Ultras gezähmt, Stadien sicher?
24. Mai 2012Ende April, also gut sechs Wochen vor dem Start der EM 2012, erlebten die Fans des polnischen Erstligisten Lech Posen einen Schock. Für das Pokalspiel bei Legia Warschau ordneten die Behörden kurzerhand eine Sperre für Gästefans an. Begründung: die Angst vor Krawallen. Erst in letzter Minute wurde diese Entscheidung auf Antrag der Polizei zurückgenommen, nachdem die Fans beiden Klubs schriftlich versprochen hatten, sich verantwortungsbewusst benehmen zu wollen. "Diese Erklärungen haben mich überzeugt. Es ist etwas Neues und wir dürfen diese Chance auf keinen Fall verpassen", sagte der verantwortliche Verwaltungschef, Jacek Kozłowski, danach.
Anti-Hooligan-Pakt
Noch vor einem Jahr sorgte ein anderes Spiel zwischen den beiden Mannschaften europaweit für Schlagzeilen. Damals endete das polnische Pokalfinale in hemmungsloser Gewalt. Vermummte Hooligans stürmten das Spielfeld - es waren Fans beider Mannschaften. Sie prügelten sich und verwüsteten das Stadion, alles unter den Augen von UEFA-Beobachtern. Erst ein Polizeieinsatz mit Wasserwerfern und Gummigeschossen stoppte das Chaos. "Die Polen werden handeln", sagte damals ein UEFA-Vertreter, nachdem die Europäische Fußball-Union Alarm geschlagen hat.
Und die Polen handelten. Zusammen mit dem polnischen Fußballverband PZPN arbeitete die Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk einen Anti-Hooligan-Pakt aus. Es handelt sich um einen Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung der Gewalt in den Stadien. In den letzten Monaten wurden zudem rigorose, auf die EM ausgerichtete Gesetze verhängt. Stadionverbote für Hooligans sind ausgeweitet, der Kauf von Eintrittskarten ist nur mit einer sogenannten "Fan-Karte" mit biometrischen Passbild möglich. Die Stadien verfügen auch über modernste Zugangskontrollen durch Videoüberwachung. Hunderte Polizisten und Sicherheitskräfte sichern jedes Spiel.
Ohne Fans kein Fußball
"Guantanamo", so nennen die Fans die EM-Arena in Warschau, das vor zwei Jahren eröffnete neue Stadion von Legia Warschau. Die Fans sind enttäuscht, denn man hat sie vorher nicht kontaktiert. Nur mit den Fans und nicht gegen sie könne eine Verbesserung der Situation erreicht werden, kritisieren die Fanvereine. Zwar setzen sowohl die Fußballclubs als auch die Fanvereinigungen auf eine Null-Toleranz-Taktik, wenn es um gewaltbereite Hooligans geht. Gewünscht ist vor allem aber Eigenverantwortung. Die normalen Fans wollen einfach nur Fußballspiele sehen. Viele von ihnen sind in langfristigen sozialen Projekten engagiert, mit dem Ziel, die Gewalt aus den Stadien zu verbannen.
Auch im Rahmen der EM-Vorbereitungen wurden solche Projekte bei mehreren polnischen Fußballvereinen wie Lech Danzig, Slask Breslau und Polonia Warschau durchgeführt. Und zwar mit Erfolg. Während früher im alten Stadion in Danzig die Spiele oft vor nur 7000 Zuschauern stattfanden, kamen zum Eröffnungsspiel in der neuen Arena im Sommer letzten Jahres 35.000 Fans. Und es blieb friedlich. Sogar einige Ultras sollen erkannt haben, dass es sich mehr lohne, mitzumachen als zu randalieren. Wer Krawalle macht, bleibt draußen - und ohne Fans kein Fußball, so einfach scheint es. "Hooligans sind mittlerweile auch in Polen eine Minderheit", freut sich Dariusz Łapiński, der Fanbeauftragte des staatlichen Organisationsbüros PL.2012.
Höchste Sicherheitsstufe
Bei der EURO verlässt man sich aber nicht nur auf die Einsicht der Ultras. "Die Polizei ist in der Lage, jedes Spiel zu sichern", erklärte Polens Innenminister Jacek Cichocki. Mehr als 9000 Polizisten werden direkt in den EM-Städten für die Sicherheit sorgen. Aber auch die gesamte polnische Polizei wird während der EM in Alarmbereitschaft versetzt. Für alle Polizeibeamten herrscht in dieser Zeit Urlaubssperre. Außerdem werden Grenzschutz sowie Antiterroreinheiten bereit stehen. Die Sicherheitskräfte sind, so versichern die staatlichen Stellen, für alle Eventualitäten gewappnet, von Attentaten bis zu Überflutungen.
Auch die Stadien sind vorbereitet. Alle Eingänge sind mit mannshohen Doppeldrehsperren und elektronischen Kartenlesern ausgestattet. Auch ist ein Fan-Verifizierungssystem entwickelt worden. Es ermöglicht, unerwünschte Fans von den Stadien fernzuhalten. Zudem wird es in den Spielstätten keine Zigaretten und keinen Alkohol geben. Die UEFA hat die EM zu einer tabakfreien Zone erklärt, und das polnische Parlament hat dazu ein Alkoholverbot in den Stadien verhängt. Ohne Ausnahmen. Im Notfall könne das vollbesetzte Nationalstadion in Warschau innerhalb von sieben Minuten evakuiert werden, versprechen die Verantwortlichen.
Alles klingt fast perfekt. Wenn es da nicht einige Überraschungen gäbe. So meldete die polnische Aufsichtbehörde (NIK) vor ein paar Wochen, dass es noch immer keine ausführliche Datenbank für ausländische Hooligans gibt, die in ihren jeweiligen Ländern mit Stadionverboten belegt sind. "Dies könnte auch die Arbeit der Polizei behindern, die Sicherheit in den Stadien und Städten zu gewährleisten", warnt NIK-Chef Jacek Jezierski. Experten sind aber zuversichtlich, dass Krawalle ausbleiben werden – und zwar nicht nur während der EM, bleiben doch die hochmodernen Stadien erhalten. Und "an zivilisierten Orten benehmen sich die Menschen anders, sie passen sich den Orten an und werden auch zivilisiert", schreibt ein Kommentator in der Zeitung "Sportfakten" aus Danzig.