Powell gibt endgültig auf
16. November 2004
Schon Monate vor der Präsidentschaftswahl war in Washington spekuliert worden, dass Colin Powell nicht für eine zweite Amtszeit von Präsident George W. Bush zur Verfügung stehen würde. Zwei Wochen nach der Wahl haben jetzt mit Powell auch Bildungsminister Rod Paige, Energieminister Spencer Abraham und Agrarministerin Ann Veneman ihren Rücktritt eingereicht, teilte ein Regierungsvertreter am Montag (15.11.) in Washington mit. Vergangene Woche waren bereits Justizminister John Ashcroft und Handelsminister Donald Evans zurückgetreten.
Powell amtsmüde
Durch jahrelange interne Grabenkämpfe mit den Hardlinern in der Regierung war Colin Powell die Lust an seinem Amt offenbar schon lange vergangen. Der 67-Jährige werde allerdings im Amt bleiben, bis ein Nachfolger gefunden sei, hieß es im Außenministerium. Die Entscheidung, wenige Tage nach dem Tod von Palästinenserpräsident Jassir Arafat und neuen Aussichten auf eine Konfliktlösung im Nahen Osten, kam dennoch überraschend: Die Palästinenser hatten sich auf einen bevorstehenden Besuch von Powell in den Palästinensergebieten eingestellt.
"Schadensbegrenzung" wider Willen
In einer Regierung, die mit ihrem wenig dialog- und kompromissbereiten Kurs immer wieder Alliierte rund um den Globus vor den Kopf stieß, fiel Powell eine undankbare Aufgabe zu: Als Freund diplomatischer und multilateraler Lösungen zog er im Washingtoner Machtkampf mit den "Falken" meist den Kürzeren - und musste die harte Linie dann im Ausland verkaufen. Powell sei "'mental und physisch" müde, da er viel Zeit damit verbracht habe, rund um den Globus "Schadensbegrenzung" für unglückliche Aktionen seiner Regierung zu betreiben, gewährte Powells Stabschef Lawrence Wilkerson bereits im Frühjahr in einem Interview ungewöhnliche Einblicke in das Seelenleben seines Vorgesetzen.
Loyal bis zur Selbstverleugnung
Powell war der einzige im inneren Zirkel der Macht in Washington, der aus eigener Erfahrung wusste, was Krieg bedeutet. Der erste afroamerikanische US-Außenminister, als Sohn armer jamaikanischer Einwanderer im New Yorker Stadtteil Bronx aufgewachsen, diente mehr als drei Jahrzehnte in der Armee. Schon während des ersten Golfkriegs 1991 unter George Bush senior vertrat Powell als Generalstabschef und Vier-Sterne-General eine moderate Linie.
Der Starreporter Bob Woodward schilderte in seinem Enthüllungsbuch über den Irak-Krieg, wie Powell auf verlorenem Posten gegen die Übermacht der "Falken" ankämpfte. Er hatte den Präsidenten eindringlich gewarnt, dass er mit einer Invasion die Verantwortung für 25 Millionen Iraker übernehmen werde. Doch gegen die geballte Macht von Vizepräsident Dick Cheney, Pentagonchef Donald Rumsfeld und dessen Stellvertreter Paul Wolfowitz konnte sich Powell nicht durchsetzen. Als Bush ihm seinen Kriegsbeschluss mitteilte, stand der langjährige Soldat innerlich stramm, wie Woodward in seinem Buch schildert.
"Sind Sie in dieser Sache auf meiner Seite?", fragte der Präsident den Außenminister. "Ja, Sir, ich werde Sie unterstützen", antwortete Powell. So weit verbog sich der General a.D. in seiner Loyalität gegenüber dem Oberkommandierenden, dass er wenig später in seinem berühmten Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat selbst dem Krieg das Wort redete - unter Verwendung von dubiosem Material über die angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen. Es war der unrühmlichste Moment in der vierjährigen Amtszeit des Außenministers.
Spekulationen über künftigen Kurs
Ob mit Powells Abgang die Moderaten noch weiter an Boden verlieren, wird sich erst dann erkennen lassen, wenn die Nachfolge geklärt ist. Von den US-Medien gehandelt wurden unter anderen die Nationale Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice, UN-Botschafter John Danforth, der Nahostbeauftragte im Weißen Haus und Präsidentenberater, Elliott Abrams, sowie Vize-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz. Sollte Wolfowitz zum Chefdiplomaten ernannt werden, wäre dies wohl das klarste Signal, dass die "Falken" ihren Einfluss auf die US-Außenpolitik weiter zementieren. (arn)