Vertrauen verloren
24. März 2009Das tschechische Parlament sprach am Dienstag (24.03.2009) Ministerpräsident Mirek Topolanek das Misstrauen aus. 101 Abgeordnete stimmten gegen ihn. Damit erreichte die Opposition exakt die notwendige absolute Mehrheit. Im Parlament mit 200 Sitzen hatte Topolaneks Mitte-Rechts-Koalition 96 Mandate, die Opposition verfügt über 97 Sitze. Sieben fraktionslose Abgeordnete hatten sich vor der Abstimmung nicht klar festgelegt.
Neuwahlen trotz Ratspräsidentschaft?
Laut Verfassung muss die Mitte-Rechts-Regierung von Topolanek nun ihren Rücktritt einreichen. Bis Staatspräsident Vaclav Klaus den Auftrag zur Regierungsbildung neu vergibt, bleibt das Kabinett geschäftsführend im Amt. Sollten drei Versuche zur Regierungsbildung scheitern, kommt es zu vorgezogenen Neuwahlen.
Solange Topolanek in Tschechien im Amt ist, wird er voraussichtlich auch weiter die EU-Ratspräsidentschaft führen. Tschechien hält die EU-Ratspräsidentschaft noch bis zum 30. Juni inne, bevor Schweden sie übernimmt. Ein EU-Diplomat sagte in Brüssel: "Wir nehmen doch stark an, dass die tschechische Regierung bis Ende Juni noch interimistisch im Amt bleiben wird."
Zuversichtliches Brüssel
Die EU-Kommission scheint davon auszugehen, dass die EU-Ratspräsidentschaft von der Regierungskrise in Tschechien unbeeinflusst bleibt. Die Kommission vertraut nach eigenen Angaben darauf, dass die Verfassung es der Tschechischen Republik ermöglicht, die Ratspräsidentschaft so effizient wie bisher wahrzunehmen. Das teilte die Kommission in einer Erklärung in Brüssel mit. Es sei Sache der Tschechen, die innenpolitischen Fragen zu lösen. "Die Kommission ist zuversichtlich, dass dies in einer Weise geschieht, die das volle Funktionieren der Ratspräsidentschaft sichert."
Die Bundesregierung in Berlin ließ durch einen Sprecher des Auswärtigen Amtes wissen, sie gehe davon aus, dass die Handlungsfähigkeit des EU-Ratsvorsitzes sichergestellt werde.
Brok: EU-Vertrag gefährdet
Der CDU-Europaabgeordnete und Experte für Außenpolitik, Elmar Brok, hat sich bestürzt über den Sturz der tschechischen Regierung geäußert. Damit könnte der EU-Reformvertrag möglicherweise "beerdigt werden", sagte Brok der Nachrichtenagentur AFP. Topolanek habe nun keine Möglichkeit mehr, vor dem Votum auf den Senat einzuwirken.
Auch der Co-Vorsitzende der Grünen im Europaparlament, Daniel Cohn-Bendit, äußerte sich besorgt über die Zukunft des EU-Reformvertrags. Der Ratifizierungsprozess sei durch den Sturz der Regierung in Prag nun "sehr geschwächt".
Der so genannte Lissabon-Vertrag hat in Prag den Senat noch nicht passiert. Dort gelten selbst einige Abgeordnete aus Topolaneks eigener Partei als EU-Skeptiker. Ohne einen starken Ministerpräsidenten könnte, so meinen Beobachter in Brüssel und Tschechien, die Ratifizierung des Vertrags im Senat scheitern. Dies wäre dann eine sehr ernste Krise für die EU - vergleichbar wohl nur mit derjenigen nach dem Scheitern des Verfassungsvertrags in Frankreich und den Niederlanden Mitte 2005.
Der fünfte Versuch
Es ist erst das zweite Mal in der Geschichte der Europäischen Union, dass der Regierung, die die EU-Ratspräsidentschaft innehat, im eigenen Land das Vertrauen entzogen wird. 1996 wechselte in Italien die Regierung während der EU-Ratspräsidentschaft. In Tschechien hatte die Regierung Topolanek seit ihrem Amtsantritt im Januar 2007 bereits vier Misstrauensvoten überstanden. (mas/det/ako/ap/dpa/rtr)