Lösen Enzyme bald das Plastikproblem?
9. Mai 2023Ausgerechnet im Dreck vor einer Fabrik für Kunststoffe hat der Forscher Uwe Bornscheuer seine bahnbrechende Entdeckung gemacht.
Der Professor der Universität Greifswald und sein Team fanden heraus, dass dort vorkommende Bakterien bestimmte Enzyme in sich tragen, die Polyurethan zersetzen können - dieser Polymer-Kunststoff wird bei der Herstellung von Schaumstoff, Laufschuhen, Matratzen und der Dämmung von Häusern verwendet.
Jedes Jahr werden 16 Millionen Tonnen Polyurethan-Kunststoffe weggeworfen, zwei Drittel davon landen am Ende auf Müllhalden oder in Verbrennungsanlagen. Das Wenige, das recycelt wird, wird meist geschreddert und zu minderwertigen Produkten verarbeitet, etwa Matten als Teppichunterlagen.
Bornscheuer ist davon überzeugt, dass seine Urethanase-Enzyme beim Recyling von Plastik ganz neue Wege eröffnen könnten. Sie schaffen es nämlich, Polymer-Verbindungen sehr schnell in die Grundelemente aufzuspalten. Daraus könnte dann wieder umweltfreundlicheres Plastik hergestellt werden.
"Wir haben ein Stückchen Polyurethan zusammen mit den Enyzmen in einen Laborbecher gelegt. Nach zwei Tagen war es komplett abgebaut," erzählt Bornscheuer.
"Ich bin sehr zuversichtlich, dass es mit Methoden, die derzeit in unserem Forschungsbereich entwickelt werden, bald Enzyme geben wird, die das in ein paar Stunden können."
Wenn Polymer-Kunststoffe wie Polyurethan durch solche Biokatalyse-Methoden recycelt werden, könnte das die Qualität der Kunststoffe gegenüber mechanischem Recycling deutlich verbessern. Gleichzeitig wäre das effizienter, umweltfreundlicher und weniger energieintensiv als bisherige industrielle Verfahren.
Winzige Enzyme können PET-Flaschen zersetzen
Enzyme bestehen aus komplexen Proteinmolekülen, sie beschleunigen biochemische Reaktionen. "Sie bringen Dinge zusammen oder trennen sie voneinander", so beschreibt es der Enzymforscher Cesar Ramirez-Sarmiento, außerordentlicher Professor am Institut für Biologie und Medizintechnik der Pontificia Universidad Católica de Chile.
Doch der weltweite Berg an Plastikmüll, der künftig durch Biokatalyse recycelt werden könnte, wächst stetig. Wurden 2019 weltweit 460 Millionen Tonnen erdölbasierte Kunststoffe hergestellt, könnten es bis 2060 jährlich über eine Milliarde Tonnen sein. Derzeit wird nur etwa neun Prozent mit konventionellen, energieintensiven Methoden recycelt.
Einen kleinen Erfolg gab es bereits bei der Verwendung des sogenannten PETase-Enzyms für PET (Polyethylenterephthalat), das häufig für die Produktion von Flaschen, Kleidung und Verpackungen verwendet wird.
Das französische Unternehmen Carbios, das zum Teil von Giganten der schnelllebigen Konsumgüterindustrie wie Nestlé und PepsiCo sowie von Bekleidungs- und Kosmetikunternehmen wie Patagonia, Puma und L'Oreal finanziert wird, hat in der zentralfranzösischen Region Clermont-Ferrand eine Demonstrationsanlage entwickelt. Dort können laut Firmenangaben mithilfe genetisch veränderter Enzyme zwei Tonnen PET in zehn Stunden aufspalten werden.
Die PET-Abfälle werden dort zu Pellets verarbeitet, die durch PETase-Enzyme in kleine Moleküle, die sogenannten Monomere sowie Abfallstoffe zerlegt werden. Die Monomere können dann zur Herstellung von zu 100 Prozent recycelten PET-Produkten weiterverwendet werden. Das ermöglicht, so die Firma, eine fast unbegrenzte Herstellung von neuem PET. Die Mini-Moleküle können auch zur Herstellung ganz anderer Produkte, wie etwa für Arzneimittel, genutzt werden. Bei diesem Verfahren werden gleichzeitig die Abfallstoffe und die Enzyme verbrannt.
Das Unternehmen baut derzeit eine Anlage mit einer Kapazität von 50.000 Tonnen pro Jahr, was zwei Milliarden Plastikflaschen entspräche. Sie soll 2025 in Betrieb gehen.
Weltweit werden jedes Jahr etwa 600 Milliarden PET-Flaschen hergestellt.
Forschungsteams auf der ganzen Welt arbeiten daran, weitere neue Enzyme zu finden, die PET effizienter und schneller und unter verschiedenen Temperatur- und Druckbedingungen abbauen. Ramirez-Sarmiento hat bis in die Antarktis nach neuen Enzymen gesucht, die bei niedrigen Temperaturen arbeiten können.
Funktioniert enzymatischer Abbau auch für andere Kunststoffe wie PE und Polystyrol?
Laut Dongming Xie, außerordentlicher Professor für Chemietechnik an der Universität von Massachusetts Lowell in den USA, ist das Interesse an der Technologie des enzymatischen Abbaus in den letzten Jahren stark gewachsen - zeitgleich mit der Entscheidung in China und Indonesien, den Import von Plastikmüll aus meist westlichen Ländern stoppten.
"Ich denke, in diese Richtung wird es in Zukunft gehen. So müssen wir es machen, und nicht nur bei PET-Kunststoffen", so Xie.
Würmer fressen sich durch die Plastiktüte
Eine zufällige Entdeckung der Mikrobiologin Federica Bertocchini aus dem Jahr 2012 hat sich als vielversprechend für Polyethylen (PE) erwiesen. Daraus besteht etwa 30 Prozent des weltweit erzeugten Plastiks, auch Lebensmittelverpackungen, Behälter und Plastiktüten.
Bertocchini ist Hobbyimkerin, sie hatte aus ihren Bienenstöcken Wachswürmer, eine Parasitenart, entnommen, und in einer Plastiktüte gesammelt. Sie bemerkte, wie die Larven Löcher in die Tüte fraßen: durch biochemischen Abbau des Plastiks. Daraufhin begann eine jahrelange Forschungsarbeit über die Enzyme, die das möglich machen, so Bertocchini. Sie ist leitende Forscherin beim Spanischen Wissenschaftsrat.
Sie fand im Speichel der Wachswürmer zwei Enzyme, die Polyethylen in seine Bestandteile zerlegen können. Anders als bei PET- Bestandteilen können die aufgespaltenen PE-Grundstoffe zwar nicht einfach zur Herstellung von neuen Polyethylenen wiederverwendet werden. Stattdessen zeigen aber erste Forschungsergebnisse, wie man sie für andere Zwecke wiederverwenden könnte, zum Beispiel in der Lebensmittelindustrie.
Aus Stoffen, die durch die enzymatische Aufspaltung von PET entstehen, kann ein wichtiger Aromabestandteil von Vanille erzeugt werden. Auch für die so erzeugten Bestandteile von Polyethylen gibt es sehr wahrscheinlich verschiedene Anwendungen, so Bertocchini.
Die Forschungen haben gezeigt, dass die Enzyme des Wachswurms auch in der Lage sein könnten, einen weiteren Kunststoff, Polystyrol, abzubauen, doch dazu ist weitere Forschung nötig. Doch trotz der vielversprechenden Ergebnisse auf experimenteller Ebene haben Bertocchini und ihr Team Schwierigkeiten, ihre Forschungsarbeit zu finanzieren. Das Labor steht kurz vor der Schließung.
Besserer Umgang mit Kunststoffen und weniger Neuproduktion gegen die Plastikflut
Es wird noch Jahre dauern, bis die Technologie des enzymatischen Abbaus von Kunststoffen reif für die industrielle Anwendung ist. In der Zwischenzeit müsse die Gesellschaft besser mit dem Kunststoff umgehen, der neu produziert wird. Dazu gehört auch zu wissen, woraus er bestehe und wie er richtig entsorgt werden könne, so Ramirez-Sarmiento.
Falsches Abfallmanagement gilt als eine der Hauptursachen für umweltschädliches Plastik im Meer.
Xie findet, die Plastikproduzenten müssten ihren Teil dazu beitragen. "Die Kunststoffindustrie muss mit Biologen zusammenarbeiten", sagt er und betont, bei der Entwicklung der Kunststoffe müsse mehr auf deren Abbaubarkeit geachtet werden, damit sie nach Gebrauch in neue Produkte umgewandelt werden können.
Doch Umweltgruppen bezweifeln, dass neue Enzymtechnologien zum Plastikabbau wirklich viel bewirken werden. "Der Einsatz von Enzymen wird das Plastikproblem nicht lösen. Sie werden nicht in der Lage sein, die riesige Mengen an Plastik zu verarbeiten, die den Markt jedes Jahr überschwemmen", erklärt Judith Enck, Präsidentin der Organisation Beyond Plastics, die sich für ein Ende der Plastikverschmutzung einsetzt. "Die einzige wirkliche Lösung für das Problem der Plastikverschmutzung ist, weniger Plastik herzustellen."
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.