Nur bedingt arbeitsfähig
21. November 2013Zwei Monate nach der Bundestagswahl am 22. September warten die Deutschen noch immer auf die Bildung einer neuen Regierung. Fast bis Weihnachten müssen sie sich mindestens noch gedulden. Eine Woche vor Heiligabend, am 17. Dezember, könnten die Abgeordneten Angela Merkel (CDU) ein drittes Mal zur Bundeskanzlerin wählen. So sieht der vorläufige Terminplan aus, auf den sich die Parlamentarischen Geschäftsführer der vier im Bundestag vertretenen Fraktionen verständigt haben. Voraussetzung ist, dass sich Konservative (CDU/CSU) und Sozialdemokraten in der Zwischenzeit auf eine gemeinsame Koalition verständigen. Grüne und Linke würden dann die Opposition bilden.
Bis es so weit ist, kommt das Parlament nur eingeschränkt oder gar nicht seinen wichtigsten Aufgaben nach: die Regierung zu kontrollieren und Gesetze zu verabschieden. Theoretisch wäre das zwar möglich, aber praktisch passiert kaum etwas. Denn noch kann keine Seite mit absoluter Sicherheit wissen, welche Rolle sie künftig einnehmen wird und welche inhaltlichen Kompromisse sie bei Abstimmungen dann eventuell eingehen muss.
Für wichtige Anliegen gibt es Sondersitzungen
Diese Ungewissheit ist der Hintergrund für die weitreichende Untätigkeit des Parlaments. Das hat sich schon am 22. Oktober konstituiert, exakt einen Monat nach der Bundestagswahl. Später hätte es nicht sein dürfen, weil das neu gewählte Parlament laut Grundgesetz innerhalb von 30 Tagen zusammentreten muss. Seitdem jedoch gab es für die 631 Mitglieder des Bundestages (MdB) nur wenig zu tun, wenn damit klassische Tätigkeiten eines Abgeordneten gemeint sind.
Am 18. November, also fast vier Wochen nach der Konstituierung des Parlaments, fand auf Antrag der Grünen eine Sondersitzung statt. Einziger Tagesordnungspunkt war ursprünglich eine Debatte über die Ausspähaffäre des US-Geheimdienstes NSA, von der die Bundeskanzlerin durch das Abhören ihres Handys sogar persönlich betroffen ist. Kurzfristig nutzte Merkel dann die Gelegenheit, eine Regierungserklärung zum bevorstehenden Gipfel-Treffen der Europäischen Union (EU) Ende November in Vilnius abzugeben und dabei ein paar Sätze zum Spionage-Skandal zu sagen. Das war es dann aber auch schon.
Eine Notlösung namens "Hauptausschuss"
Für die Arbeitsfähigkeit des Parlaments sind jenseits von Plenarsitzungen aber vor allem die zahlreichen Ausschüsse wichtig. In ihnen sitzen die Fachleute der Fraktionen zu so unterschiedlichen Fragen wie Finanzen, Gesundheit oder Bildung. Was die Abgeordneten in den Ausschüssen erarbeiten, bildet in der Regel die Grundlage für Gesetzesvorhaben. Die Experten geben, je nach Fraktionszugehörigkeit, Empfehlungen zum Abstimmungsverhalten ihrer Kollegen. Schließlich kann sich niemand in allen Themen bis ins letzte Detail auskennen.
Um unter den gegebenen Umständen ein Minimum an Arbeitsfähigkeit zu gewährleisten, soll nun auf einer weiteren Sondersitzung am 28. November auf Antrag von CDU/CSU und SPD ein sogenannter Hauptausschuss gebildet werden. Das kündigte Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) am Mittwoch an. Aufgabe des Hauptausschusses wäre es vor allem, sich mit termingebundenen Themen zu befassen und die dafür benötigten Anträge zu formulieren.
Parlament muss über Auslandseinsätze abstimmen
Dazu gehören anstehende Mandatsverlängerungen für Auslandseinsätze der Bundeswehr, die bis Ende des Jahres befristet sind. Und da die Bundeswehr eine sogenannte Parlamentsarmee ist, dürfen Soldaten nur mit Zustimmung der Volksvertreter beispielsweise nach Afghanistan oder auf den Balkan abkommandiert werden.
Dass anstelle der Fachausschüsse vorübergehend ein für alle Fragen zuständiger Hauptausschuss die ganze Parlamentsarbeit erledigen soll, begründete Bundestagspräsident Lammert mit dem Fehlen einer neuen Regierung. Denn die Ausschüsse sollen sich spiegelbildlich an den Ministerien orientieren, heißt es zur Begründung. Da sich Zahl und Zuschnitt der Ressorts ändern könnten, wollen CDU/CSU und SPD erst die Regierungsbildung abwarten. Trotzdem hätte das Parlament einige Ausschüsse schon wählen können, weil sie gemäß Grundgesetz verpflichtend vorgesehen sind. Dazu zählen die für Verteidigung, Auswärtiges und EU-Angelegenheiten.
Linke: "Wir werden nicht fürs Rumsitzen bezahlt"
Ein Antrag der Linken, diese und sechs weitere Fachausschüsse schon einmal zu bilden, fand jedoch keine Mehrheit. Die potenziellen schwarz-roten Koalitionspartner stimmten dagegen, die Grünen enthielten sich. Der stellvertretende Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch warf CDU/CSU und SPD deshalb vor, sie würden mit ihren sich hinziehenden Koalitionsverhandlungen das Parlament "zur Geisel" machen. Der Bundestag sei der Souverän. "Wir alle werden hier nicht fürs Rumsitzen bezahlt", empörte sich der Linken-Politiker.
Parlamentspräsident Lammert verteidigte das umstrittene Vorgehen: "Der jetzt gefundene Weg erscheint mir ein vertretbarer und zumutbarer". Bei den Grünen stößt die provisorische Lösung eines Hauptausschusses hingegen auf Skepsis. Deren Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte in einem Interview des ARD-Fernsehens, es handele sich um den Versuch, "das Parlament kalt zu stellen". An ihrer Einschätzung kann sich frühestens Mitte Januar etwas ändern. Dann endlich sollen wieder die in einer Legislaturperiode üblichen Sitzungswochen mit jeweils drei Debattentagen stattfinden. Auf der ersten Sitzung im Jahr 2014 könnten sich die Fachausschüsse konstituieren - wenn es bis dahin eine Regierung gibt…