Die Freunde der Weisheit
21. September 2010
"Es gibt kein Fach, das so stark am Puls der Zeit ist wie die Philosophie." Das sagte vor wenigen Jahren Julian Nida-Rümelin, selbst Philosoph, vor allem aber bekannt als ehemaliger Kulturstaatsminister in den Zeiten der rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Studierende lassen sich von diesem Lob und verbalen Verdienstorden nicht beeindrucken. 1996 waren noch fast 24.000 Studenten in Philosophie eingeschrieben, heute sind es weniger als 15.000.
Was aber nicht nur an der mangelnden Aussicht auf einen gut bezahlten Job liegt, sondern auch schlicht daran, dass Philosophie lange Zeit wie andere geisteswissenschaftliche Fächer gerne als Parkstudium genutzt wurde, um günstig krankenversichert zu sein. Mit Einführung von Bachelor, Master und Studiengebühren trennte sich die Spreu vom Weizen. Die an der Philosophie Interessierten blieben, die pro forma-Studenten verschwanden. Geblieben ist der Ruf und Vorwurf, viele Philosophen würden allzu häufig Unverständlichkeit als Tiefsinn verkaufen.
Unverständlichkeit war gestern
"Natürlich stimmt nicht, dass Tiefsinn Unverständlichkeit ist" betont der 30 Jahre alte und höchst leidenschaftliche Philosophie-Professor Markus Gabriel von der Uni Bonn. Allerdings gebe es in Deutschland eine gewisse Tradition philosophischen Nebelwerfens. Darüber habe schon Schopenhauer gespottet und alle deutschen Philosophen "Schleiermacher" genannt nach dem Philosophen Friedrich Schleiermacher, den er gerne und oft kritisierte. Das heutige Problem aber sieht Gabriel anderswo. Heute würde mangelnder Inhalt hinter seichter Oberflächenverständlichkeit versteckt. Es gehe um rasche Konsumierbarkeit: "Philosophische Gedanken müssen heute, wenn sie überhaupt präsentiert werden, in Wikipedia-Form darstellbar sein." Und das sei dem philosophischen Gedanken nicht angemessen. Denn der fordert Komplexität, um einer komplexen Lebenswelt gerecht zu werden.
Präsentiert werden philosophische Gedanken ohnehin nur selten. Vorbei die Zeit, als große Sozialphilosophen wie Horkheimer, Adorno und Markuse stundenlang in Hörfunk und Fernsehen dozieren konnten. Das war Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Die Präsenz heutiger Philosophen in den Medien ist gering, es gibt sie aber auf Nischenplätzen. Etwa seit 1999 in der kleinen feinen Hörfunksendung "Das philosophische Radio" beim WDR und beim Zweiten Deutschen Fernsehen seit 2002 mit dem "Philosophischen Quartett".
Philosophie als Lebenshilfe
Der Philosoph David Precht hat gezeigt, wie lebensnah und vor allem wie erfolgreich Philosophie sein kann. Monatelang war sein 2007 erschienenes Buch "Wer bin ich und wenn ja wie viele" auf den Bestsellerlisten. Lebenssinn suchen Menschen inzwischen nicht mehr nur beim Psychologen und Therapeuten. Philosophische Beratung, vor 20 Jahren noch exotisch, gibt es heute in jeder deutschen Großstadt. Dass das Centraltheater in Leipzig für sein Personal einen eigenen Hausphilosophen engagiert hat, ist da nur stringent.
Die Grundfragen der Philosophie "Wer bin ich - woher komme ich - wohin gehe ich" haben sich heute eher noch verschärft, sagt Philosoph Markus Gabriel. Seit Ende des 18. Jahrhunderts befänden wir uns in einer Art Dauerrevolution der Lebenswelt mit zunehmender Geschwindigkeit der Umwälzungen, in letzter Zeit vor allem durch das Internet und technische Produkte wie das Iphone. Sollen wir alles wollen, was wir können? Die Philosophie ist dazu da, die richtigen Fragen zu stellen und Orientierungshilfe zu leisten, von der Stammzellendebatte bis zur Diskussion um Sterbehilfe oder die aktuelle Auseinandersetzung um die Integration von Ausländern.
Autor: Günther Birkenstock
Redaktion: Klaus Gehrke