Polen: Imposante Militärparade soll Russland abschrecken
15. August 2023Der 15. August gilt in Polen als ein symbolträchtiges Datum. An diesem Tag im Jahre 1920 stoppten polnische Soldaten und Freiwillige vor Warschau mit letzter Kraft den Angriff der Roten Armee - die Wende im Polnisch-Sowjetischen Krieg. Die von Michail Tuchatschewski kommandierten sowjetischen Truppen hatten in den Monaten davor mehrere militärische Erfolge erzielt und standen kurz davor, die Hauptstadt der nach dem Ersten Weltkrieg wieder entstandenen Polnischen Republik einzunehmen.
Die Unterwerfung Polens war nur als ein Etappenziel gedacht - die Sowjetführer Wladimir Lenin und Leo Trotzki wollten "über Polens Leiche" nach Berlin gelangen, um von dort eine Weltrevolution vom Zaun zu brechen. Polens Sieg, der als "Wunder an der Weichsel" in die polnische Geschichte einging, durchkreuzte diese Pläne.
Seit dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks vor 30 Jahren wird der Tag der Schlacht gefeiert. Das polnische Parlament hat 1992 den 15. August zum Feiertag der Streitkräfte ausgerufen. Seit 2007 wurden aus diesem Anlass - mit einer Unterbrechung wegen der Pandemie - Militärparaden abgehalten. In diesem Jahr soll die Waffenschau alle früheren Paraden in den Schatten stellen.
Die größte Militärparade seit der Wende 1989
Entlang der Weichsel, am Warschauer Königsschloss vorbei, sollen am Dienstagnachmittag 2000 Soldaten marschieren, flankiert durch 200 Militärfahrzeuge, darunter amerikanische Abrams- und südkoreanische K2-Panzer. Für die Sicherheit des Luftraumes sollen Black-Hawk-Hubschrauber und F-16-Kampfflugzeuge sorgen. Auch verbündete Soldaten aus den USA und einigen europäischen Ländern sollen dabei sein. "Das ist die größte Parade seit der Wende 1989", ließ das Verteidigungsministerium im Vorfeld stolz bekannt geben.
Die Parade soll die Stärke und den Fortschritt der polnischen Streitkräfte demonstrieren. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 begann Polens Regierung, ihre Armee im Eiltempo zu modernisieren. Auch 2023 sollen laut dem Verteidigungsministerium in Warschau fast 140 Milliarden Zloty (etwa 31,5 Milliarden Euro) für Waffen ausgegeben werden. Neben dem traditionell wichtigen Partner USA setzt die national-populistische Regierung vor allem auf die Kooperation mit Südkorea.
Die enge Zusammenarbeit mit Deutschland - seit der demokratischen Wende ein wichtiger Partner Polens - fiel weg, weil der Chef der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, Berlin eher als eine Gefahr für sein Land als einen Verbündeten betrachtet. Ein versuchter Ringtausch, bei dem Polen seine alten Panzer sowjetischer Bauart der Ukraine überlassen und dafür die modernen deutschen Leopard-Panzer bekommen sollte, endete im vergangenen Jahr mit einer schweren Verstimmung zwischen den Ländern.
Bald die größte Armee Europas?
Das Ziel für das Heer ist klar ausgegeben. Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak hat schon vor Jahren angekündigt, dass Polen die stärkste Armee Europas haben soll. Kürzlich gab er bekannt, dass Polen nun über 175.000 Bewaffnete verfüge. Aus der Analyse von Experten geht hervor, dass davon nur 125.000 Berufssoldaten sind. Den Rest bilden die Angehörigen der territorialen Verteidigung und anderer Freiwilligen-Formationen.
"Die polnische Armee muss bis zu einer Stärke von 300.000 Soldaten ausgebaut werden. Wir müssen sehr große Mengen an Waffen kaufen", sagte Kaczynski am Montag in Uniejow bei Lodz in Zentralpolen. Er verwies dabei auf eine altrömische Weisheit: "Wir bereiten den Krieg vor, wollen aber Frieden."
Militär-Picknicks als Wahlhilfe
Die Verteidigungspolitik soll aber nicht nur Polen sicherer machen, sondern auch die Regierungspartei PiS dabei unterstützen, die Parlamentswahl am 15. Oktober zu gewinnen. "Die Militärparade soll die patriotischen Gefühle mobilisieren und so der PiS im Wahlkampf helfen", gab Andrzej Zybertowicz, ein Berater von Staatspräsident Andrzej Duda, bei einer Diskussion im Fernsehen am Sonntag (13.08.) offen zu.
Seit dem vergangenen Freitag (11.08.) fanden verteilt über ganz Polen sogenannte "Militär-Picknicks" statt. In 70 Ortschaften trafen sich Soldaten mit der lokalen Bevölkerung und Touristen und präsentierten dabei ihre moderne Waffen - sozusagen zum Anfassen. Die Rekrutierungsstellen versuchten vor Ort, jungen Polen eine Militärkarriere schmackhaft zu machen. Das Staatsfernsehen zeigte später Bilder begeisterter Kinder, die in Uniform und Helm mit echten Waffen hantierten.
Wie selbstverständlich waren bei den Picknicks allerdings auch PiS-Politiker dabei, die demonstrative Nähe zu Soldaten und Offizieren zeigten und ohne Zweifel dabei Wahlkampf betrieben - obwohl laut polnischer Verfassung die Streitkräfte in politischen Angelegenheiten Neutralität wahren sollen. Von einer "Vereinnahmung der Armee durch Parteien" sprach Boguslaw Pacek, General im Ruhestand, im polnischen Privatfernsehsender TVN.
Die PiS nutzt die Sicherheits- und Verteidigungspolitik mal mehr, mal weniger offen für ihren Wahlkampf. Ihr Hauptvorwurf: Die Opposition habe Polens Armee heruntergewirtschaftet. Denn in den Jahren 2007 bis 2015, als die liberale Bürgerplattform PO von Donald Tusk regierte, wurden viele Kasernen geschlossen und die Verteidigungsausgaben massiv gekürzt. Dabei verschweigen die PiS-Politiker, dass sich polnische Soldaten in dieser Zeit im Irak und Afghanistan bewährten und dass viele Rüstungsprojekte, darunter der Kauf des Luftabwehrsystems Patriot, damals in die Wege geleitet wurden.
Grenze zu Belarus als Wahlkampfthema
Eng verbunden mit der Sicherheitsfrage ist die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze - und auch sie wird zu einem Wahlkampfthema. Nach der Verbannung der Wagner-Gruppe nach Belarus hat Polen angekündigt, 10.000 Soldaten in die Grenzregion zu verlegen. Der entlang der polnisch-belarussischen Grenze errichtete Zaun hat sich als löchrig erwiesen: Trotz der Grenzanlagen mit Stacheldraht gelangen jeden Tag illegale Migranten nach Polen.
Die PiS wirft Oppositionsführer Donald Tusk vor, Polens Grenze für diese illegale Immigration geöffnet zu haben. "Tusk stellt die größte Gefahr für unsere Sicherheit dar", sagte der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki. Er sei "der größte Feind unserer Nation", sagte Kaczynski bereits vor einiger Zeit und bezichtigte den Oppositionsführer, einen Bürgerkrieg in Polen anzetteln zu wollen.
Geht es nach der PiS soll die Sicherheitsfrage bis zum Wahltag selbst am 15. Oktober präsent bleiben. Um ihre Chancen bei der Parlamentswahl zu verbessern, hat die PiS für den selben Tag ein Referendum angekündigt. "Wollen Sie die Beseitigung der Grenzsperre?", lautet eine der dort gestellten Fragen. "Unterstützen Sie die Aufnahme von Tausenden illegaler Einwanderer aus dem Nahen Osten und Afrika?", eine andere. Das sei "Wahlmanipulation" warnt die Opposition. Sie ruft nun zum Boykott des Referendums auf. Ein viel diskutiertes Thema dürfte die Sicherheits- und Verteidigungspolitik damit weiterhin bleiben.