"Power to the People" in Frankfurter Schirn
21. März 2018Um einen Konferenztisch sitzen Männer in weißen Hemden, ihre Köpfe und Oberkörper hängen vornübergebeugt auf den Knien, die Hände schleifen schlaff am Boden. Das wandfüllende Ölbild von Adelita Husni-Bey hängt gleich am Eingang der Schau. Mit ihrer Arbeit "The Sleepers" (Die Schläfer) kritisiert die New Yorker Künstlerin die Untätigkeit der Herrschenden. Daneben die Installation von Guillaume Bijl, der Wahlkabinen aus Finnland, Aserbaidschan, Österreich, Japan, Marokko und China nachgebaut hat. Der Belgier regt an, über den Sinn von Wahlen in der "Postdemokratie" nachzudenken.
Ob Anti-Trump-Demonstrationen, Occupy-Bewegung oder die #MeToo-Debatte: Die angesagten Protestwellen finden Eingang in die Kunst, so die These. "Wir erleben eine Rückkehr der Kunst ins Politische", glaubt Schirn-Direktor Philipp Demandt. Kunst werde wieder zum Seismographen "in bewegten Zeiten". Die Ausstellung zeigt denn auch 43 Werke aus vielen Ländern. Kuratorin Martina Weinhart versucht mit Installationen, Fotografien, Zeichnungen, Malereien und Videos eine Bestandsaufnahme zur politischen Kunst.
An der Grenze zum Plakativen
Dazu zählt das ironische Werk des türkischen Künstlers Ahmet Ögüt, der zwei Polizeischutzschilde zu Saloon-Türen umfunktioniert hat. Oder die Fotoarbeit seines in London lebenden Landsmannes Osman Bozkurt. Der hat im Riesenformat zehn Finger porträtiert, die mit Tinte beschmiert sind - als Fingerzeig auf die zweifelhafte Parlamentswahl am Bosporus von 2002. Oder das Videoprojekt des documenta-14-Künstlers Hiwa K "This Lemon Tastes of Apple", das hektische Szenen einer Demonstration im Irak zeigt, deren Teilnehmer sich Zitronen gegen Tränengas reichen, bevor sie die Flucht ergreifen.
Die Grenze zum Plakativen mag für manchen Ausstellungsbesucher fließend sein. Agitprop lässt grüßen. Und überhaupt: Taugt Kunst als politische Waffe? Funktioniert sie als Statement gegen eine schlechte Welt? Und was macht das mit der Qualität von Kunst? Auch diese Fragen stellt die Frankfurter Ausstellung und springt damit auf einen fahrenden Zug: Kaum eine Schau, Biennale oder documenta in jüngster Zeit, die nicht politische Kunst im Angebot hätte.
Politische Kunst angesagt
Zuletzt war es der Fotokünstler Wolfgang Tillmans, der mit einer Plakat-Kampagne in London gegen den drohenden Brexit zu Felde zog - in bester Tradition des deutschen Plakatkünstlers Klaus Staeck. Das Berliner "Zentrum für Politische Schönheit" zielt seit Jahren auf die Flüchtlingstragödie im Mittelmeer. Der isländische documenta-Künstler Olafur Eliasson eröffnete auf der Biennale von Venedig eine Flüchtlingslampenbastelstube. Die documenta in Kassel benannte eine Straße nach dem Terroropfer einer Nazigruppierung um.
Kunst mit politischer Botschaft ist zweifellos angesagt. Doch ob sie die Welt zum Besseren verändert? Das muss sich jeder selbst fragen. Für Picasso jedenfalls, der mit "Guernica" eine Ikone der politischen Kunst geschaffen hat, war Kunst auch eine Waffe. Als ihn ein deutscher Besatzungssoldat in Paris fragte, ob er das Bild gemalt habe, antwortete er: "Sie haben dieses Bild gemalt, nicht ich." Dass das Werk nötig wurde, sei die Schuld der Deutschen gewesen.
Die Ausstellung "Power to the People" der Schirn Kunsthalle Frankfurt ist bis zum 27. Mai zu sehen.