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Panzer fahren für die Artenvielfalt

Karin Jäger3. Oktober 2015

Militärbetrieb und Naturschutz, Manöver, Munition und seltene Arten. Passt das zusammen? Ja, wie die Praxis zeigt. Viele deutsche Militärflächen von einst haben sogar den Status eines Nationalen Naturerbes erhalten.

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Panzer fahren für den Naturschutz in Koblenz Foto: Heinz Strunk
Bild: Heinz Strunk

Wie angewurzelt stehen die kleinen Pferde in einer Gruppe zusammen, während Rinder mit imposanten Hörnern in Eintracht grasen. Die Schmidtenhöhe, Weidelandschaft mit vereinzeltem Baumbewuchs oberhalb von Koblenz, ist ein Refugium für Tiere, Pflanzen und Menschen - nicht erst, seitdem die Bundeswehr das Panzerbataillon 1992 abzog.

Nabu-Naturschützer Heinz Strunk Foto: privat
Heinz Strunk mit Gelbbauchunke in WarntrachtBild: privat

Einen "halben Herzinfarkt" habe er damals bekommen, als er von den Rückzugsplänen hörte, erzählt Heinz Strunk vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Die Stadt Koblenz erwog, die Fläche zu bebauen. Auch eine LKW-Teststrecke war im Gespräch. "Damit die offene Landschaft erhalten bleibt, die durch die Panzer entstanden war, müsste man das ganze Areal einzäunen und Großvieh darauf halten", schlug der Naturschützer stattdessen vor.

Auf dem Gelände hatten Soldaten in schweren Kettenfahrzeugen über Jahrzehnte den Ernstfall geprobt und deutliche Spuren hinterlassen. "Doch gerade auf dieser zerfurchten, umgepflügten, vegetationsarmen Landschaft hat der Mensch nicht durch Dünger, Pflanzenschutzmittel oder Gülle eingegriffen", erläutert Strunk seinen Ansatz. "Es gibt auch keine Zersiedelung durch Straßen oder Bebauungen. Das ist ein idealer Lebensraum für seltene Arten." Seine Idee überzeugte schließlich die Landespolitiker. Die Schmidtenhöhe erhielt den Status "Naturschutzgebiet" und "Nationales Naturerbe".

Koniks Foto: Heinz Strunk
Koniks gehören zum Landschaftsbild auf der SchmidtenhöheBild: Heinz Strunk

Der Nabu bekam die Aufgabe, für die Erhaltung der Biodiversität zu sorgen. Damit die halboffene Weidelandschaft nicht zuwächst, schaffte man Koniks an, zierliche Wildpferde, die strohige Gräser fressen. Auch robuste Taurusrinder, eine alte Rasse, finden in der kargen Landschaft ganzjährig optimale Bedingungen. Um die Population in Grenzen zu halten, hat der Nabu einen biozertifizierten Agrarbetrieb angemeldet. Es gibt lange Wartelisten für potentielle Rindfleischkäufer. Die Einnahmen finanzieren zwei Tierbetreuer, einen Tierarzt, Geräte und den Bau einer Scheune.

Biotop-Pflege mit Panzern

Rentner Strunk ist fast täglich auf der Schmidtenhöhe. Bei Exkursionen zeigt er Kindern und Erwachsenen Lurche und Vögel wie Neuntöter, Feldlerche und Wendehals sowie Pflanzen wie Knabenkraut und die eine oder andere der 15 Orchideenarten.

Der Nabu-Mann hat hier 15.000 Fotos gemacht, 140 Vogelarten registriert und Gelbbauchunken, Unken und Laubfrösche beobachtet. Die Amphibien hausen in seichten Schlammlöchern, welche die Panzer in den Boden gepresst haben. Wegen ihres Artenreichtums wurde die Schmidtenhöhe sogar zum europäischen Schutzgebiet erklärt. Der Zugang für Menschen ist nur eingeschränkt möglich.

Gelbbauchunke Foto: Heinz Strunk
Eine Seltenheit: GelbbauchunkeBild: Heinz Strunk

Nur an einem Wochenende im Jahr wird es richtig laut auf der Hochfläche: Wenn die Mitglieder des Vereins Military Vehicle Drivers (MVD) mit amtlicher Genehmigung in ihren Kettenfahrzeugen durchs Gelände brettern. Dann steht auch Heinz Strunk mal im Panzer, um die Richtung vorzugeben: "Das schwere Gerät verdichtet den Boden, es entstehen kleine Senken, die sich bei Regen mit Wasser füllen. Ließen wir die Maßnahmen selbst durchführen, würde uns das pro Jahr 15.000 Euro kosten. So sind wir den MVDlern dankbar", freut sich Strunk.

Streumunition auf DDR-Militärgelände

Auf der Schmidtenhöhe schossen die Soldaten nur mit Laser und Platzpatronen. Andere Areale dagegen haben Bundeswehr, Nationale Volksarmee und NATO-Alliierte bei Manövern und Schießübungen stark kontaminiert. Schieß- und Truppenübungsplätze auf Flächen in der ehemaligen DDR sind noch heute gespickt mit Munition, verseucht mit Öl, Diesel und Benzin der Militärfahrzeuge. Allein auf dem früheren Bombodrom bei Wittstock, das die Sowjettruppen zwischen 1952 und 1993 für Luft- und Bodenübungen nutzten, lagern Schätzungen zufolge mindestens 1,5 Millionen scharfer Munition, Granaten, Minen und sogar Streubomben, die zu den geächteten Munitionsarten zählen.

Die Heinz-Sielmann-Stiftung und der Naturpark Stechlin-Ruppiner Land wollen auf der Magerrasen- und Heidevegetation auf 119 Quadratkilometern den Naturschutz und Naturtourismus fördern. Allerdings haben sie auch das schwere Erbe der Altlastenbeseitigung angetreten.

Lothar Lankow ist als Projektleiter der Heinz-Sielmann-Stiftung für die Sicherheit verantwortlich. Die Schlagbäume verschließt er beim Betreten und Verlassen sorgfältig. Der 69-Jährige war schon zu DDR-Zeiten als Munitionsexperte tätig. "Die Hälfte des auf 13 Kilometer geplanten Wanderweges wurde bereits von Munition geräumt", erzählt er. "Das haben Fachfirmen übernommen, die mit Sonden nach Störungswerten im Boden suchten. Dann wurde manuell gegraben. Tiefere Schichten wurden mit dem Bagger umgegraben. Schicht für Schicht. Ganz vorsichtig", erklärt Lankow.

Militärisches Absperrgebiet Foto: Karin Jäger
Bombodrom - wegen Hinterlassenschaften der Sowjets gesperrtBild: Privat

"Mindestens 500 Millionen Euro würde die Dekontaminierung der Fläche kosten", schätzt Rainer Entrup, Forstdirektor bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Da kommen die Informations- und Orientierungstafeln mit Sicherheitshinweisen und die Schranken zu den nicht begehbaren Bereichen günstiger.

Lothar Lankow Foto: Heinz-Sielmann-Stiftung
Munitionsexperte und Wanderführer Lothar LankowBild: Heinz Sielmann Stiftung

Ab kommendem Frühjahr (2016) können Touristen bei Kutschfahrten das geräumte Gebiet erkunden. Und Lothar Lankow wird als Wanderführer die Aufgaben des Naturschutzes erklären. Die Heinz-Sielmann-Stiftung will die einzigartige Heidelandschaft erhalten. Kiefermonokulturen sollen in Mischwälder umgebaut werden. Wolf, Wiedehopf und Fischadler wurden schon gesichtet.