Alice Nkom in Berlin
18. März 2014Der Regen prasselt auf Alice Nkoms blauen Kopfschmuck, doch die 69-Jährige scheint die Tropfen nicht zu spüren. Reglos steht sie vor einem grauen Betonquader, der zum Gedenken an die während der Nazizeit ermordeten Homosexuellen aufgestellt worden ist. Das Denkmal am Eingang des Berliner Tiergartens wurde 2008 errichtet, Nkom wollte es unbedingt sehen. Durch eine Öffnung lugt sie ins Innere des Mahnmals: Ein Schwarz-Weiß-Film zeigt zwei Männer, die sich küssen. "Es ist sehr rührend für mich, so etwas an einem öffentlichen Platz zu erblicken", sagt Nkom. "In meiner Heimat wäre das nicht vorstellbar."
Anwältin für Schwule und Lesben
Nkom kommt aus Kamerun. Seit elf Jahren verteidigt die Rechtsanwältin Männer und Frauen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in Haft sitzen. Gleichgeschlechtliche Liebe ist in dem westafrikanischen Land eine Straftat. Wer bei einer "homosexuellen Handlung" erwischt wird, dem drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis. In Wahrheit genügt schon ein Verdacht, um Menschen anzuzeigen: ein falscher Gang, eine unkonventionelle Kleidung. Von Alice Nkom verteidigt zu werden, ist für viele dann die letzte Hoffnung, dem harten Urteil zu entgehen. Gemeinsam mit der Organisation "Association de défense des droits des homosexuelles au Cameroun" (ADEFHO, Vereinigung zur Verteidigung der Rechte von Homosexuellen in Kamerun), die sie gegründet hat, kämpft sie in Douala für die Gleichstellung von Schwulen und Lesben.
Ihr Engagement machte sie weltweit bekannt. Zur Verleihung des Menschenrechtspreises 2014 von Amnesty International Deutschland ist sie nach Berlin gekommen. Hier gibt sie Interviews und spricht mit Politikern. Ihren vollen Terminplan verwaltet Assistent Alexandre Marcel, der der resoluten Dame nicht von der Seite weicht. Und dennoch nimmt sie sich an diesem Sonntag drei Stunden frei: Sie will das "schwule Berlin" entdecken. Amnesty Intenational hat eine Tour im Fahrrad-Taxi organisiert, bei der die Aktivistin sehen kann, wie Homosexuelle in Deutschland leben.
Drohungen per SMS
Die Auszeichnung habe ihr Mut gemacht, sagt sie. "Ich bekomme dadurch eine Stimme, die überall Gehör erhält." Auch deshalb möchte sie ihre Arbeit fortsetzen – obwohl sie in Kamerun bedroht wird.
Die Anfeindungen begannen vor anderthalb Jahren, erzählt Nkom. "Früher musste ich mich nur gegen die Regierung wehren, die mir meine Anwaltslizenz entziehen wollte." Doch 2012 habe sich die Lage für Homosexuellen-Aktivisten in Kamerun verschärft. Der Journalist Eric Lembembe wurde tot in seiner Wohnung gefunden, sein Gesicht war von Brandmalen entstellt. Nkom wiederum erhielt Handy-Nachrichten und Mails, die sie aufforderten, keine Homosexuellen mehr zu verteidigen. Ansonsten würde ihre Familie sterben. Die Anwältin hat zwei Kinder und acht Enkel.
Besuch im "Schwulen Museum"
"Von solchen Drohungen lasse ich mich nicht einschüchtern", sagt Nkom und steigt ins Fahrrad-Taxi. Weiter geht die Tour, vorbei an Spree und Siegessäule bis zum "Schwulen Museum" – dem ersten Museum der Welt, das sich mit der Geschichte von Homosexuellen befasst. An den Wänden hängen Bilder von schwulen und lesbischen Künstlern, aber auch Fotografien von Demonstrationen gegen Diskriminierung in Deutschland. So etwa gegen den "Schwulen-Paragrafen" 175, der Homosexualität verbot und der vor 20 Jahren abgeschafft worden war.
"Deutschland ist einen weiten Weg gegangen – von den Konzentrationslagern der Nazis hin zur Freiheit für Homosexuelle", sagt Nkom nachdenklich. Das könne auch in Kamerun passieren. Doch dazu sei Druck aus dem Westen nötig. "Europa und die USA müssen die Regierung von Kamerun begleiten auf ihrer Mission, die Rechte von Homosexuellen anzuerkennen. Schließlich sind das grundlegende Menschenrechte." Nur so könne auch Kamerun eine moderne Gesellschaft werden.