Jourova meint nun, dass Problem müsse durch europäische Vorschriften angegangen werden, weil sich die Regierungen der Mitgliedsstaaten zu wenig kümmerten.
Was will die EU-Kommission mit dem neuen Gesetz ändern?
"Es enthält viele Dinge, die Staaten nicht mögen werden, weil unter anderem das Gesetz darauf zielt, die größtmögliche Distanz zwischen Politik und Medien zu schaffen", sagte EU-Kommissarin Jourova in einem Interview mit dem öffentlich-rechtlichen tschechischen Sender Radio Prag International. Im ersten Paragraphen ihres Gesetzesentwurfes werde festgelegt, dass der Staat die Inhalte eines Mediums nicht beeinflussen dürfe. "Das heißt, wenn öffentliche Gelder in die Medien fließen, ob von der EU, Regierungen oder Regionen, muss das transparent sein und auf nichtdiskriminierende Weise geschehen", sagte Jourova.
Personalentscheidungen in den Medien sollten transparenter werden. Die Besitzverhältnisse in privaten Medienhäusern sollten offengelegt werden, um Monopole zu vermeiden. Die stabile Finanzierung von Zeitungen, Rundfunk und Nachrichtenagenturen solle sichergestellt werden. So lauten weitere Forderungen aus dem Gesetz, das vor allem durch wirtschaftliche Vorschriften für den EU-Binnenmarkt wirken soll.
Warum war Ungarn ein negatives Beispiel beim Entwurf des Gesetzes?
Die Lage der Medien in Ungarn unter der rechtsnationalen Fidesz-Regierung von Premier Viktor Orban hat in Brüssel die Alarmglocken läuten lassen. "Das war eine große Inspiration für uns", sagten EU-Beamte, die an dem Gesetzentwurf geschrieben haben. In Ungarn haben Orban-treue Unternehmer die wesentlichen Medienhäuser aufgekauft und einer Stiftung namens KESMA geschenkt, die wiederum vom Staat gelenkt wird.
Dieses Modell hat zu einer "Gleichschaltung" der Zeitungen und Online-Portale geführt. Den öffentlichen Rundfunk hatte Orban schon zuvor unter seine Kontrolle gebracht. Die EU-Kommission befürchtet, dass in Ungarn "Nachrichten-Wüsten" entstehen, also Landkreise und Städte, in denen überhaupt keine regierungsunabhängigen Medien mehr verfügbar sind.
Ähnliche Probleme gibt es in Polen. Und in Griechenland hat die konservative Regierung den öffentlich-rechtlichen Rundfunk per Dekret unter ihre Kontrolle gebracht. In der Rangliste der Pressefreiheit rangiert das Land deshalb auf Rang 108 von 180 untersuchten Staaten. Ungarn liegt auf Platz 85. Zum Vergleich: Deutschland liegt auf Platz 16 und Norwegen auf Platz 1.
Was wird sonst noch in dem Mediengesetz geregelt?
Nach Morden an Journalisten in Frankreich, Malta, der Slowakei und den Niederlanden in den vergangenen Jahren sollen Journalisten besser vor Gewalt und Mobbing im realen Leben oder im Internet geschützt werden. Die Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaften soll verbessert werden.
Offensichtlich unbegründete Klagen, die eingereicht werden, um investigative Medien mundtot zu machen, sollen unterbunden werden. Bestimmte Abhörmethoden gegen Journalisten sollen verboten, ihre Quellen besser geschützt werden. Die EU soll regelmäßig über die Lage der Medien in den einzelnen Mitgliedsstaaten berichten und Beschwerden mittels Wettbewerbsrecht stärker nachgehen.
Was kann das Europäische Gesetz zur Freiheit der Medien bewirken?
Freie Medien sind für funktionierende Demokratien in der EU unerlässlich. Deshalb sei das Mediengesetz sehr wichtig, meint Katia Segers, Medienwissenschaftlerin an der Freien Universität Brüssel. Die Professorin war außerdem Chefin der Medienaufsichtsbehörde im Landesteil Flandern. Das Gesetz schaffe einen Rahmen, "um Aggressionen gegen Journalisten bestrafen zu können".
Genauso wichtig sei es, mit den neuen Vorschriften eine exakte Übersicht über Medienkonzentration und Besitzverhältnisse zu bekommen. Die Medienaufsichtsbehörden müssten unabhängig vom Staat sein, forderte Segers im Gespräch mit der DW. Das EU-Gesetz gehe da in eine gute Richtung. "Es ist sehr wichtig, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu stärken, weil wir aus unserer Forschung wissen, dass Staaten mit starken öffentlichen Sendern bessere Demokratien sind."
Außerdem setzten die öffentlich-rechtlichen Sender einen guten Standard, an dem sich Medien in Privatbesitz messen lassen müssten, meint sie.
Wann kommt das Gesetz?
Die EU-Mitgliedsstaaten müssen den neuen Regeln mit qualifizierter Mehrheit zustimmen. Auch das Europäische Parlament muss das Gesetz verabschieden. EU-Kommissarin Vera Jourova rechnet mit Widerstand vor allem in Mittel- und Südosteuropa, wo Medien stärkerem Druck durch Regierungen ausgesetzt sind als im Westen der EU. Das Gesetz soll vor den Europawahlen 2024 in Kraft treten, um eine faire und freie Berichterstattung im Wahlkampf zu gewährleisten.
Dieser Text wurde nach der Vorstellung des neuen Gesetzes am 16.09.2022 aktualisiert.