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Was tun mit jugendlichen Gewalttätern?

Daniel Scheschkewitz10. Januar 2008

Mit unseriösen Statistiken, ausländerfeindlicher Polemik oder vereinfachten Schuldzuweisungen kann man das komplexe Problem jugendlicher Gewalttäter kaum lösen, meint Daniel Scheschkewitz in seinem Kommentar.

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Themenbild Kommentar
Bild: DW

Deutschland erlebt zur Zeit eine Debatte, die zwar den Wahlkämpfen in den Bundesländern Hessen, Hamburg und Niedersachsen geschuldet ist, die aber trotzdem notwendig ist. Wie tolerant oder widerstandsfähig will die deutsche Gesellschaft gegenüber Jugendkriminalität und wachsender Gewalt in öffentlichen Räumen sein? Das ist eine Frage von durchaus wegweisender Natur, auch wenn sie Hessens Ministerpräsident Roland Koch unzulässig zugespitzt hat.

In einer Münchner U-Bahn wurde ein pensionierter Schuldirektor von Jugendlichen halb totgeschlagen, weil er auf ein bestehendes Rauchverbot gepocht hatte. In Köln drangsalierten Jugendliche Obdachlose und stellten ihre gefilmte Brutalität anschließend im Internet zur Schau. Jagdszenen und Gewaltorgien wie diese finden in Deutschland immer häufiger statt - ausgeübt von Jugendlichen, die sozial verwahrlost, ökonomisch benachteiligt und perspektivisch weitgehend chancenlos sind.

Wirkungslos gewordenes Strafrecht

Häufig, aber längst nicht immer, geht diese Gewalt milieubedingt von ausländischen Jugendlichen aus oder von Jugendlichen, deren Eltern oder Großeltern nach Deutschland eingewandert sind. Wenn sie straffällig werden, greift das deutsche Jugendstrafrecht - unabhängig von der Nationalität. Aber dieses Strafrecht ist durch eine viel zu liberale Anwendung weitgehend wirkungslos geworden.

Roland Koch nun hat diese beklagenswerte Zunahme der Gewalt zum Anlass genommen, für einen härteren Umgang mit jugendlichen Gewalttätern zu werben und spricht von einem Ausländerproblem. Er fordert Arreststrafen als Warnschuss bei Ersttätern, will längere Haftstrafen und eine beschleunigte Abschiebung.

Abschieben - aber wohin?

Bloß - wohin will er die mitten in der deutschen Gesellschaft lebenden Gewalttäter abschieben? In Erziehungslager, die es so in Deutschland hoffentlich nie geben wird, oder gar in ihre Herkunftsländer? In Länder also, mit denen diese Kinder und Jugendlichen kaum mehr etwas zu tun haben, außer vielleicht den Reisepass.

Das Problem der Gewalt ausländischer Jugendlicher ist in Deutschland gewachsen, es lässt sich nicht zurück exportieren. Daran wird auch eine hessische Landtagswahl nichts ändern. Koch mag mit seiner klug kalkulierten Wahlkampf-Rhetorik Anhänger und Wählerstimmen mobilisieren, so wie ihm das schon einmal vor acht Jahren mit seinem Feldzug gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gelungen ist. Das Gewaltproblem auf Deutschland Straßen löst er damit nicht.

Gesetze konsequent anwenden

Gefordert ist vielmehr eine konsequente Handhabung bestehender Gesetze. Viel zu oft werden quasi im Regelverfahren Haftstrafen zu Bewährung ausgesetzt, anstatt dass im offenen Strafvollzug ein vernünftiges Resozialisierungsprogramm bei den Jugendlichen durchgeführt wird. Viel zu lange werden Strafverfahren bei jugendlichen Gewaltdelikten von Richtern und Staatsanwälten auf die lange Bank geschoben.

Das musste selbst Koch dieser Tage zugeben, wobei sein Bundesland Hessen in diesem Punkt sogar einen traurigen Rekord hält. Statt populistischer Sprüche sind gesellschaftliches Handeln und Zivilcourage gefragt. Man muss gesellschaftlichen Autoritäten wieder den Rücken stärken.

Die Jugendlichen, ganz egal, ob sie nun aus Bosnien, Bursa oder Berlin-Kreuzberg stammen, müssen einerseits spüren, dass sie als produktive Mitbürger gebraucht werden. Andererseits muss ihnen von allen Seiten - und dazu gehört auch das eigene Elternhaus - beigebracht werden, dass nur wer Recht und Gesetz respektiert, auch Chancen auf soziale Teilhabe erwarten darf. Anerkennung in Schule und Familie, Ausbildungsplätze und berufliche Integration stoppen kriminelle Karrieren, nicht härtere Strafen oder das Erziehungslager.

Gefährlicher Ursachen-Cocktail

Zweifelhafte Statistiken sollten nicht mehr bemüht werden, um Stammtischparolen zu untermauern. Bei der wachsenden Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen ist das Milieu, die Wohn- und Familienverhältnisse und die Schulsituation ausschlaggebend, nicht aber die Staatsbürgerschaft. Das Gewaltphänomen unter Jungendlichen hat unbestreitbar gesellschaftliche Ursachen, auch wenn sich Straftaten nicht mit dem Umstand auf ihre gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen rechtfertigen oder gar entschuldigen lassen.

Das Problem der zunehmenden Gewalt unter Jugendlichen ist aber auch die Folge von gesellschaftlichen Tabubrüchen. Wo Autorität grundsätzlich in Frage gestellt wird und Sanktionen mit diktatorischem Verhalten und Spießertum gleichgesetzt werden, wo gewaltverherrlichende Videos und Filme schon das Fernsehvorabendprogramm bestücken, können kaum Respekt und Wohlverhalten entstehen. Gewalt in öffentlichen Räumen ist ein westliches Zivilisationsproblem, das sich schnellen Lösungsversuchen entzieht.

Populismus hilft nur den Wahlkämpfern

Politiker wie Roland Koch können und müssen Anstöße geben. Sie sollten aber auch darauf achten, dabei andere nicht vor den Kopf zu stoßen. Die Migranten in Deutschland sind über die Art und Weise, wie diese Debatte geführt wird, zu recht empört. Mag sein, dass sich mit derartigen Schnellschüssen Wahlkämpfe gewinnen lassen, die Verhältnisse verbessern wird diese populistische Debatte kaum.