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Ein umfangreicheres Parteiprogramm soll die Piraten aus der Krise führen

Wolfgang Dick25. November 2012

Immer wieder ist die Piratenpartei dafür kritisiert worden, dass sie sich zu vielen Politikbereichen nicht konkret festlegen wollte. Der Parteitag in Bochum sollte das ändern. Doch das Ergebnis fiel mager aus.

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Parteitag der Piraten in Bochum (24.11.12) Foto: dapd
Piratenpartei Programmparteitag Bochum 24.11.2012Bild: dapd

Das Parteitreffen der "Piraten" in Deutschland stand unter keinen guten Vorzeichen. Der Erfolg der Partei, nacheinander in vier Landesparlamente einzuziehen, drohte zu verblassen. Aktuelle Umfragen führender Meinungsforschungsinstitute, wie zum Beispiel Emnid, sahen die 2006 gegründete politische Vereinigung im Sinkflug von einst rund acht Prozent auf nunmehr gerade einmal vier Prozent. Fünf Prozent sind notwendig, um in ein deutsches Parlament einziehen zu dürfen. Zu den schlechten Prognosen kamen noch Streitigkeiten im Vorstand der Partei. Zwei Mitglieder traten überraschend von ihren Ämtern zurück.

Gleichzeitig fragten Medien immer stärker nach eindeutigen Positionen der Piraten zu Fragen, die die Bürger derzeit sehr beschäftigen. Was soll gegen die Euro-Krise unternommen werden? Wie kann ein Rentensystem Altersarmut verhindern? Wie soll die Energiepolitik der Zukunft aussehen? Immer wieder war in der Öffentlichkeit von den Piraten zu hören: "Dazu haben wir noch keine Meinung und kein Programm". Viele Wähler hatten die Piraten bisher aus Protest oder wegen der Art und Weise gewählt, wie die Piraten basisdemokratisch Politik machen wollten. Jetzt prophezeiten Parteiforscher, dass ohne umfassende Inhalte die Piratenpartei bedeutungslos werden würde. Ein rettendes Programm sollte in Bochum beim Parteitreffen verabschiedet werden.

Am Anfang war das Chaos

Andere Parteien entsenden zu ihren Treffen nur Delegierte, die andere Parteimitglieder vertreten. Aber bei den Piraten sollte jedes Mitglied kommen und auch Anregungen zum Parteiprogramm geben dürfen. Die Folge war ein Rekordandrang. Rund 2000 Piraten kamen und wollten sich natürlich auch zu vielen Anträgen äußern, die im Vorfeld des Parteitages nicht im Internet geklärt werden konnten. Fast 800 Punkte sollten in zwei Tagen behandelt werden. Für basisdemokratische Entscheidungen reihten sich teilweise bis zu hundert Piraten hinter den Mikrofonen ein. Abstimmungen zogen sich so über Stunden hin. Schließlich brach die Parteitagsleitung die Meinungsäußerungen ab, um nicht völlig aus dem Zeitplan zu geraten.

Parteimitglieder reihen sich auf am Mikrofon. Foto: Wolfgang Dick
Viele wollen ausführlich über Programmanträge sprechenBild: DW/W.Dick

Janine und Philipp engagieren sich in der Piratenpartei, weil diese Politik anders gestalten wollte als etablierte Parteien. Immer offen, transparent und tolerant. Dass die ausführliche Aussprache zu vielen Programmteilen abgebrochen und gekürzt wurde, scheint ihre Überzeugung vom basisdemokratischen Prinzip nicht zu trüben. "Die Mehrheit wollte keine Endlosdebatten", sagt Janine. Wenn das eine Mehrheit bestimmt, dann sei das doch Basis-Demokratie und keine Zensur. Andere im Saal äußern dagegen Unmut und Wut. Diskussionen um die Geschäftsordnung und um ein Partei-Schiedsgericht brechen aus und halten weiter auf. Erst am zweiten Tag gelingt es, weitere Parteiziele zu vereinbaren. Im Eiltempo, das man eigentlich bei den Piraten vermeiden wollte.

Auf dem Bild: 2 Teilnehmer am Laptop: Janine und Philipp, Mitglieder der Piratenpartei sind mit dem Parteitag recht zufrieden. Foto: Wolfgang Dick,
Janine und Philipp sind zwei von 2000 Piraten auf dem ParteitagBild: DW/W.Dick

Sozial-liberales Programm hat weiter Lücken

Den Piraten Janine und Philipp gefällt jedenfalls, was nach endlosen Abstimmungen als Ergebnis am Ende des Parteitages feststeht. Die Wirtschaftspolitik der Piraten soll das Wohl der Menschen und nicht das ewige Streben nach Wachstum in den Vordergrund stellen. Die noch laufenden Atomkraftwerke in Deutschland sollen in drei Jahren abgeschaltet werden. Die Rechte als Verbaucher sollen gestärkt, ein bedingungsloses Grundeinkommen und ein Mindestlohn garantiert werden. Das alles seien doch gute Ansätze, meinen die beiden. Anwesende Journalisten schütteln den Kopf. Von den 800 Anträgen wurde nicht einmal die Hälfte beschlossen. Abgesegnete Programmziele seien völlig unrealistisch, meinen die Medienvertreter.

Parteichef Bernd Schlömer, 41, im Hauptberuf als Sozialwissenschaftler im Bundesverteidigungsministerium tätig, sieht das anders. "Voraussetzung für Innovation und Weiterentwicklung ist doch immer die Vision!" Man habe es satt, sich immer von den Bedenkenträgern steuern zu lassen. Im Interview mit der Deutschen Welle erklärt Schlömer sich zufrieden mit dem Erreichten. "Wir haben gezeigt, dass wir bereit und in der Lage sind, das Programm zu erweitern."

Der Parteivorsitzende Bernd Schlömer Foto: Carsten Rehder dpa/lno
Bernd Schlömer, Parteichef der Piraten, ist zufriedenBild: picture-alliance/dpa

Piraten aus ganz Europa beobachteten den Parteitag

Was die deutsche Piratenpartei zu den Themenbereichen "Transparenz" und "Außenpolitik" auf dem Parteitag festlegen würde, interessierte die rund 30 Vetreter internationaler Piratenparteien. Die gibt es inzwischen in über 60 Ländern. Gregory Engels ist zuständig für die Zusammenarbeit mit den Piraten anderer Länder. "Die lernen viel von uns". Wie man Wahlkampagnen entwickelt, wo man Gelder auftreibt oder wie man Parteiarbeit im Internet organisiert.

Auf dem Bild: Mann mit Piratenhut, Gregory Engels - koordiniert für die deutschen Piraten die Zusammenarbeit mit Piraten aus dem Ausland .Foto: Wolfgang Dick
Gregory Engels koordiniert die internationalen PiratenBild: DW/W.Dick
Der Italiener, Francesco Barbato, wechselte als Abgeordneter in Italien zu den Piraten und baut diese dort auf. Foto: Wolfgang Dick
Francesco Barbato, Piratenpartei ItalienBild: DW/W.Dick

Um von den deutschen Piraten zu lernen, war Francesco Barbato nach Bochum gekommen. Der italienische Abgeordnete ist jüngst zu den Piraten gewechselt und unterstützt die Partei beim Aufbau. In seinem Land, das lange von Silvio Berlusconi regiert wurde, sei er für seine politische Entscheidung sogar als Terrorist bezeichnet worden, erzählt Barbato. Das Ansehen der Piraten sei nicht überall so hoch wie in Deutschland, sagt der Italiener. Ihm gefällt, dass die Piraten eine europäische Verfassung fordern und sich in Konfliktfällen stets um eine friedliche Lösung bemühen möchten. Vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen in Italien findet er es richtig, dass deutsche Piraten Lobbytätigkeiten von Politikern verbieten wollen und Nebentätigkeiten auf den Cent genau angegeben werden sollen. Francesco Barbato glaubt, dass man das auch politisch durchsetzen könne.

Vieles ist vertagt

Am Ende des Bundesparteitags der Piratenpartei ist so viel unerledigt geblieben, dass auf einem weiteren Treffen im Mai des kommenden Jahres weiter an den politschen Grundpositionen gearbeitet werden soll. Parteichef Bernd Schlömer möchte sich dafür einsetzen, dass im Internet ein ständiger Dialog mit Parteimitgliedern stattfindet. Das würde viele Diskussionen verkürzen und irgendwann vielleicht auch große Parteitreffen überflüssig machen. Schon am 20. Januar 2013 müssen sich die Piraten bei der Wahl im Bundesland Niedersachsen bewähren. Dass die jetzt vereinbarten Ziele die Wähler überzeugen und möglicherweise sogar den Einzug in den Bundestag ermöglichen, hoffen die Piraten zwar, aber sicher sind sie sich nicht. Die Kommentare deutscher Medien fallen verhalten bis skeptisch aus: "Gedankliches Stückwerk", "Man muss noch mit ihnen rechnen", "Ein Lebenszeichen - mehr nicht".