Postkarte oder digitaler Gruß?
30. Juli 2018Schluchtwanderung: Wir sitzen am Ufer und essen Brot mit Olivenpaste, flitschen Steine ins Wasser, springen japsend im eiskalten Gebirgsfluss herum. Außer uns ist kein Mensch in der Nähe. Am steinigen Ufer eine einzige gelbe Blume. Kann eine Postkarte diese Stimmung wiedergeben? Auf Instagram gibt es ein Foto davon, ein Foto, das ich gemacht habe, das den Ort zeigt, an dem ich war, so wie ich ihn gesehen habe. Ohne dass mir ein Postkartenfotograf das Motiv vorsetzt.
Wenn ich mit meinen Freunden oben am Berg sitze und auf die Landschaft hinunter gucke, poste ich ein Foto davon auf Instagram oder Facebook - und schon wissen alle: Da ist sie also jetzt, es scheint ihr gut zu gehen. Dann gibt es ein paar Likes und meine Schwester am anderen Ende der Welt - in Wyoming/USA - kommentiert: "WOW!"
Ich selbst freue mich auch über die Facebook-Posts meiner Freunde, mit Sonne, Strand und Meer und dem Menschen darauf, der da sonnenbebrillt in die Kamera grinst ("hähä, guckt mal, ich bin im Urlaub und ihr nicht!"). Das gefällt mir mehr als ein kitschig-buntes Stück Pappe, auf dem etwas Handgekritzeltes steht, das man oft gar nicht entziffern kann.
Postkarten sind Freundschaftsbeweise
Doch Moment! Facebook- oder Instagram-Posts haben einen Nachteil: Sie unterliegen den gängigen Regeln von Social Media-Kanälen, verschwinden schnell in einer Timeline oder tauchen bei vielen Leuten gar nicht erst auf (böser Algorithmus!). Eine Postkarte aber ist etwas Bleibendes.
Sie auf den Weg zu schicken, bedarf einer Menge Logistik: Karte aussuchen, Briefmarke organisieren, Adresse raussuchen (im schlimmsten Falle noch recherchieren), einen kreativen Text verfassen und diesen auch noch mit der Hand auf die Rückseite der Karte schreiben - wer solche Strapazen auf sich nimmt, äußert dem Adressaten gegenüber eine große Wertschätzung. In diesem Fall ist das Motiv zweitranging. Das sollte es auch sein, denn viele Postkarten zeigen langweilige Panoramaansichten oder sind albern bis geschmacklos.
Beliebt sind auch Stereotype, ein hübsches Beispiel sind Ansichtskarten aus Griechenland: Die berühmtesten Postkartenmotive kommen von der Insel Santorin, und die wird auch gnadenlos verschickt, egal aus welchem griechischen Urlaubsort. Witzig ist es auch, wenn man aus der französischen Bourgogne eine Karte mit den typischen Lavendelfeldern der Provence schickt, als bestünde ganz Frankreich nur aus Lavendelfeldern. Doch auch hier zählt der Inhalt, der Gruß, die Botschaft, die Worte, die hintendrauf stehen.
Die Lösung!
Beides hat also seine Reize. Und es gibt tatsächlich die Möglichkeit, den einzigartigen persönlichen und digitalen Moment mit der Nachhaltigkeit eines analogen Postkartengrußes zu vereinen. Ich könnte einfach ein selbstgeknipstes Foto als Postkarte verschicken. In größeren Urlaubsorten gibt es Geschäfte, in denen man sowas herstellen kann.
Online geht es noch schneller, verschiedene Seiten bieten einen solchen Service an: Das eigene Foto online wie eine echte Postkarte gestalten, Adresse und persönlichen Text hinzufügen, den Rest erledigt der Onlinedienst - inklusive Porto. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil hierbei ist auch: Man kann sicher sein, dass der Adressat den Grußtext entziffern kann.
Ich habe dies allerdings noch nie gemacht. Stattdessen gehöre ich zu den Kandidaten, die sich am letzten Urlaubstag noch schnell hinsetzen, irgendeine Karte mit einem schönen Motiv suchen, irgendeinen Quatsch dichten und ihn hintendrauf kritzeln, verzweifelte Whats Apps schreiben ("Wer von euch hat die Adresse von Stefan und Gabi?") und die Karte mit dem Wissen, dass sie erst in zwei Wochen - also lange nach mir - in der Heimat ankommen wird, in einen nicht sehr vertrauenerweckend aussehenden Briefkasten werfen.
Als wir nach dem letzten Urlaub nach Hause kamen, lag eine Postkarte im Briefkasten. Von wem, das konnten wir gar nicht entziffern. Aber wir wussten: Jemand hat an uns gedacht.