Politische Lähmung in Nigeria
4. Januar 2010Raketenwerfer, Maschinengewehre vom Typ AK 47, Sprengstoff, Pistolen, Munitionsgürtel. Auf weißen Tüchern sind die schwarzen Waffen aufgereiht, hunderte von Metern lang. Ein Anblick, der sprachlos macht. Und der erahnen lässt, wie gut ausgerüstet die Rebellen im Niger-Delta sind. Denn eins ist klar: Das hier ist nur ein Bruchteil der Waffen. Da draußen, in den Motorbooten, Holzhütten, Geländewagen, gibt es noch viel mehr davon.
Die Waffen niederlegen
Dennoch: An diesem Morgen sind Hunderte ehemalige Kämpfer nach Yenagoa im Bayelsa State gekommen, um ihre Waffen abzugeben. Auch Ben Ebikabowei, ein Rebellenführer, den hier jeder nur unter dem Namen "Boyloaf" kennt. "Wenn wir heute unsere Waffen niederlegen" so Ebikabowei, "geht der Kampf weiter. Aber dieses Mal wird er in Form einer konstruktiven Diskussion, im Dialog stattfinden. Denn wir glauben, dass dies der richtige Weg ist." Der Deal funktioniert so: Jeder entwaffnete Kämpfer bekommt umgerechnet 10 Euro pro Tag und eine Ausbildung, dazu wird Straffreiheit für vergangene Taten in Aussicht gestellt. Präsident Umaru Yar'Adua hat außerdem versprochen, neue Straßen, Schulen und Krankenhäuser zu bauen. Er will den Konflikt mit aller Kraft beenden. Denn die unsichere Lage im Niger-Delta hat dafür gesorgt, dass die Öl-Fördermenge im vergangenen Jahr um rund ein Drittel eingebrochen ist. Für ein Land, dass sich vor allem durch den Rohölexport finanziert, eine Katastrophe.
Misstrauische Rebellen
Entführungen, Gewalt und Sabotage: Die Kämpfer der Rebellen-Organisation MEND haben in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass das Niger-Delta zu einem der gefährlichsten Gebiete der Welt geworden ist. Sie fordern eine größere Teilhabe der Region an den Ölgewinnen. Immerhin sollen inzwischen mehr als 15.000 Kämpfer auf das Amnestie-Angebot der Regierung eingegangen sein. Wenn auch mit viel Misstrauen. Olaka Nwogu, Vorsitzender des Niger-Delta-Kommittees im nationalen Parlament, erklärt: "Die sagen sich: Lasst es uns versuchen. Was haben wir schon zu verlieren? Wir mögen die Lage nicht, in der wir uns befinden, die Umstände, in denen wir leben müssen. Vielleicht meint es die Regierung dieses Mal ernst, geben wir ihr eine Chance." Wenn man den bewaffneten Kampf wirklich stoppe, könne die Entwicklung vorangetrieben werden, so Nwogu. Jetzt liege es an der Regierung, Aufrichtigkeit, Augenmaß und Führungsstärke zu beweisen.
Keine Fortschritte
Führungsstärke – genau hier gipfeln die Probleme Nigerias. Präsident Yar'Adua, 2007 ins Amt gewählt, ist schwer herz- und nierenkrank und liegt seit Ende November in einer saudi-arabischen Klinik. Angaben zu seinem Gesundheitszustand oder einer möglichen Rückkehr sind bestenfalls vage. Während der 58-jährige bei den Rebellen als ehrlicher Makler galt, ist nun völlig unklar, wer die Erfüllung der Amnestie nun garantieren und überwachen soll.
Doch die Zeit drängt. Die Menschen im Delta werden nur unter einer Bedingung der Gewalt abschwören: Wenn sie Resultate sehen. Der Konflikt ist nur dann zu lösen, wenn die Regierung die Probleme im Niger-Delta wirklich in Angriff nimmt. Und zwar schnell. Mehr als vier Monate ist die Entwaffnungsaktion von Yenagoa jetzt her, passiert ist nichts. Noch lungern die entwaffneten Jugendlichen auf den Straßen herum, sie haben weder die versprochene Ausbildung, noch das Geld bekommen. Auch der Parlamentarier Olaka Nwogu ist nervös. Weil im Niger Delta nichts vorwärts geht, haben die ersten MEND-Rebellen bereits wieder Pipelines angegriffen. "Ich weiß, dass die Amnestie kein Ende des Kampfes der Leute sein kann. Aber es ist ein großer Schritt vorwärts. Allerdings muss die Regierung schnell und reibungslos handeln", sagt der Vorsitzende des Niger-Delta-Kommittees. Auch die Kämpfer müssten zu ihren Worten stehen und Geduld beweisen. "Sonst wird das zu einem Desaster für uns alle werden."
Immer mehr Menschen fragen sich, ob man ein Land mit 140 bis 150 Millionen Einwohnern ohne wirkliche Führung lassen kann. Präsident Yar'Adua hat für die Zeit seiner Abwesenheit niemanden formell mit der Führung der Amtsgeschäfte beauftragt, wie es die Verfassung erfordern würde. Zuletzt vertrat Vizepräsident Goodluck Jonathan den Staatschef – ein Mann, der immer wieder in schwere Korruptionsaffären verstrickt war. Ob der Christ als Nachfolger des Moslems Yar'Adua akzeptiert würde, ist fraglich: Muslime und Christen wechseln sich im Präsidentenamt traditionell ab und die Amtszeit Yar'Aduas aus dem muslimischen Norden soll noch bis 2011 dauern.
Autor: Alexander Göbel
Redaktion: Katrin Ogunsade