Plastikmüll: Worüber wir eigentlich reden sollten
6. Februar 2019In meiner frühen Kindheit erschien in der New York Times ein langer Artikel über die Vor- und Nachteile von Kunststoffen. Er erklärte die Komplexität von synthetischen Stoffen anschaulich und zählte auf, welche Produkte damit hergestellt werden konnten, die vorher undenkbar waren: Kabel stärker als Stahl, Kunststoffe so elastisch wie Gummi oder Chemikalien, die Löwenzahn aber nicht den Rasen abtöten. Gleichzeitig warnte der Text davor, dass eine Plastikmassenproduktion zu großen Umweltproblemen führen könnte.
Der Artikel erschien im Jahr 1977. Heute liest er sich wie eine Prophezeiung. Bilder von schwimmenden Plastikinseln im Ozean, toten Tieren mit Kunststoffen in ihren Mägen und riesigen Müllhalden außerhalb von Städten verdeutlichen, wovor der Text vor über 40 Jahren gewarnt hatte. Doch selbst der Autor des Beitrages hätte sich wahrscheinlich schwer vorstellen können, dass die weltweite Produktion von damals 50 Millionen Tonnen Kunststoff pro Jahr auf 335 Millionen im Jahr 2016 ansteigen würde, wie Zahlen von Statista zeigen. Und es wird immer mehr. Bis 2050 soll viermal so viel Plastik wie heute produziert werden, sagt das Weltwirtschaftsforum in einem Bericht von 2016.
Das geht zu Lasten der Umwelt. Von den 8,3 Milliarden Tonnen Kunststoff, die seit seiner Entdeckung als vielseitig einsetzbares Material hergestellt wurden, wurden etwa 91 Prozent nicht recycelt. Das Plastik, das nicht verbrannt wurde, verfällt langsam auf Müllhalden oder in unseren Weltmeeren. Etwa 450 Jahre dauert es zum Beispiel, bis eine Plastikflasche zersetzt wird.
Die Welt hat ein riesiges Plastikmüllproblem und braucht Lösungen, die über Aufräumaktionen und Verbote von Einwegplastik hinausgehen, fordern daher Umweltschützer.
Sind Chemiekonzerne die Lösung oder das Problem?
Knapp 30 globale Unternehmen aus der Plastikindustrie haben einen Vorschlag, was man gegen das Problem tun könnte. Mit ihrer Allianz gegen Plastikmüll in der Umwelt (Alliance to End Plastic Waste) wollen sie innerhalb von fünf Jahren 1,5 Milliarden Dollar (1,32 Milliarden Euro) in bessere Abfallmanagementsysteme, Aufklärung und Bildung, sowie Aufräumaktionen investieren. Die Allianz, zu der die weltweit größten Chemiekonzerne wie BASF, Dow Chemical und Exxon Mobil sowie Konsumgüterhersteller, wie Proctor and Gamble, zählen, möchte mit Regierungen und Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeiten, um ihr Vorhaben umzusetzen.
Bei Bekanntgabe der Allianz in London Mitte Januar haben die Unternehmen viel über Kreislaufwirtschaften (Circular Economy), Wertschöpfungsketten und verpasste Recyclingmöglichkeiten gesprochen. Doch darüber, weniger neues Plastik zu produzieren, wurde kein Wort verloren. Das ist schade, denn erst kürzlich hat die Internationale Energiebehörde IEA davor gewarnt, dass die Chemieindustrie bis 2050 für 30 Prozent der globalen CO2-Emissionen und für einen Großteil des weltweiten Ölbedarfs verantwortlich sein wird. Das Erdöl fließt hauptsächlich in die Herstellung von Plastik.
"Wir werden die Plastikmüllkrise nicht lösen können, wenn wir das Wachsen der Chemieindustrie nicht aufhalten", sagt Delphine Levi Alvares, europäische Koordinatorin von #breakfreefromplastic, eine Bewegung von über 1400 Organisationen, die für eine langfristige Lösung des Plastikmüllproblems kämpfen. "Wir reden über Unternehmen, die extrem mächtig sind, und die meisten Entscheidungsträger scheuen sich vor diesem Thema. Aber wir müssen darüber sprechen", so Levi Alvares.
Vorbeugung ist das beste Mittel
Für Levi Alvares ist die Allianz gegen Plastikmüll in der Umwelt "einfach eine weitere industriegeführte Initiative", die in die falschen Lösungen investiert. "Unser Hauptthema ist Vorbeugung, denn wir werden das Plastikmüllproblem nicht weg-recyceln können. Es geht darum, unsere Beziehung zu Kunststoffen zu überdenken", so Levi Alvares.
Plastik habe aber auch viele Vorteile und es gibt Produkte, bei denen Kunststoff Sinn mache, sagt Martin Baxter von dem britischen Institut für Umweltmanagement und -bewertung (IEMA). Allerdings gebe es bei vielen Produkten auch Alternativen. Er fordere deswegen "Hierarchien". Wir müssten uns fragen: "Brauche ich diese Materialien, wie kann ich weniger verwenden, kann ich Materialien wählen, die einfach zurückgewonnen werden können, kann ich meine Produkte so designen, dass sie an ihrem Lebensende zerfallen?"
Lukrative Plastikproduktion
Noch aber spielen Alternativen für kunststoffproduzierende Unternehmen keine Rolle, sagt Levi Alvares. Denn es sei für die Konzerne lukrativer, mit Erdöl Plastik herzustellen, als das Öl für die Transport- oder Energieindustrie aufzubereiten. Und so lange dies so bleibe, "werden wir weiter Plastik verwenden", fügt sie hinzu.
Laut der unabhängigen Umweltorganisation Recycling Network investieren die Unternehmen der neuen Allianz zwischen 2014 und 2030 viele Milliarden in die Erweiterung ihrer Plastikproduktionskapazitäten. Die 1,5 Milliarden Dollar Lösungsmittel der Allianz sind damit verglichen eine Kleinigkeit. Trotz mehrerer Anfragen an die Mitglieder der Allianz, ob es Pläne gäbe, als Teil ihrer Initiative weniger neues Plastik herzustellen, hat die DW zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels keine Antwort von den Konzernen erhalten.
Christian Zeintl, BASF-Pressesprecher, sagt allerdings, dass der deutsche Chemieriese "einen Schwerpunkt auf die Entwicklung innovativer Verpackungslösungen, die zur Nachhaltigkeit beitragen", legen würde. Er verwies auf den Plastik- und Nachhaltigkeitsbericht von Trucost und dem Industrieverband American Chemical Council aus dem Jahr 2016, laut dem das Ersetzen von Plastik durch Alternativen die Umweltkosten beinahe vervierfachen würde und deswegen "mehr schaden als nutzen könnte". "Auch wenn wir aktiv gegen Plastikmüll in der Umwelt arbeiten, müssen wir die Vorteile von Plastik beibehalten", so Zeintl. "Es ist kein entweder oder. Mit einer durchdachten, umfangreichen und strategischen Herangehensweise können wir beides machen".
Für Levi Alvares geht diese Argumentation am Kern des Problems vorbei. "Wir müssen darüber reden, wie wir unsere Ressourcen verwenden und welche Produkte wir verpacken", sagte sie, denn der Kampf gegen Plastikmüll in der Umwelt muss auf vielen Ebenen passieren. "Es beginnt damit, wenn wir das Rohmaterial aus der Erde holen. Dabei entstehen Treibhausgasemissionen und Verschmutzung von Gewässern. Wie mit dem Müll umgegangen wird und ob er in der Umwelt landet, das alles hat einen Einfluss auf das Ökosystem", sagt sie. Genau davor hat der vorausschauende Artikel in der New York Times bereits vor vielen, vielen Jahren hingewiesen.