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"Das löst das Problem nicht"

Kersten Knipp11. Juli 2015

Der Ökonom Niklas Potrafke warnt davor, Griechenland weitere Kredite zukommen zu lassen. Die nun vorgelegten Reformen setzten an der falschen Stelle an und gingen an den eigentlichen Problemen des Landes vorbei.

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EU-Parlamentarier fordern 'Freiheit für Griechenland' (Foto: picture alliance)
Bild: picture-alliance/dpa/V. Kessler

DW: Herr Potrafke, die griechische Regierung hat ein neues Papier mit Reformvorschlägen vorgelegt. Unterscheidet es sich von den vorhergehenden?

Niklas Potrafke: Ja. Es gibt einige Punkte, die sich wirklich ändern. Bei ihnen hat man das Gefühl, Tsipras habe sich auf die Gläubiger zubewegt. Das gibt zumindest die Papierform her. Dennoch halte ich die griechischen Vorschläge im Grundsatz für wenig glaubwürdig. Ich empfehle den Gläubigern, sich nicht auf dieses Spiel einzulassen und nicht über dieses Stöckchen zu springen, das die Regierung Tsipras ihnen hinhält.

DW: Zunächst zum Positiven. Wo erkennen Sie Fortschritte in dem neuen Papier?

Einzelne Punkte erklären zumindest ein Entgegenkommen. So etwa Privatisierungen, die nun weiter fortgeführt werden sollen. Nimmt man das Papier für bare Münze, hat sich Tsipras in diesem Punkt offenbar gegenüber dem linken Parteiflügel durchgesetzt. Auch bei den Militärausgaben hat sich etwas getan. Ursprünglich wollte Tsipras im Jahr 2016 die Summe von 200 Millionen Euro sparen. Nun will er bereits im laufenden Jahr 100 Millionen einsparen und im kommenden Jahr dann noch einmal 200 Millionen. Da scheint er den Gläubigern offenbar entgegen zukommen. Allerdings haben die Gläubiger in ihrem letzten Vorschlag ja Kürzungen von 400 Millionen Euro verlangt. Mit anderen Worten: Das vermeintliche Entgegenkommen, das Tsipras mit dem Papier nun dokumentiert, reicht an die Forderungen der Gläubiger nicht heran.

Prof. Dr. Niklas Potrafke (Foto: ifo Institut)
Niklas PotrafkeBild: ifo Institut

DW: Wie sieht es bei den anderen Punkten aus?

Die Mehrwertsteuererhöhung scheint mir ein wichtiger Punkt, insbesondere die Aufhebung von Sonderregelungen zur Mehrwertsteuer auf den griechischen Inseln. Aber wenn ich richtig sehe, wird hier getrickst: Die Gläubiger haben in ihrer letzten Forderung verlangt, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz bereits ab Juli 2015 aufzuheben. Zwar mag Tsipas dieser Forderung entgegenkommen, wenn er nun erklärt, das Parlament hebe diesen niedrigen Mehrwertsteuersatz auf. Das gilt aber nicht für alle Inseln, sondern nur für die Inseln mit dem größten Einkommen. Eventuell beginnt das Ganze auch nur mit einer Insel. Das wäre dann Trickserei.

Wie bewerten Sie die grundsätzliche Richtung der Vorschläge?

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass Haushaltsanierung durch Steuererhöhung stattfinden soll - und nicht durch Ausgabenkürzung. Davon halte ich nichts. Denn erstens hat die Vergangenheit gezeigt, wie das Eintreiben von Steuern in Griechenland klappt - nämlich gar nicht. Zweitens sollte Haushaltssanierung eher über Ausgabenkürzungen funktionieren, also Zuschüsse zum Rentensystem reduzieren, die Ausgaben für den Öffentlichen Dienst reduzieren. Das wäre der richtige Weg.

Sie haben zu Beginn unseres Gesprächs Zweifel an der Durchsetzbarkeit der Reform geäußert. Worauf gründen Ihre Zweifel? Fehlt es an entsprechenden Fähigkeiten des Staates? Ober mangelt es am politischen Willen?

An beidem. Einerseits fehlt es an entsprechenden Institutionen. Ich nenne nur die Stichworte Katasteramt, unzureichende Finanzverwaltung, Korruption. Diese institutionellen Dinge müssen sich verändern. Solange das nicht der Fall ist, wird sich in dem Land auch nichts Entscheidendes ändern.

Das Kernproblem ist aber die Wettbewerbsfähigkeit des Landes. Griechenland ist zu teuer. Es kann mit seinen Konkurrenten nicht Schritt halten. Das Land importiert zu viel, man denke etwa an die Tomaten aus den Niederlanden – und das, obwohl Griechenland früher ein Agrarstaat war. Das ist absurd, da muss sich etwas ändern. Griechenland muss billiger werden. Nur das löst das Problem. Und sämtliche Vorschläge, die hier auf dem Tisch liegen, packen das Problem nicht an der Wurzel.

Wie sehen Sie unter diesen Voraussetzungen den jetzt von Griechenland ins Spiel gebrachten neuen Kredit von 53 Milliarden Euro?

Das ist eine absolute Fehlinvestition. Die Gläubiger sollten keine Kredite mehr geben. Der richtige Weg wäre, dass Griechenland aus der Eurozone ausscheidet und eine eigene Währung – etwa die Drachme – einführt. Die Drachme würde dann stark abwerten, wodurch Griechenland wieder wettbewerbsfähig würde. Das Land würde viel mehr in eigener Regie produzieren und müsste entsprechend weniger importieren. Das würde auch der Arbeitslosigkeit entgegenwirken. Griechenland hat eine generelle Arbeitslosigkeit von 26 Prozent und eine Jugendarbeitslosigkeit von rund 50 Prozent. Diese Zahlen lassen sich nur dann senken, wenn im Land wieder entsprechend produziert wird.

Wäre Griechenland bei einer abgewerteten Drachme denn in der Lage, sämtliche Importe zu bezahlen – etwa die Energie-Importe?

Es gibt bestimmte Importgüter, die Griechenland mit einer abgewerteten Drachme nicht finanzieren kann. Da müssen die übrigen EU-Länder helfen. Das gilt neben der Energie etwa auch für Medikamente. Es würde sich aber dann um Hilfsleistungen seitens der europäischen Länder handeln – letztlich also um Geschenke, die die Griechen also auch nicht zurückzahlen müssten.

Angenommen, die Gläubiger würden die Vorschläge der Griechen annehmen und entsprechende Hilfskredite zur Verfügung stellen. Welche politischen Folgen hätte das aus Ihrer Sicht?

Es geht genauso weiter wie bisher. Die Schuldenlast erhöht sich fortwährend. Wir können auf den nächsten Krisengipfel warten. Um in einem Vergleich zu sprechen: Einem Menschen ist ein Splitter in die Haut eingedrungen. Wenn der Arzt den Splitter nicht zieht - das wäre der Grexit - wird es nicht besser. Stattdessen verschreibt er immer weitere Schmerzmittel. Das aber löst das Problem nicht. Im Gegenteil, es wird immer schlimmer.

Niklas Potrafke ist Professor für Volkswirtschafslehre an der Universität München und leitet das ifo Zentrum für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie in München.