Polnische NGOs unter Druck
2. Dezember 2016Seit dem Fall des Kommunismus 1989 sind in Polen über 100.000 nichtstaatliche Organisationen entstanden. Heute betreiben die NGOs acht Prozent aller Schulen, 85 Prozent der Obdachlosenheime und fast alle Sportvereine. Viele haben eine Watchdog-Funktion - sie fordern Transparenz von öffentlichen Ämtern und schauen Regierenden auf die Finger. Doch in letzter Zeit sind sie massiver Kritik seitens der Regierung und der staatlichen Medien ausgesetzt.
Das Nationale Zentrum der Zivilgesellschaft
Rund eine Milliarde Euro fließen jährlich aus der Staatskasse in die polnischen NGOs - bisher über verschiedene Träger. Noch verteilen Ministerien und lokale Selbstverwaltungen die Gelder. Doch die Regierung will jetzt die Mittelzuteilung zentralisieren. Ein "Nationales Zentrum der Zivilgesellschaft" soll es künftig regeln - verwaltet von einem Regierungsbevollmächtigten, der direkt der Premierministerin Beata Szydło unterstehen soll. Szydło will so für "mehr Transparenz" sorgen.
"Man wirft der Regierung vor, dass sie keine Zivilgesellschaft aufbaut", klagte Szydło neulich in einem Interview mit der regierungsnahen Wochenzeitschrift "Solidarność". Dabei würde sie dafür jedes Jahr Milliarden polnische Zloty ausgeben, betonte sie. Die Premierministerin bedauerte auch, dass das Geld oft an Stiftungen fließen würde, "die Politikern früherer Regierungen unterstellt sind". Ihr Innenminister Mariusz Błaszczak legte nach und behauptete, die NGOs würden bis zu "70 Prozent aller Mittel für Honorare der Mitarbeiter" ausgeben. Konkrete Beispiele des Missbrauchs öffentlicher Gelder nannte er nicht. Doch ein erster Verdacht stand im Raum.
Staatliche Medien gegen NGOs
Diesen Verdacht schürten auch regierungsnahe Medien. Millionen Zuschauer erfuhren kürzlich in der Abendnachrichtensendung des staatlichen Fernsehens TVP von einer NGO, die, wie die Premierministerin zuvor behauptet hatte, "Politikern früheren Regierungen" nahestehen würde.
So etwa wie die NGO Mam Prawo Wiedziec ("Ich habe ein Recht, zu wissen"). Sie wurde vor elf Jahren mit dem Ziel gegründet, für mehr Transparenz in der Gesellschaft, insbesondere innerhalb der Politik in Polen, zu kämpfen. Leiterin der NGO ist Róża Rzeplińska, Tochter des Vorsitzenden des Verfassungsgerichts, Andrzej Rzepliński. Er ist einer der größten Kritiker der Regierung in der aktuellen Verfassungskrise. Oder Zofia Komorowska. Auch die Tochter des ehemaligen Präsidenten Bronislaw Komorowski und ebenfalls sehr aktiv in der polnischen NGO-Szene, wird als eine problematische Personalie dargestellt. Und das sind nur einige Beispiele.
Konkrete Vorwürfe werden dabei aber nicht erhoben, auch in dem umstrittenen Fernsehbeitrag nicht. Dafür gab es darin aber eine Grafik, die ein Netzwerk von Kontakten und Seilschaften der NGO-Szene darstellen sollte - alle Verbindungen führen angeblich zur Vorgängerregierung. Die unausgesprochene Botschaft zur besten Sendezeit: Die Welt der NGOs ist ein geschlossener Klub, in dem vor allem viel Geld verdient wird.
Der Kulturminister sorgt für eine Sensation
Gegen die Diffamierungskampagne des staatlichen Senders protestierten schnell tausende NGO-Aktivisten. Doch mit einem Kritiker hat niemand gerechnet: Der für die Staatsmedien verantwortliche Kulturminister und Vize-Regierungschef Piotr Gliński stellte sich hinter die Aktivisten. Er entschuldigte sich bei den beiden Frauen, die in "seinem" Fernsehen angeprangert worden waren - eine Sensation, die in Polen seit Tagen für Schlagzeilen sorgt.
Die Kritik des Ministers ist umso glaubwürdiger, da er als ausgewiesener Kenner der NGO-Szene gilt. Gliński ist ein bekannter Soziologie-Professor und als Wissenschaftler hat er sich vor seiner politischen Karriere jahrelang mit Regierungsorganisationen beschäftigt. Heute gilt er jedoch als einer der treusten Parteisoldaten der Regierungspartei PiS. Deshalb überraschte seine Entschuldigung bei den NGO-Aktivistinnen so sehr. Beim staatlichen Sender gingen einige direkt in die Gegenoffensive. Kurz nach seinen Äußerungen nahmen sie Glińskis Ehefrau unter die Lupe und berichteten, sie würde ebenfalls für NGOs arbeiten und dafür auch Geld vom Kulturministerium, also dem Ressort ihres Mannes, beziehen. Daraufhin warf der Minister dem Fernsehen "einen unprofessionellen Kreuzzug" gegen die Nichtregierungsorganisationen vor und sprach von einem "klassischen Beispiel von Manipulation und Propaganda". Das Fernsehen, das seinem Ressort untersteht, nannte er "ein Irrenhaus".
NGOs fühlen sich bedroht
Die angeprangerten Aktivistinnen sehen sich weniger als Opfer. Im Gespräch mit der DW lacht Róża Rzeplińska und meint, ihre NGO hätte noch nie so gute PR gehabt wie durch die aktuellen Medienberichte. Die Gesamtlage empfindet sie trotzdem als bedrohlich. Sie hat schon drei Anzeigen wegen Hass-Attacken gestellt, die sie nach den Fernsehberichten erreichten. Auf den Vorwurf angeblicher Traumhonorare reagierte sie mit Veröffentlichung ihres Einkommens: 900 Euro im Monat.
Rzeplińska sorgt sich, dass sich die Stimmung gegenüber den Nichtregierungsorganisationen nun ändern könnte. "Das Ziel der Kampagne gegen die NGOs ist es, Menschen zu verunsichern, sowohl Aktivisten als auch lokale Beamte, die die Projekte genehmigen und begleiten", sagt sie. Dasselbe befürchtet der Soziologe Jakub Wygnański. Die Verunsicherung sei gefährlich für die NGOs. "Dieser Sektor lebt von seiner Vielfalt und der Unabhängigkeit vom Staat", betont er.
Doch es scheint, als könnte niemand derzeit die Regierungspläne stoppen. Vor Kurzem wurde ein Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht und man rechnet damit, dass er mit Hilfe der PiS-Mehrheit bald verabschiedet wird. Damit könnte der polnische Staat schon Anfang 2017 die NGOs unter seine Kontrolle bringen.