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Schuldzuweisungen und Erklärungsversuche

Christoph Hasselbach7. Januar 2016

Seit den Übergriffen gegen Frauen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht tobt die Diskussion über die Rolle der Polizei immer heftiger.

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Polizei vor Kölner hauptbahnhof (Foto: picture-alliance/dpa/M. Becker)
Bild: picture-alliance/dpa/M. Becker

Derart heftige und offene gegenseitige Schuldzuweisungen auf höchster Ebene gibt es selten. Aber die Vorkommnisse von Köln haben Polizeivertreter und Politiker enorm unter Druck gesetzt. Bundesinnenminister Thomas de Maizière, CDU, warf der Polizei in Köln Versagen vor: Zunächst sei der Bahnhofsvorplatz geräumt worden, "und später finden diese Ereignisse statt und man wartet auf Anzeigen. So kann Polizei nicht arbeiten".

De Maizière ist als Bundesinnenminister aber ebenfalls oberster Dienstherr einer Polizei, nämlich der Bundespolizei, die unter anderem für die Sicherheit des Zugverkehrs und der Bahnhofsgebäude zuständig ist, während die Landespolizeien das Umfeld eines Bahnhofs schützen müssen. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger, SPD, findet de Maizières Kritik vorschnell und anmaßend: "Es ist eine Frage des Stils, ob man ohne Detailkenntnisse, bei eigener Verantwortung, Polizeieinsätze in anderer Zuständigkeit beurteilt."

Auch Polizeigewerkschafter weisen de Maizières Klage brüsk zurück. Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, findet sie in der Form gar "unanständig". Und Jörg Radek von der Gewerkschaft der Polizei meint, die Polizei habe es in der Silvesternacht mit einer "in dieser Zahl ungewöhnlichen Zusammenrottung" zu tun gehabt. Der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers warb unterdessen in der "Kölnischen Rundschau" um Verständnis: "Aufgrund des großen Gedränges, der Dunkelheit und der Menschenmassen war ein Großteil der Vorfälle für die eingesetzten Beamten nicht erkennbar." Erst die eingegangenen Strafanzeigen hätten das Ausmaß deutlich gemacht. Albers, der inzwischen mehrfach zum Rücktritt aufgefordert wurde, ist gleichwohl der Meinung: "Wir waren nicht überfordert."

Menschenmenge vor Bahnhof (Foto: picture-alliance/dpa/M. Böhm)
Interner Bericht: Es war für die Frauen ein Spießrutenlauf.Bild: picture-alliance/dpa/M. Böhm

Drastisch unterschiedliche Einschätzungen

Gerhard Böckmann, Dozent an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster, sagt im DW-Interview: "Ich weiß, dass sich die Polizei auf diesen Silvestereinsatz sehr gut vorbereitet hat, dass man sich konzeptionell eingestellt hat auf einen Silvestertag, wo möglicherweise etwas passieren kann, und dass man dementsprechend auch Personal hatte. Ich glaube auch nicht, dass sie überfordert war." Was schiefgelaufen sei, habe jedenfalls nicht an der Zahl der eingesetzten Polizeibeamten gelegen. "Ich glaube eher, dass es ein Problem der schnellen Informationsgewinnung war", dass man "die Dramatik nicht hat frühzeitig erkennen können."

Eine ganz andere Sprache spricht dagegen ein interner Bericht eines leitenden Beamten, den unter anderem die "Bild"-Zeitung veröffentlicht hat. Der Beamte befürchtete demnach zwischenzeitlich, dass das "Chaos noch zu erheblichen Verletzungen, wenn nicht sogar zu Toten führen würde". Für viele der Frauen sei es ein "Spießrutenlauf" durch die Masse der Männer gewesen, "wie man es nicht beschreiben kann". Weinende Frauen und Mädchen hätten den Polizisten über die sexuellen Übergriffe berichtet. Doch da die Polizei "nicht jedem Opfer einer Straftat helfen und den Täter dingfest machen konnte, kamen die eingesetzten Beamten an die Grenze der Frustration". Die Zahl der eingesetzten Polizisten, so der leitende Beamte, sei viel zu gering gewesen.

Poilzist mit Maschinenpistole (Foto: picture-alliance/dpa/F. Gambarini)
Viele Bürger fragen sich nach den Ereignissen in Köln: Kann man sich noch überall sicher fühlen?Bild: picture-alliance/dpa/F. Gambarini

Personalmangel oder nicht?

Die Klage über Personalmangel ist immer wieder von Polizeiseite zu hören, besonders von den Polizeigewerkschaften. Was die Bundespolizei betrifft, so bestreitet das allerdings de Maizière. Die Polizeistärke sei überall sichergestellt, und das trotz der Einsätze an der Grenze zu Österreich, um den Flüchtlingsstrom zu kontrollieren. Gewerkschaftschef Wendt hatte im Sender HR-info geklagt, Bundespolizisten würden in Bayern "zweckentfremdet" für die Grenzsicherung eingesetzt. "An vielen Bahnhöfen ist die Bundespolizei unterrepräsentiert."

Die Trennung zwischen den Zuständigkeiten von Bundes- und Landespolizei, die an den Bahnhöfen kaum scharf zu ziehen ist, sei allerdings kein Problem, meint Gerhard Böckmann: "Es gibt abgestimmte Vorgehensweisen." Die Zusammenarbeit funktioniere gut. "Da wird man nicht nach Zuständigkeiten einfach mit einer Polizeimaßnahme aufhören." Die Landespolizei würde verdächtigen Personen "natürlich" in den fremden Zuständigkeitsbereich Bahnhof nachgehen und zum Beispiel auch Festnahmen vornehmen. "Es würde niemand sagen: 'Hier habe ich nichts mehr zu tun, von daher lasse ich da meine Finger von'."

Gibt es schon heute rechtsfreie Räume, in denen Banden das Sagen haben, in die sich die Polizei nicht mehr hineintraut und in denen man sich nicht mehr sicher fühlen kann? Öfter ist gesagt worden, Teile des Ruhrgebiets, zum Beispiel in Vierteln von Duisburg, sei das der Fall. Böckmann glaubt das nicht. "Es gibt Problemviertel. Es gibt schwierige Situationen, die Kollegen dort bestehen müssen. Das mögen vereinzelte Vorfälle gewesen sein, wo Polizeibeamte bedrängt worden sind, wo sie umringt worden sind, wo eine ordnungsgemäße Unfallaufnahme oder Sachverhaltsbearbeitung nicht möglich war". Aber die Landesregierung habe darauf reagiert. "Dass es rechtsfreie Räume gibt, wo Straftäter machen können, was sie wollen, davon würde ich nicht sprechen." Die gebe es nirgendwo in Deutschland.