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Demografischer Wandel wird Ost-Unis treffen

Svenja Üing18. November 2013

Wer in Westdeutschland Probleme hat, einen Studienplatz zu bekommen, versucht sein Glück in Ostdeutschland. Von der Mobilität profitieren die Unis im Westen wie im Osten. Doch die Win-win-Situation ist nicht von Dauer.

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Das Foto zeigt Professor Peer Pasternack, Direktor des Instituts für Hochschulforschung (HoF) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Foto: Pressestelle Uni Leipzig / Jan Woitas)
Bild: Pressestelle Uni Leipzig/Jan Woitas

In Deutschland studieren so viele Menschen wie noch nie. Doch bei aller Freude über den akademischen Nachwuchs ächzen die Hochschulen unter dem Ansturm, vor allem in Westdeutschland. Für die ostdeutschen Hochschulen hat die große Nachfrage einen angenehmen Nebeneffekt: Wer im Westen keinen Studienplatz bekommt, versucht sein Glück im Osten. Dort freut man sich, denn mancherorts würden sonst Studierende fehlen. Dieser Effekt wird jedoch nicht von Dauer sein, denn mit der demografischen Entwicklung werden die Studierendenzahlen deutschlandweit wieder zurückgehen. Deshalb diskutiert das Institut für Hochschulforschung (HoF) am 19. November in Berlin die Entwicklungsperspektiven ostdeutscher Hochschulen. Professor Peer Pasternack leitet das HoF in Halle-Wittenberg.

DW: Herr Professor Pasternack, wer in Westdeutschland keinen Studienplatz findet, geht also fürs Studium in den Osten. Warum ist das keine Dauerlösung?

Professor Peer Pasternack: Die Studienanfänger in Deutschland sind traditionell nicht sehr mobil. 83 Prozent von ihnen studieren in einem Umkreis von 100 Kilometern um ihren Heimatort. Im Moment haben wir aufgrund der großen Studiennachfrage die Situation, dass zahlreiche Studienanfänger ihre Heimat viel weiträumiger verlassen müssen. Das Problem ist: In dem Augenblick, in dem sich die Studiennachfrage an den westdeutschen Hochschulen etwas entspannt, werden die Studienanfänger wieder das traditionelle Mobilitätsverhalten zeigen und tendenziell in ihrer Heimatregion bleiben.

Wann ist denn damit zu rechnen?

Das wird aller Voraussicht nach um 2020 der Fall sein. Es ist, bei aller Vorsicht, zu erwarten, dass sich dann wegen der demografischen Entwicklung diese extrem hohe Studiennachfrage an den westdeutschen Hochschulen etwas entspannt. Und eine geringfügige Entspannung im Westen bedeutet automatisch, dass in Ostdeutschland sehr viele Studierende fehlen werden. Jedenfalls im Vergleich zu der Anzahl, die man benötigt, um die Studienplatzkapazitäten im Osten vollständig zu nutzen.

Studenten in einem großen Hörsaal der Technischen Universität (TUM) in München (Bayern). (Fotot: dpa - Bildfunk)
Ab 2020 wird die Zahl der Studierenden voraussichtlich wieder zurückgehen, sagt HoF-Direktor Peer PasternackBild: picture-alliance/dpa

Rechnen Sie damit, dass dann Fachbereiche oder sogar ganze Hochschulen in Ostdeutschland geschlossen werden müssen?

Ich rechne damit, dass es politische Wünsche gibt, dass Fachbereiche oder Studiengänge geschlossen werden, um Geld zu sparen. Womit ich nicht rechne, ist, dass ganze Hochschulen geschlossen werden. Die sind regionalpolitisch zu wichtig. Über den Föderalismus kann man ja viel Negatives sagen, aber er hat einen großen Vorteil: In den Landtagen sitzen starke Vertreter der Regionen auf einer relevanten politischen Ebene. Und die können dafür sorgen – und tun es auch meist – dass kein Hochschulstandort geschlossen wird.

Worin besteht denn dann das Problem für Ostdeutschland?

In den Regionen Ostdeutschlands, in denen nicht mehr so viele Menschen leben, haben die Hochschulen eine ganz besondere Aufgabe. Sie sind öffentlich finanziert, und damit sind sie die institutionell stabilsten Innovationseinrichtungen in ihren Regionen. Sie sorgen dafür, dass die Regionen nicht abgehängt werden, sondern an die großen Kreisläufe des Wissenstransfers auf der ganzen Welt angeschlossen sind. Das ist zum Beispiel für die Innovationsentwicklungen kleiner und mittelständischer Unternehmen sehr wichtig, die sich keine eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen leisten können und damit auf Partner im öffentlichen Bereich angewiesen sind. Außerdem sind Hochschulen ein sehr wirksames Instrument zur Dämpfung der demografischen Schrumpfung. Wenn Hochschulen ihre Ausbildungsangebote einschränken müssten, würde das automatisch bedeuten, dass die entsprechenden Studieninteressierten abwandern und der Region die Fachkräfte fehlen. Denn wer einmal aus einer geschwächten Region abgewandert ist, das zeigen Studienergebnisse, kommt in der Regel auch nicht wieder zurück.

Wie könnte denn eine mögliche Lösung aussehen?

Die Politik muss akzeptieren, dass die Hochschulen eine wichtige Wirkung in die Regionen hinein haben, auch wenn sie mal in einem Studiengang zwei oder drei Jahre nicht alle Studienplätze auslasten können. Die Hochschulen wiederum müssen sehr viel deutlicher machen, welche Leistungen sie für die Region und für das Bundesland, das sie finanziert, erbringen. Und da sind die Hochschulen bislang noch etwas zurückhaltend.

Reagieren denn die ersten Hochschulen bereits auf diese Herausforderungen?

Ja, es gibt einzelne Hochschulen, die reagieren und klug voraussehen, dass das wichtig sein wird, um allen ihren Fächern eine Überlebenschance zu geben. Die Hochschule Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern oder die Hochschule Harz in Sachsen-Anhalt sind dafür gute Beispiele. Sie sind schon jetzt regional extrem aktiv und gehen auf die Akteure in den Regionen zu.

Das Gespräch führte Svenja Üing.