Paul VI. - mehr als der "Pillenpapst"
17. Oktober 2014Just während eine Außerordentliche Bischofssynode über das christliche Familienbild beriet, lief im Vatikan der Countdown zur päpstlichen Würdigung Pauls VI.. Ein merkwürdiges Bild: Hier die Bischöfe aus aller Welt, die sich auf Geheiß ihres Oberhirten Franziskus anschickten, die Kluft zwischen kirchlicher Lehre und Leben auszumessen. Dort das Gedenken an jenen Pontifex, der mit seiner Ezyklika "Humanae vitae" von 1968 genau diesen Graben gerissen hat.
Denn Paul VI. deutete die Weitergabe des Lebens als Teil einer göttlichen Schöpfungsordnung. Ihr hatte sich jeder Gläubige zu unterwerfen. Künstliche Verhütung galt als Sünde – und wurde verboten, ebenso wie Sex vor der Ehe. Deutschlands Bischöfe sahen sich zu einer Erklärung genötigt, in der sie es dem Gewissen jedes einzelnen Christen überantworteten, wie er sich zur kirchlichen Lehre verhält. "Mit der Enzyklika Humanae vitae haben Papsttum und kirchliche Sexuallehre für viele bis heute ihre Glaubwürdigkeit verloren", kritisiert Christian Weisner von der katholischen deutschen Laienorganisation "Wir sind Kirche".
Humanae vitae: kein Biojoghurt
Erst kürzlich unternahm der Antwerpener Bischof Johan Bonny einen unerwarteten Frontalangriff auf die päpstliche Lehre zur künstlichen Empfängnisverhütung. Sie sei mit päpstlicher Autorität gegen erhebliche Widerstände in der Kurie durchgesetzt worden und habe deshalb gegen den Geist der Kollegialität verstoßen, der die Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils prägte, so der belgische Theologe. Kein Zweifel: Bonnys Angriff zielte auf Paul VI. und seine Enzyklika Humanae vitae von 1968. "Heute müssen die Hirten schon froh sein, wenn ihre Schäfchen bei Humanae vitae nicht an einen Biojoghurt denken", ätzt denn auch ein Kommentator des Berliner Tagesspiegel. Die päpstliche Weisung werde nicht nur weithin ignoriert, vermutet er. Sie sei heute kaum mehr bekannt.
Pünktlich zur Seligsprechung hat die katholische Deutsche Bischofskonferenz zu Paul VI. ein Internet-Dossier veröffentlicht, in dem vor allem deren früherer Vorsitzender, Kardinal Karl Lehmann, als Zeitzeuge zu Wort kommt. Sein Credo: Paul VI. sei der "verkannte Papst". Nicht nur habe er das Zweite Vatikanische Konzil fortgesetzt, das sein Vorgänger Johannes XXIII. einberufen hatte. Besonders habe sich Paul VI. um die nachkonziliaren Reformen verdient gemacht. Er habe als erster die Welt bereist und Brücken zur Orthodoxie wie zum Judentum gebaut. "Und er galt rasch durch seinen Einsatz für Evangelisierung, Frieden, Entwicklung und Gerechtigkeit als der erste moderne Papst", so Kardinal Lehmann in der Internetwürdigung der Deutschen Bischofskonferenz.
Tatsächlich legte Paul VI. die Tiara endgültig ab – die Papstkrone als Symbol päpstlicher Machtansprüche hatte ausgedient. Er verfasste 1967 die Sozialenzyklika Populorum progressio, die erstmals den Nord-Südkonflikt, die weltweite Verflechtung der Wirtschaft und den Stellenwert von Bildung in den Blick nahm. Als erster Papst hielt er 1965 vor der UNO eine Rede zum Weltfrieden und wählte dafür den Titel: "Nie wieder Krieg!" Durch seine Begegnungen mit dem orthodoxen Patriarchen von Konstantinopel (1964/65) und durch seinen Besuch beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf 1969 gab er der Ökumene selbst aus Sicht von "Wir sind Kirche" wichtige Impulse. "Die Kirche verdankt ihm eine konsequente Liturgie-Reform", loben die Kirchenkritiker, " die die Einführung der Muttersprache brachte."
Entscheidungen für die Zukunft
"Paul VI. - ein Papst im Zeichen des Widerspruchs", hat der Historiker Ulrich Nersinger seine soeben erschienene Biographie genannt. Auch der Vatikankenner hält Paul VI. für einen verkannten Papst. "Vieles in diesem Pontifikat wies in die Zukunft", bilanziert Nersinger, der Pauls Reisetätigkeit ebenso beschreibt wie die ersten Schritte einer versöhnliche Ostpolitik des Papstes, seine Sympathie für zeitgenössische Kunst und nicht zuletzt die umfassende Kurienreform. Damit machte Paul VI. aus dem "päpstlichen Hof" ein "päpstliches Haus". Zwei von vier Gardekorps wurden unter seiner Ägide gekappt und das vererbbare Amt im Papst abgeschafft.
Das meistverbreitete Foto zeigt den in ein weißes Gewand gehüllten Paul VI. in einer Aufnahme von 1963: ernst dreinblickend, die rechte Hand etwas schüchtern zum Segen erhoben. Das war kurz nach der Papstwahl. Bis 1978 bekleidete der Verlegersohn mit bürgerlichem Namen Giovanni Battista Enrico Antonio Montini das Amt des 262. Nachfolgers Petri. Er starb im päpstlichen Sommersitz Castel Gandolfo.
Mit der Seligsprechung dürfte die kirchenpolitische Debatte über seine Verdienste nicht beendet sein, im Gegenteil. Papst Franziskus würdigte den Vorgänger einstweilen für alle Welt hör- und sichtbar - vor etwa 70.000 Menschen auf dem Petersplatz. Sein Vorgänger sei ein mutiger Christ und der große Steuermann des Zweiten Vatikanischen Konzils gewesen, so der Papst.