Indiens Außenpolitik unter Modi
26. Mai 2014Indiens knapp 180 Millionen Muslime fürchten den Hindu-Nationalismus des designierten Ministerpräsidenten Indiens, Narendra Modi. Denn dieser gehört seit seiner Jugend zu der radikal-hinduistischen Kaderorganisation RSS, deren Ideologie auf extremen hindu-nationalistischen Prinzipien basiert. Viele erinnern sich zudem an das Jahr 2002, in dem Modi als Regierungschef von Gujarat untätig zuließ, dass bei anti-muslimischen Pogromen fast 1.000 Muslime getötet wurden.
Doch nun, wo der Chef der hindu-nationalistischen BJP – ausgestattet mit dem stärksten Regierungsmandat seit 30 Jahren – die Macht in Indien übernimmt, werde er nicht die hindu-nationalistische Karte ausspielen, glauben Experten. "Modi mag seine Karriere mit einer rechtsextremer Agenda begonnen haben, aber er muss und wird sich nun in Richtung politischer Mitte bewegen", sagt Sreeram Chaulia von der Jindal School of International Affairs in Delhi. Auch in der Außenpolitik müsse sich der neue Regierungschef gemäßigter präsentieren, meint C.S.R. Murthy, Politikwissenschaftler an der Jawaharlal Nehru Universität in Delhi. Denn Modi, der in der Öffentlichkeit nur Hindi spricht, habe kaum Erfahrung auf internationalem Parkett: "Er versteht noch zu wenig die außenpolitischen Nuancen, um Verhandlungen zu führen. Dazu braucht er Zeit und guten Rat. Außerdem ist noch unklar, wer sein Außenminister wird, und wie viel Unabhängigkeit Modi ihm zugestehen wird."
Als erste Amtshandlung muss Modi nun sein Wahlversprechen einhalten, die schwächelnde Wirtschaft des Landes wieder auf die Beine zu bringen, so Murthy. Durchschnittlich rund fünf Prozent Wachstum in den vergangenen zwei Jahren war nicht genug, um den 13 Millionen jungen Indern, die jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt drängen, Jobs zu bieten. Darüber hinaus erbringt der Produktionssektor zur Zeit nur 15 Prozent Wirtschaftsleistung - wenig im Vergleich zu 31 Prozent in China. Hier könnte Modis Erfahrung aus zwölf Jahren als Regierungschef in Gujarat ins Spiel kommen: Dort ermöglichte er in- und ausländische Investitionen, baute eine moderne Infrastruktur und schaffte Arbeitsplätze.
USA und Europa schwenken um
Um dieses Ziel zu erreichen, wird Modi stabile und für beide Seiten zufriedenstellende Beziehungen mit den Haupt-Handelspartnern USA und Europa brauchen. Washington, das Modi nach den Ausschreitungen in Gujarat 2002 das Einreisevisum verweigerte, versucht nun, das Verhältnis zu reparieren. Präsident Obama habe den neuen Premier bereits in die USA eingeladen, sagt Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Der Südasien-Experte geht davon aus, dass beide Seiten ein starkes Interesse daran haben, ihre guten Beziehungen aufrechtzuerhalten.
Die europäischen Staaten - darunter auch Deutschland -, die Modi nach den Gujarat-Pogromen ebenso die kalte Schulter gezeigt hatten, normalisierten ihre Beziehungen zu ihm bereits im Jahr 2012. Viele Mitglieder von Modis BJP bewundern die Wirtschaftsmodelle der USA und Europas, darunter vor allem das deutsche Beispiel. Man könne daher davon ausgehen, dass eine engere Zusammenarbeit mit diesen Ländern ganz oben auf der Prioritätenliste Modis steht, so Politikwissenschaftler Murthy. Er geht davon aus, dass der neue Regierungschef bald Washington und Europa besuchen wird. "Modi würde sicherlich gerne dort hin reisen. Vielleicht will er mit diesen Besuchen auch den Menschen in seinem Heimatland signalisieren, dass die Vergangenheit vergessen ist."
Aber es gibt auch andere Signale. Nachdem die Ergebnisse der Parlamentswahlen bekannt gegeben und die Glückwünsche bei Modi eingegangen waren, erhielt als einer der ersten der russische Präsident Putin eine Antwort von Modi. Dieser twitterte: "Die indisch-russische Freundschaft hat den Test der Zeit überstanden. Wir werden unsere Beziehungen in vielen Bereichen weiter verstärken." Hindu-Nationalisten haben ihre traditionell engen Bindungen zu Moskau nicht vergessen und bewundern offen Putins harten Führungsstil. Aus der Ukraine-Krise hat sich Indien jedoch bisher herausgehalten.
Rivale China
Das Verhältnis zu China ist belastet durch ungelöste Grenzstreitigkeiten, das Asyl des Dalai Lama in Nordindien und die indische "Look East Policy", mit der Indien versuchen will, dem wachsenden Einfluss Chinas in Südostasien entgegenzutreten. Den Indern ist außerdem Chinas militärische Unterstützung für Pakistan und der strategische Aufbau von chinesischen Stützpunkten in Süd-und Südostasien ein Dorn im Auge.
Die Probleme mit China werden kommen, vermutet Christian Wagner, zum Beispiel wenn es Zwischenfälle gebe oder verstärkte Grenzverletzungen an der umstrittenen Demarkationslinie zwischen Indien und China ("Line of Control"). Swaran Singh, Politikwissenschaftler an der Jawaharlal Nehru Universität in Delhi ist optimistischer: " Die neue Regierung wird sich wahrscheinlich auf Aspekte der sozialen Entwicklung konzentrieren, mit China als wichtigstem Partner. Narendra Modi hat China bereits mehrfach besucht und kennt die chinesische Führung. Das wird dazu beitragen, die Partnerschaft zu glätten und einige der wiederkehrenden Reizthemen zu entschärfen."
Pakistan: Chance für Annäherung
Die Amtseinführung Modis am Montag (26.05.2014) könnte eine günstige Gelegenheit zur Wiederannäherung zwischen Indien und Pakistan bieten. Zu der Zeremonie hatte Modi die Amtskollegen der Nachbarländer eingeladen, darunter auch den Regierungschef Pakistans, Nawaz Sharif. Dieser akzeptierte nach langem Zögern. Damit nimmt erstmals ein pakistanischer Regierungschef an der Vereidigung eines indischen Ministerpräsidenten teil. Beobachter hoffen auf eine Verbesserung der schwierigen Beziehungen zwischen den verfeindeten Nachbarn.
Die Beziehungen sind durch ungelöste Konflikte um die von beiden Seiten beanspruchte Kaschmir- Region gekennzeichnet - und durch drei Kriege deswegen in den vergangenen 67 Jahren. Ein leichtes Tauwetter endete abrupt nach den von pakistanischen Islamisten verübten Terroranschlägen in Mumbai 2008.
In seinem Wahlkampf hatte Modi noch eine harte Linie im Kaschmirkonflikt angekündigt und auch erklärt, er wolle den Verzicht auf einen nuklearen Erstschlag gegen Pakistan ("no first strike policy") noch einmal überdenken. Diese Aussagen ließen ihm wenig diplomatischen Spielraum, sagt C.S.R. Murthy. "Ich nehme an, Modi wird den Dialog mit Pakistan nicht aufnehmen wollen, solange Islamabad nicht konkrete Fortschritte zeigt, wenn es um die Verurteilung von Terroristen im eigenen Land oder die Infiltration von pakistanischen Terroristen nach Indien geht. Ich sehe keine Chance dafür, dass die Gespräche wieder aufgenommen werden, so, wie es Pakistan wünscht."
Christian Wagner nimmt an, dass Modi die wirtschaftlichen Beziehungen mit Pakistan weiter ausbauen will. Doch nun sei Pakistan am Zug, denn Indien habe Pakistan bereits den Meistbegünstigungs-Status gewährt. Islamabad dagegen zögere noch, Indien die gleichen handelspolitischen Vorteile einzuräumen.
Doch es gibt nach wie vor viele Fallstricke. Pakistans mächtiges Militär und auch Indiens Hindu-Nationalisten fürchten von jeher engere bilaterale Beziehungen und könnten eine Wiederannäherung der Nachbarstaaten blockieren. Ein weiterer Terroranschlag in Indien oder erneute Gewalt in Kaschmir könnten jeden Versöhnungsversuch im Ansatz vereiteln. Denn dann sähe Modi sich dazu gezwungen, nicht länger Handelsbeziehungen und Investitionsförderung oberste Priorität einzuräumen, dann stünde auch seine Außenpolitik unter hindu-nationalistischem Vorzeichen.