Altmaier lädt zum EU-Bürgerdialog
11. Juli 2018Stephan Fischer reckt sein Plakat in die Höhe. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ist auf dem Weg zum Bürgerbildungszentrum Antonio Amadeu in Eberswalde. In wenigen Minuten soll in dem historischen Schulgebäude Altmaiers erster EU-Bürgerdialog stattfinden. Der Mittvierziger Fischer, der seit zehn Jahren in der Stadt lebt, will dem Minister seine Meinung sagen. Dazu hat er den Wahlslogan von Altmaiers Unionsparteien auf einem Plakat umgeschrieben. "Für ein Deutschland, in dem wir früher gut und gerne lebten", heißt es jetzt.
Das "früher" habe er eingefügt, erklärt Fischer, weil die Regierungen unter Kanzlerin Merkel "schlimme Änderungen" an Recht und Gesetz in Deutschland zu verantworten hätten. Merkel habe, um Europa vermeintlich zu retten, wiederholt gegen "geltendes europäisches Recht" verstoßen. So sei mit dem Geld deutscher Steuerzahler das bankrotte Griechenland mit Milliarden-Krediten raus gehauen worden. Und dass, obwohl die Euro-Mitgliedschaft der Bundesrepublik nie vorgesehen habe, dass überschuldete Länder andere Euro-Staaten mitfinanzieren sollten.
Europa näher bringen
"Eine Regierung, die sich nicht an das Recht hält, ist nicht besser als eine Räuberbande", sagt Fischer in Anlehnung an einen antiken Philosophen. Und diesen Vorwurf wird er dem amtierenden Wirtschaftsminister und Merkel-Vertrauten Altmaier wenige Minuten später um die Ohren hauen. Zu seinem Erstaunen wird er dazu vom Minister förmlich aufgefordert. "Werfen sie mir ruhig etwas an den Kopf" - dafür sei er schließlich als Minister da, begrüßt Altmaier die knapp 100 Gäste. Ein erstes Test-Voting der Moderatorin ergibt, dass an diesem Abend mehrheitlich europafreundliche Eberswalder der Einladung gefolgt sind. Viele ältere, aber auch einige jüngere.
Wirklich repräsentativ ist die Auswahl nicht. Schließlich deuten die Ergebnisse der Bundestagswahl an, wie in der Kreisstadt rund 60 Kilometer von Berlin entfernt, über Europa gedacht wird. So konnte die europakritische und rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) 21 Prozent der Stimmen erringen. In kleineren Stadtteilen gewannen die Rechtspopulisten sogar bis zu 37 Prozent. Das macht ein konstruktives Gespräch über die Chancen grenzüberschreitender Zusammenarbeit schwierig.
Peter Altmaier scheint das nicht zu stören. Er kämpft für den europäischen Gedanken. Er ist seit 24 Jahren im Bundestag und seit vier Monaten Wirtschaftsminister, sagt er. Und er verweist mehrfach darauf, dass man als gebürtiger Saarländer ja ohnehin keine andere Wahl habe als Europa zu lieben. Das führte Altmaier zwischenzeitlich sogar in den Dienst der EU-Kommission in Brüssel, die in Eberswalde vor allem als Quelle überbürokratischer Richtlinien bekannt ist.
Beim Bürgerdialog gibt Altmaier sich betont bodenständig, witzelt in saarländischen Dialekt und versucht, die Entscheidungswege auf EU-Ebene in einfacher Sprache verständlich zu machen. Gefragt nach dem Brexit ist Altmaier sicher, dass es dabei keine Gewinner geben könne.
Ist Europa für die vielen Geflüchteten verantwortlich?
Ein junger Mann im Karohemd fragt den Minister, wie die europäische Grenzpolizei Frontex mit gerade einmal 10.000 Mitarbeitern die Außengrenzen der gesamten EU schützen wolle. Schließlich bedeute das ja, so der Jugendliche weiter, dass nur ein Mitarbeiter einen Kilometer EU-Außengrenze bewachen würde. Der Minister winkt ab: Frontex sei nie als Ersatz, sondern immer als Ergänzung der nationalen Grenzschützer gedacht gewesen. "Natürlich müssen die Italiener, die Spanier und die Polen ihre Grenze weiter schützen", sagt Altmaier.
Dann ergreift Stephan Fischer das Saal-Mikrofon. Der Demonstrant ist irritiert. "Herr Minister, sie vermitteln hier so eine Atmosphäre, als wären wir auf einer Kaffeefahrt." Als er die rund 300 Facebook-Einträge auf der Veranstaltungswebseite durchgescrollt habe, seien ihm vor allem Wut und Ärger entgegen geschlagen. Und jetzt werde hier so eine brave Fragestunde abgehalten?
Und in der Tat: Wäre der Minister nicht mit seiner schwarzen Limousine, sondern mit der Bahn zum Termin angereist, dann hätte er bereits am Bahnhof deutlich kritischere Töne zu hören bekommen. "Europa ist das Problem", erklärt dort eine ältere Frau, die sich auf einer Bank zusammengekauert an ihrer Zigarette festhält. Offene Grenzen bezeichnet sie als Gefahr. Die Stadt Eberswalde hat bis heute rund 1.500 Geflüchteten eine neue Heimat gegeben.
Auch beim Bürgerdialog geht es um das Thema Migration, vor allen Dingen um die Begrenzung von Migration. "Die Leute erwarten, dass wir Menschlichkeit und Härte so kombinieren, dass wir unseren humanitären Verpflichtungen gerecht werden, aber auch ein klares Signal setzen an die, die das ausnutzen." Zum Streit zwischen CDU und CSU um einen möglichen nationalen Alleingang in der Migrationspolitik gibt der Minister erstaunlich offenherzig Auskunft. "Auch wenn ich eben gesagt habe, das Streit nicht schlecht ist: In diesem Punkt habe ich mich fast geschämt."
Mit Würstchen und Spritzkuchen zum nächsten Bürgerdialog
In knapp zwei Stunden beantwortet der Minister weitere Fragen im Akkord: zu EU-Agrarsubventionen, zu europäischen Fördergeldern für Ostdeutschland und zur bevorstehenden Europawahl. Was an Ideen, Wünschen und Kritik beim Politik-Talk gesammelt wird, das soll die künftige Europapolitik der Bundesregierung mitgestalten, verspricht der Minister dem Publikum. "Wir werden nicht alle überzeugen können", gibt sich Altmaier selbstkritisch. Aber dennoch glaube er, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland zu diesem Staat und seiner Demokratie stehe.
Stephan Fischer können die Ausführungen des Ministers nicht wirklich überzeugen. "Ich gehe wieder mit dem Gefühl nach Hause, dass die Bundesregierung so weitermachen will wie bisher." Und genau das sei dafür mitverantwortlich, dass mit der AfD die extremen Ränder so stark geworden seien. Wenigstens als Mensch sei er dem Politiker Altmaier an diesem Abend aber ein Stück näher gekommen, gesteht Fischer zum Schluss. "Ich habe ihn ein paar Mal in Berlin erlebt, da war er nicht so bodenständig."
Schon in wenigen Wochen sind vier weitere EU-Bürgerdialoge geplant. In anderen Regionen, mit anderen kulinarischen Highlights.