Pläne für Kroatiens Alcatraz
16. Juli 2009Den ehemaligen Insassen von Goli Otok geht es um nichts Geringeres als die Wahrheit. Doch die Zahl der Zeitzeugen schrumpft mit den Jahren immer mehr zusammen. Ivo Puharic ist inzwischen 83 Jahre alt. Er kam im Sommer 1954 auf die Gefängnisinsel. Er wird die „Begrüßung“ nie vergessen, die den Neuankömmlingen zuteil wurde. Alle alten Insassen stellten sich zum Spießrutenlauf auf und schlugen die Neulingen, die durch diese Gasse laufen mussten. „Ich war schnell und geschickt, aber es gab auch neu angekommene Mitgefangene, die unter den Schlägen zusammenbrachen“, erzählt Puharic. Der Spießrutenlauf war nur der Anfang, sozusagen ein Vorgeschmack auf die bevorstehenden Torturen.
Eine Mauer des Schweigens
Die einstigen Gefangenen sprechen nur ungern über die Zeit auf Goli Otok. Ein Grund liegt in der Perfidie des „Systems Goli Otok“. Es waren nicht die Wärter, die den Gefangenen die Qualen zufügten. Sie waren lediglich die Bewacher. Es waren die Inhaftierten selbst, die ihre Mitgefangenen schlugen. Je härter einer zuschlug, desto mehr Privilegien konnte er für sich erringen. Dass die ehemaligen Gefangenen lieber schweigen als sich untereinander auszutauschen, bestätigt auch Zlatko Hill. Er ist Sekretär des Vereins ehemaliger Gefangener von Goli Otok: „Wir haben Angst, alte Wunden bei den anderen aufzubrechen.“
Auch mit den engsten Familienangehörigen sprechen die einstigen Insassen kaum über ihre Erlebnisse. Ivo Puharic, der eine Tochter und einen Sohn hat, bestätigt dies: „Ich habe nicht mit ihnen darüber gesprochen, nur nebenbei erwähnt, aber nur ganz wenig.“ Wie und warum Ivo Puharic auf Goli Otok landete ist ihm bis heute nicht ganz klar. „Sie konnten einen anklagen, wenn man bei Sonnenaufgang in Richtung Osten geguckt hat, denn da liegt ja Russland. Es war schrecklich, ich bekomme heute noch Gänsehaut“, sagt Puharic.
Entschädigung für die Opfer
Unklar ist auch, wie viele Menschen auf Goli Otok zu Tode gekommen sind. Die Angaben reichen von 400 bis 4.000 Opfern. Ähnlich verhält es sich mit der Zahl der Insassen. Schätzungen reichen von 16.000 bis 32.000 Gefangenen, die zwischen 1949 und Ende der 50er Jahre auf der Insel eingesessen haben sollen. Auf der Insel landeten vermeintliche Anhänger Stalins oder des Inform-Büros, mit dem Tito gebrochen hatte.
Puharic war am Kriegsende Aktivist der kommunistischen Jugend und später Wirtschaftswissenschaftler. Er sagt von sich, dass er ganz und gar kein Anhänger des Stalinismus war. Ganz im Gegenteil: Er sympathisierte mit Titos einstigem Weggefährte und späteren Dissidenten Milovan Djilas, der sich für den Liberalismus aussprach. „Er sprach sich gegen den Bolschewismus aus, und das gefiel mir“, sagt Puharic. Seine politischen Ansichten schadeten seiner Karriere, er wurde beruflich ins Abseits gestellt und mit unwichtigen Posten abgespeist. Ins Visier der Machthaber geriet Puharic, als er eingelagerte Bücher in den Umlauf brachte. Besonders brisant war, wenn es in einem um Russland ging. Puharic schildert, dass sich unter den Büchern auch kroatische Klassiker befanden. Er rechtfertigt sich: „Ich habe sie rausgeholt und verteilt, damit sie nicht verrotten.“ Bei seiner Entlassung versuchten Geheimdienstler, Puharic einzuschüchtern. Er solle aufpassen, denn er könne schneller wieder auf der Insel landen, als ihm lieb sei.
Kroatien hat nach seiner Unabhängigkeit Verantwortung für die Opfer des Kommunismus übernommen. Die kroatischen Gefangenen von Goli Otok werden entschädigt, ihre Renten erhöht.
Umbau zur Gedenkstätte
Heute ist die Gefängnisinsel verlassen und heruntergekommen, hat aber für viele noch nicht den Schrecken verloren. Von Ende der 50er an diente es als gewöhnliche Strafvollzugsanstalt. Aus der Zeit stammen einige Produktionsstätten, die die Gefängnisinsassen gebaut haben und in denen sie dann arbeiteten. 1988 wurde das Gefängnis geschlossen, was an Material irgendeinen Wert zu haben schien, wurde abgebaut. Geblieben sind nur Mauern und Ruinen. Touristen besuchen die Insel. Doch sie erfahren wenig über das jugoslawische Alcatraz. Ein niederländisches Institut und der kroatische Architektenverband möchten das ändern und Goli Otok zu einer Gedenkstätte umgestalten. Damit aus der Gefängnisinsel ein Mahnmal werden kann, bedarf es detaillierter historischer Forschungen. Dafür sind die Zeugnisse der ehemaligen Gefangenen unerlässlich.
Autoren: Goran Vezic / Mirjana Dikic
Redaktion: Birgit Görtz