Polen: Rebellion gegen den Lockdown
2. Februar 2021"Es ist schön, wieder mal auswärts zu essen." Und: "Die Bedienung scheint nach der langen Schließung total überfordert, der Kellner hat Salz und Salat vergessen, das Klima war trotzdem toll." Oder: "Wir hatten ein großes Glück, überhaupt einen Tisch zu ergattern." So schildern Gästen ihren Besuch im Restaurant "Góraleczka" in Zakopane auf Facebook. Und machen Marek Łopata Mut.
Als einer der ersten Restaurantbetreiber in Polen hat sich Łopata der Aktion "#WirMachenAuf" (polnisch #OtwieraMY) angeschlossen und das "Góraleczka", ein bekanntes Lokal in dem südpolnischen Skikurort trotz Corona-Restriktionen aufgemacht. "Seit Ende Oktober sind unsere Einnahmen gleich Null", berichtet der Gastronom der DW. "Jetzt bin ich an einem so dramatischen Punkt gelangt, dass ich meine Mitarbeiter entlassen müsste. Aber das würde mich psychisch kaputt machen."
Schon an den ersten beiden offenen Tagen waren Kontrolleure des Gesundheitsamts und der Polizei im "Góraleczka": "Sie haben gedroht, dass sie mich hier jeden Tag besuchen werden", berichtet der Wirt, "ich rechne aber eher mit Geldstrafen."
Für die Nicht-Einhaltung von Pandemie-Restriktionen können in Polen Strafen von bis zu 6600 Euro auferlegt werden. Die müssen Betroffene unverzüglich bezahlen - sonst kann die Kontrollbehörde das Bankkonto des Unternehmens blockieren.
Skifahren: Eine heikle Angelegenheit
Auch die Betreiber von 14 Skiliften in den Westbeskiden sind bereit, dieses Risiko in Kauf nehmen. "Wir haben beschlossen, unsere Pisten am 1. Februar zu öffnen, obwohl das die Regierung nicht erlaubt hat", sagt Arkadiusz Matuszyński vom Vorstand der lokalen Wirtschaftsinitiative "Wisla-Cluster". "Wenn wir jetzt nicht starten, dann passiert hier insgesamt 20 Monate gar nichts. Und wenn das passiert, werden wir kein Geld für den Start der nächsten Saison 2021/2022 haben."
Ab dem 1. Februar werden die Pandemie-Restriktionen in Polen zwar wieder gelockert - aber nicht für alle. Während Einkaufszentren und Museen öffnen dürfen, müssen Restaurants und Hotels weiter geschlossen bleiben. Das gilt auch für Sportanlagen: Dort dürfen nur Leistungssportler trainieren. Viele Ski-Fans können den Sinn dieser Restriktionen nicht nachvollziehen, etwa weil auf einer Skipiste der Abstand viel leichter einzuhalten sei als etwa in einem Discounter.
Wütende Reaktionen
Für Aufregung sorgte, dass die Ex-Vizepremierministerin der national-konservativen Regierung Polens, Jadwiga Emilewicz, als sie ihre beiden Söhne zum Skitraining begleitete und sich selbst in Skikleidung sehen ließ. Zwar hat die Politikerin sich umgehend entschuldigt: "Das hätte nicht passieren dürfen", sagte sie dem Portal interia.pl.
Die wütenden Reaktionen von Bürgern, die zu Hause eingesperrt sind, seien verständlich, so Emilewicz - aber ihre Söhne seien beim polnischen Skiverband als Leistungssportler registriert und dürften deshalb trainieren. Kleiner Schönheitsfehler: Der Skiverband meldet, die Lizenzen für die Kinder der Ex-Ministerin seien erst nach dem Ski-Training beantragt und ausgestellt worden.
Wenig Geld für kleine Firmen
Der mediale Aufruhr um die Corona-Restriktionsbrecher hat die Probleme der polnischen Wintertourismus-Branche in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. "Die meisten Firmen in unserer Region können nur im Winter Geld verdienen", sagte Agata Wojtowicz der DW. Sie ist die Vorsitzende der regionalen Wirtschaftskammer.
Die Umsätze der Restaurants, die seit Monaten nur Essen zum Mitnehmen verkaufen dürfen, sei um 90 bis 95 Prozent geschrumpft. "Fast alle Kleinunternehmer bei uns stehen an der Grenze zum Bankrott, die Rettungspakete der Regierung sind nicht ausreichend". Die PiS-Regierung hätte die polnische Wirtschaft zwar bereits mit mehreren Milliarden Złoty unterstützt - aber kleine Unternehmen hätten nur einen Bruchteil davon bekommen.
Gerichtsurteile gegen den Lockdown
Tatsächlich wurden kleine Firmen während der ersten Pandemiewelle im Frühjahr zwar für drei Monate von den Sozialabgaben freigestellt, konnten einmalige Hilfen in der Höhe von 1200 Euro bekommen und für die Aufrechterhaltung jeder Arbeitsstelle stand dem Unternehmer bis zu 600 Euro monatlich zu. Doch von den späteren Rettungspaketen im Herbst und im Winter wurden die quasi ausgeschlossen. Deshalb schließen sich immer kleiner Unternehmen in Polen der Aktion #WirMachenAuf an.
Dabei fühlen sich die Protestler von polnischen Gerichten gestärkt, die den derzeitigen Lockdown bereits in mehreren Urteilen für rechtswidrig erklärt haben. So hat das Verwaltungsgericht Oppeln vor wenigen Wochen eine Geldstrafe für einen Friseur aufgehoben, der zu Beginn der Pandemie im vergangenen Frühjahr Kunden in seinem Salon bedient hatte. Die bereits gezahlte Strafe erhielt der Mann zurück.
Einschränkung der Bürgerrechte
Die Richter sehen die Schließung der Wirtschaft als Einschränkung der Bürgerrechte, die laut der polnischen Verfassung nur während eines Ausnahmezustands zugelassen sei. Außerdem müssten derartige Maßnahmen per Gesetz beschlossen werden - und nicht per Regierungsverordnung.
Aus demselben Grund hatte zuvor bereits das Verwaltungsgericht Gleiwitz die Quarantänepflicht für Einreisende für verfassungswidrig erklärt. Andere Gerichte urteilten in Sachen Maskenpflicht und Versammlungsverbot ähnlich. Über 30 Urteile sind in Polen bisher für die Lockdown-Gegner positiv ausgefallen.
Solidarität mit den Protestierenden
Sowohl vor Gericht als auch während der Kontrollen können sich die Protestler auf freiwilligen juristischen Beistand verlassen. "Wenn sich jemand bei uns meldet, dann übernehmen wir Schichten bei ihm in der Firma, bis die erste Kontrolle kommt", erläutert Piotr Wódkowski von der Hochschule in Thorn das Prinzip, der die Aktion "Juristen für Gastronomen" mit initiiert hat.
"So helfen wir den Restaurantbesitzern, den ersten Stress zu überstehen. Bei der Kontrolle schauen wir genau zu, ob alles legal verläuft und wir reagieren sofort, wenn die Kontrolleure ihre Kompetenzen überschreiten." Wenn Geldstrafen auferlegt werden, werde dem Unternehmer bei der Gerichtsklage geholfen, so der Jurist.
Solidarität kommt auch von den Kunden. In sozialen Medien wurde die Aktion "Koche nicht zu Hause" (#Niegotujwdomu) gestartet. Und auch am vergangenen Wochenende haben Polen Restaurants besucht, die eigentlich geschlossen sein müssen, um die Rebellen zu unterstützen.