Tödliche Messerattacke bei Spendenaktion
14. Januar 2019Am zweiten Januarsonntag verwandeln sich Märkte und Straßen vieler polnischer Städte in riesige Bühnen für Konzerte und andere Aufführungen. So war es auch in Danzig, wo am großen Finale der Spendenaktion "Großes Orchester der Weihnachtshilfe" auch Bürgermeister Pawel Adamowicz teilgenommen hat. Er wurde von einem Mann mit einem Messer auf der Bühne angegriffen (Artikelbild). Zeugen hörten, der Täter habe gerufen, er habe unschuldig zu Zeiten der Vorgängerregierung der Bürgerplattform (PO) im Gefängnis gesessen.
Adamowitz, der auch der PO angehört, musste nach Agenturberichten am Tatort wiederbelebt werden. Anschließend kam der 53-Jährige in das Universitätsklinikum, wo er notoperiert wurde. Der Angreifer konnte noch auf der Bühne von Sicherheitskräften überwältigt und dann von der Polizei festgenommen werden. Es handelt sich nach Auskunft der Behörden um einen wegen mehrerer Banküberfälle vorbestraften Danziger. Adamowicz erlag am Montagmittag seinen schweren Verletzungen. Gesellschaft und Politik in Polen reagierten mit Schock und Entsetzen auf das Attentat.
Premierminister Mateusz Morawiecki schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter, dass "die Attacke auf Leben und Gesundheit von Pawel Adamowicz die höchste Verurteilung" verdiene.
Die spontane Spendenaktion
Die Wohltätigkeitsaktion "Großes Orchester der Weihnachtshilfe" (polnisch WOSP) findet seit 27 Jahren statt. Sie gilt, mit dem klaren Ziel, den Kinderkrankenhäusern zu helfen, unter ihrem charismatischen Gründer Jurek Owsiak als die populärste Spendenaktion in Polen. Jedes Jahr übertreffen sich Prominente, Schulgruppen, Verbände und Privatmenschen mit Ideen für Versteigerungen, die der Aktion Geld bringen. Man kann etwa ein Essen mit EU-Ratspräsident Donald Tusk, eine Tour mit Panzerwagen, einen Tag mit einem Fernsehstar oder ein Bungeespringen gewinnen. Auf den Straßen laufen jedes Jahr viele Tausende Freiwillige mit Sammelboxen. Wer etwas spendet, bekommt ein rotes Herz als Aufkleber.
Spenden retten Leben
Die Medien nehmen die Berichte der Patienten und ihrer Familien dankbar auf. "Sie haben meine Mutter gerettet. Ich hatte keine Chance, zu überleben. Ich wog weniger als ein Kilo und passte gerade in Papas Hand", erzählt Ada Zalewska auf Facebook. Jedes Jahr läuft sie heute mit Sammelboxen für WOSP, um anderen frühgeborenen Kindern zu helfen. "Unterstützt, versteigert!", appelliert die junge Frau.
Seit 1992 wird mit den Spenden die Ausstattung für die oft unterfinanzierten polnischen Krankenhäuser finanziert. Die größten Geldsummen gingen an Entbindungsstationen und sorgten für eine bessere medizinische Versorgung von Frühchen und kranken Neugeborenen. Auch in anderen Stationen in vielen polnischen Krankenhäusern kann man rote Herzaufkleber an den Geräten sehen. Von den WOSP-Spenden wurden Hunderte von Reanimationseinheiten und Herzmonitore angeschafft.
Die Aktion fällt in Ungnade
Der Mann hinter der Aktion ist der Rockmusiker und Radiomoderator Jurek Owsiak. Als er 1992 zum ersten Mal in einer Radiosendung zu Spenden für ein Kinderkrankenhaus aufrief, überstieg die gesammelte Geldsumme alle Erwartungen. Daraufhin gründete er eine Stiftung, die jedes Jahr die Spendenaktion organisiert. Der nationalkonservativen Regierungspartei PiS ist er ein Dorn im Auge, weil er liberale Ansichten vertritt und Massen von Anhängern um sich versammelt - was für jeden Politiker ein Traum wäre.
Seit 2015 schwelt der Konflikt zwischen den WOSP-Machern und der nationalkonservativen PiS. Polens Botschaften im Ausland dürfen sich nicht mehr an der Spendenaktion beteiligen. Dem Militär, das früher etwa Kurse in Flugsimulatoren versteigert hatte, wurde die Teilnahme ebenfalls untersagt. "Beamte, die mitmachen, sollten am nächsten Tag ihren Dienst quittieren", sagte ein PiS-Abgeordneter.
Die Attacken in den Medien
Dem von der PiS kontrollierten öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist es lieber, Millionen von Zuschauern zu verlieren als die WOSP-Konzerte live zu übertragen, was seit über 20 Jahren die Tradition war. Dafür wird Jurek Owsiak im Sender zur Hauptfigur eines Trickfilms, in dem er das Spendengeld zu einer Politikerin statt in die Krankenhäuser bringt. Die Botschaft ist klar und passt zu den sich häufenden Beschuldigungen der regierungstreuen Medien, die Owsiak die Veruntreuung der Spendengelder unterstellen. Die Knetfiguren haben hässlich verzerrte Gesichter. Es ist ein Versuch, die PiS-Gegner zu diffamieren.
Das umstrittene Musikfestival
Die Hetzkampagne gegen Owsiak bezieht sich auch auf sein Sommerfestival "Pol'And‘Rock". Das größte eintrittsfreie Open-Air-Festival Europas findet im Städtchen Küstrin an der deutsch-polnischen Grenze statt und zieht jedes Jahr Hunderttausende polnische und ausländische Besucher an. Es entstand 1995, um sich bei allen freiwilligen Helfern der Spendenaktion zu bedanken. Doch auch diese Veranstaltung hing seit 2017 am seidenen Faden, nachdem Polens Innenminister Mariusz Blaszczak von Terrorgefahr sprach und dies mit im benachbarten Brandenburg lebenden Flüchtlingen begründete. Indem Owsiak daraufhin neben Vertretern aller Religionen und etlicher NGOs dezidiert auch Flüchtlinge aus Deutschland zum Festival einlud, wurde er endgültig zum Feindbild der Regierungspartei. Denn: PiS ist strikt gegen die Aufnahme von Flüchtlingen in Polen. "Den Regierenden gehe es nicht um Sicherheit, sondern darum, das Festival ganz zu verhindern", meinte Owsiak damals.
Unterstützung trotz Hetzkampagne
Die Hetzkampagne scheint ihm nicht zu schaden. Von Jahr zu Jahr engagieren sich immer mehr Menschen für die Spendenaktion. Immer mehr Geld kommt zusammen. Insgesamt waren es über die Jahre mehrere Hundert Millionen Euro. Laut einer aktuellen Umfrage, die von der liberalen Tageszeitung "Gazeta Wyborcza" veröffentlicht wurde, soll die WOSP von allen polnischen Institutionen und Organisationen das größte Vertrauen der Bürger genießen.