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PolitikAsien

Belästigungsvorwurf gegen deutschen Top-Diplomaten

Birgitta Schülke | Naomi Conrad
15. Juni 2022

Auf einer LGBTQ-Veranstaltung in Karachi soll ein deutscher Diplomat eine Frau sexuell belästigt haben. Das Auswärtige Amt will ihn jetzt von seinem Posten abberufen. Eine DW-Investigation.

https://p.dw.com/p/4Cju7
Deutscher Top-Diplomat auf einer LGBTQ-Veranstaltung in Karachi
Ein deutscher Spitzendiplomat wird beschuldigt, auf einem LGBTQ-Fest in Pakistan übergriffig geworden zu seinBild: Urvah Khan

Es ist ein ganz besonderer Abend mit Live-Musik und Stand-up-Comedy. Im November 2021 treffen sich Mitglieder der LGBTQ-Community und ihre Unterstützer in der pakistanischen Hafenstadt Karachi zu einer Kulturveranstaltung.

Das Event, organisiert von der kanadisch-pakistanischen Rockmusikerin Urvah Khan, wird vom deutschen Generalkonsulat in Karachi mitfinanziert. Das sogenannte ScrapFest, so Khan gegenüber der DW, sei als "Schaufenster" gedacht, das "die talentierten Spinner, Querköpfe und Außenseiter unserer Gesellschaft feiert".

Nur eingeladene und überprüfte Gäste bekommen Zutritt. Denn in Pakistan ist Homosexualität immer noch ein Verbrechen, basierend auf Gesetzen, die noch aus der Kolonialzeit stammen. Queere Menschen sind gezwungen, sich in der Öffentlichkeit sehr vorsichtig zu verhalten.

Ein sicherer Raum für die LGBTQ-Community

Auf dem ScrapFest, so berichten Gäste, hätten sie sich zunächst sicher gefühlt. Weil es eine der wenigen Gelegenheiten gewesen sei, um unbeschwert sie selbst zu sein. Doch schon bald soll die Veranstaltung für viele zu einem traumatischen Erlebnis geworden sein, das sie bis heute nicht vergessen können.

Zunächst ist die Stimmung auf dem sehr gut besuchten Fest ausgelassen. Musiker und DJs treten auf. Eine Künstlerin gibt ihr Debüt mit einem Stück über emotionalen und körperlichen Missbrauch: "Ihr seid dazu gemacht, verarscht zu werden, übergangen zu werden, über euch zu reden, kleine Mädchen... Versteht ihr das nicht?"

Zeilen, die im Nachhinein fast prophetisch erscheinen. Denn nur kurze Zeit später wird ein weiblicher Gast offenbar von einem hochrangigen deutschen Diplomaten, Mitte 60, begrapscht, wie VICE News im Mai zum ersten Mal berichtete.

Botschaftsschild Außen Pakisten
Das Auswärtige Amt sagt, es habe keine Beweise gefunden, die den Top-Diplomaten eindeutig belasten

Das Auswärtige Amt hat die Vorwürfe untersucht und zieht jetzt Konsequenzen. Nach exklusiven DW-Informationen soll der Diplomat in wenigen Wochen abberufen werden. Gleichzeitig aber erklärt das Auswärtige Amt gegenüber der DW, man habe den "spezifischen Vorwurf der sexuellen Belästigung" nicht nachweisen können.

Das sehen die Gäste des Festes ganz anders.

Das Investigativ-Team der DW hat mit acht Zeugen gesprochen, die auf der Veranstaltung waren, hat Videomaterial analysiert und Textnachrichten gesehen, die der Diplomat mit der Organisatorin der Veranstaltung ausgetauscht hat. Sie zeichnen das Bild eines betrunkenen und enthemmten Mannes.

Vorwurf sexueller Übergriff

Im Interview mit der DW schildert die betroffene junge Frau, die wie die anderen Zeugen aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will, erstmals öffentlich den Übergriff. Sie sei gegen Ende der Veranstaltung in der Nähe der Bühne an dem deutschen Diplomaten vorbeigegangen. Als sie direkt hinter ihm war, habe er sie am Po begrapscht: "Das war auf keinen Fall aus Versehen."

Das Videomaterial zeigt den Moment der mutmaßlichen sexuellen Belästigung. Und auch wenn in dem Bildausschnitt die eigentliche Berührung nicht zu sehen ist, wird deutlich, dass sich der Arm des Diplomaten bewegt, als die Frau an ihm vorbeigeht.

Ein weiteres Indiz: Später am Abend schickt der deutsche Diplomat eine SMS an die Organisatorin Urvah Khan mit dem Bild des Opfers und bittet Khan um deren Kontaktdaten.

Rockmusikerin Urvah Khan auf dem Scrapfest in Karatschi
Die Organisatorin des Events, Urvah Khan, sagt der DW, dass sie sich als queere Jugendliche in Pakistan nie zugehörig gefühlt habeBild: Urvah Khan

Als Khan von dem Vorfall erfährt und den Diplomaten am folgenden Tag konfrontiert, schreibt er in Textnachrichten, die der DW vorliegen: "Ich habe? Bloody hell! Schlimm!!!" und "Ich erinnere mich nur daran, dass sie mich sehr herzlich angelächelt hat, aber ich kann mich absolut nicht an einen Körperkontakt erinnern."

Betrunkener Diplomat soll weitere Frauen belästigt haben

Zwar hat keiner der Zeugen, mit denen die DW gesprochen hat, den sexuellen Übergriff gesehen, doch ihre Aussagen stimmen in wichtigen Punkten überein: Unabhängig voneinander betonten sie, dass der Deutsche sich den Gästen in einer Weise genähert habe, die für sie eindeutig eine Grenze überschritt.

Eine Transfrau berichtet, wie er sie angefasst und ihr ins Ohr geflüstert habe: "Du solltest tanzen, du bist heiß". Eine andere erzählt, wie der Diplomat sie auf die Tanzfläche gezerrt habe: "Ich habe das Gefühl, dass er dachte, sie sind Transgender, also kann man alles mit ihnen machen."

Pakistan: Kampf gegen sexuelle Gewalt

Ein Mann beschreibt, wie unwohl ihm war, als der Deutsche seine Hand auf den Rücken seiner Freundin gelegt habe und sie versuchte, das abzuwehren. Plötzlich, so erzählt er der DW, habe sich die Veranstaltung nicht mehr sicher angefühlt.

Im Laufe des Abends habe er deshalb versucht, seine Freundin zu schützen, indem er sich immer zwischen sie und den deutschen Mann stellte: "Ich dachte, das kann doch nicht sein, dass das hier passiert." Er habe bis dahin immer geglaubt, "dass die Menschen im Westen anders sind", wenn es um die Behandlung von Frauen und Mitgliedern der LGBTQ-Community gehe.

Das Verhalten des Top-Diplomaten habe ihn geschockt:  "Er hat die Veranstaltung finanziert - also hat er sich wahrscheinlich mächtig gefühlt. Er war sehr herablassend."

Er bezieht sich damit auch auf eine Rede, die der Abgesandte Deutschlands gehalten hat. In einem Video, das der DW vorliegt, steht er auf der Bühne, in der einen Hand ein Mikrofon, in der anderen eine Dose Bier. "Ist", so fragt er sichtbar betrunken und deutet auf sein Haar, "mein Blond heute Abend das beste Blond"? Dann lacht er laut ins Mikrofon.

"Deutschland ist ein Land der Freiheit", fährt er fort, "Wir sind hier in Pakistan, um Pakistan zu einem Land zu machen, das in die Zukunft blickt. Wir wollen nicht, dass ihr ein Land seid wie Deutschland, wie es vor 50 Jahren war." 

Das übergriffige und arrogante Verhalten des Diplomaten, wettert eine selbstbewusste queere Besucherin gegenüber der DW, sei "sehr, sehr peinlich für die deutsche Botschaft". Deutschland habe so viel Macht und könne wirklich etwas bewirken. Sie ist immer noch wütend. "Sie sollten ihn feuern - alles andere ist eine Beleidigung!"

Der Diplomat selbst will nicht auf die schriftlichen Fragen der DW antworten und verweist in einer kurzen E-Mail an die Pressestelle des Auswärtigen Amtes.

Eine ermordete Transmensch liegt aufgebart mit rot lackierten Fußnäglen
Nach Daten der Organisation Anwälte für Gerechtigkeit (icj) wurden 2021 in Pakistan mindestens 20 Transmenschen ermordetBild: Asif Hassan/AFP

Keine Anzeige in Pakistan möglich

Keiner der Anwesenden hat in Pakistan Anzeige erstattet. Wie sollten sie auch? Sie haben an einer Veranstaltung für die queere Gemeinschaft in einem Land teilgenommen, in dem Homosexualität immer noch kriminalisiert wird. Die Gesetze werden zwar selten durchgesetzt, aber auf homosexuelle Handlungen stehen lebenslange Haftstrafen oder sogar die Todesstrafe. Auch heute noch ist die LGBTQ-Community Unterdrückung, Stigmatisierung und Gewalt ausgesetzt.

Darüber hinaus wurde den Künstlern und ausgewählten Gästen Alkohol serviert, den der deutsche Diplomat mitgebracht hatte. In Pakistan ist es Muslimen verboten, Alkohol zu trinken, auch wenn viele dies privat tun. 

Der Diplomat, so das Opfer der mutmaßlichen sexuellen Belästigung, war "wahrscheinlich der Meinung, dass er damit durchkommt, weil ich eine dunkle Hautfarbe habe". Doch anstatt den Vorfall totzuschweigen, wandten sich die Anwesenden, zu denen auch prominente Queer- und Trans-Aktivisten gehörten, an das Auswärtige Amt in Berlin.

Organisatorin Urvah Khan, die bis zu dem Vorfall mit dem Diplomaten befreundet war, gibt zu, dass sie eine Weile brauchte, bis sie den Mut dazu fand. Ende April reicht sie schließlich die Beschwerde beim Auswärtigen Amt ein. Sie habe sicherstellen wollen, dass der deutsche Diplomat seine Machtposition nicht länger ausnutzen könne: "Dies ist ein systemisches Problem, das die Art von giftigem Rassismus, Sexismus und Fremdenfeindlichkeit aufzeigt, die bis heute in diesen Kreisen von Diplomaten in einem Land existiert, das eh schon in Schwierigkeiten steckt."

Während Diplomaten aufgrund ihrer Immunität für Handlungen, die sie während einer Entsendung begehen, nicht strafrechtlich verfolgt werden können, ist es möglich, sie nach der Rückkehr in ihrem Heimatland zur Rechenschaft zu ziehen.

Aussenaufnahme mit Spiegelung vom Auswärtigen Amt in Berlin
Nach der Beschwerde hat das Deutsche Auswärtige Amt eine interne Untersuchung eingeleitet Bild: imagebroker/imago

Begrapschen ist in Deutschland strafbar

Denn nach deutschem Recht kann, "wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt", mit bis zu zwei Jahren Haft oder einer Geldbuße bestraft werden.

Zwei Strafrechtsanwälte, mit denen die DW gesprochen hat, bestätigen, dass der Vorfall angesichts der Zeugenaussagen und des Videomaterials durchaus zu einer Verurteilung führen könnte. Aufgrund seiner sichtbaren Trunkenheit, so fügt ein Anwalt hinzu, würde der Diplomat aber wahrscheinlich mit einer Geldstrafe davonkommen.

Nach der offiziellen Beschwerde hat das deutsche Auswärtige Amt im Mai nach eigenen Angaben eine "umfassende Überprüfung" eingeleitet, alle verfügbaren Beweismittel gesichtet und Zeuginnen und Zeugen gehört. Und auch, wenn man den "spezifischen Vorwurf der sexuellen Belästigung" nicht habe nachweisen können, habe man "unangemessenes Verhalten" festgestellt und werde die notwendigen Konsequenzen ziehen.

Eine dieser Konsequenzen ist nach DW-Informationen, dass der Diplomat in den nächsten Wochen aus Pakistan abberufen wird. Das Auswärtige Amt hat sich außerdem dazu entschlossen, ein Beschwerdeformular auf die englischsprachige Website zu stellen, über das sich Betroffene von sexuellen Übergriffen direkt melden können.

Vorfall könnte Deutschlands Ruf schädigen

Die Frau, die den Vorwurf erhoben hat, erklärt gegenüber der DW, sie sei zufrieden. Der Gerechtigkeit sei "bis zu einem gewissen Grad Genüge getan worden". Doch trotzdem könnte dieser Fall dem Ansehen Deutschlands in Pakistan nachhaltig schaden.

Ein hochrangiger europäischer Entsandter, der mehrere Jahre in Karachi tätig war, erklärt gegenüber der DW: "Ein solcher Vorfall schadet in einem islamischen Land wie Pakistan nochmal mehr, weil er Wasser auf den Mühlen von Islamisten ist, die die westliche Kultur ablehnen." Allein, dass die deutsche Botschaft so eine LGBTQ-Veranstaltung überhaupt fördere, sei vielen in dem konservativen Land ein Dorn im Auge. Jetzt könnten sie leicht auf den mutmaßlichen sexuellen Übergriff hinweisen und sagen: "Seht her, das ist es, was der Westen uns zu bieten hat."

Pakistan Protest Verbot Islamisten Partei Tehrik-e-Labaik
Islamisten könnten den Vorfall in Karachi nutzen, um gegen "westliche" Werte Stimmung zu machenBild: REUTERS

Und auch die Tatsache, dass der Diplomat nicht nur Alkohol zum Veranstaltungsort mitbrachte, sondern offensichtlich auch stark alkoholisiert war, sei problematisch: "Das ist peinlich und gefährlich."

In der LGBTQ-Community von Karachi machte die Nachricht von der baldigen Abberufung des Diplomaten schnell die Runde. Ein Mann sagt, er wolle am nächsten Abend bei einem Treffen mit Freunden darauf anstoßen: "Es ist ein wirklich guter Weckruf für alle Diplomaten, dass man mit so etwas nicht davonkommt".

Die Organisatorin des ScrapFests, Urvah Khan, spricht in einem emotionalen Telefonat mit der DW vom "glücklichsten Tag" ihres Lebens. In den vergangenen sieben Monaten sei sie immer wieder davor gewarnt worden, sich mit dem Auswärtigen Amt anzulegen. Das Risiko sei zu groß.

Aber, so sagt sie stolz, "wir haben es geschafft, wir haben gewonnen".

Mitarbeit: Aasim Saleem

Redaktion: Esther Felden

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