Ost-Erheiterung
8. März 2003Natürlich will niemand den Arbeiter- und Mauernstaat wiederhaben. Aber "Schlagersüßtafel"-Schokolade und Trainingsjacken sind kultig, nicht erst, seitdem der Film "Good Bye, Lenin!" die DDR im Mietshaus auferstehen lässt. In Berlin kann man mit Trabis Touren machen, im Stadtteil Köpenick soll sogar ein DDR-Freizeitpark entstehen, samt muffeligen Grenzsoldaten.
Für Birgit Gebhardt vom Hamburger Trendbüro ist das Phänomen der "Ostalgie" aber nicht bloß ein kommerzieller Hype, sondern "ehrliches Interesse". "Die DDR war geografisch nah, aber kulturell sehr weit weg", erklärt die Trendforscherin gegenüber DW-WORLD. "Die meisten wissen gar nicht, was man im Osten für ein Lebensgefühl hatte." Also wird jetzt nachgeholt.
25 Quadratmeter Osten
Von der "Ossi-Späterfahrung" leben Elvira und Hans-Peter Frömmrich. Das Ehepaar betreibt in Stuttgart ein Geschäft namens "Klein-Erzgebirge" – und verkauft auf 25 Quadratmetern "Dev-ossi-onalien" wie Bautzner Senf, "Rondo"-Kaffee und Trabi-T-Shirts. Hans-Peter Frömmrich ist begeistert: "Im Moment haben wir einen Mords-Zulauf", sagt er DW-WORLD.
Die Artikel schaffen die Frömmrichs aus den neuen Bundesländern nach Schwaben, was nicht einfach ist: "Der Handel hat ja eine innerdeutsche Mauer gezogen." Die Kundschaft halte das aber nicht auf, sagt Frömmrich. Von 100 Käufern seien 60 "Ossis". Der Erzgebirgler erklärt das so: "In der Ferne möchten Sie ja auch mal die Sachen aus der Heimat essen." Das ist auch nach dem Ende des Sozialismus machbar.
Das Herz hängt am Produkt, nicht an der Politik
Viele Produkte werden noch hergestellt, auch wenn man sie in Westdeutschland nicht kennt. "Deshalb ist es auch kein normaler Retro-Trend", erklärt Birgit Gebhardt. "Es gibt noch das authentische Produkt, nichts wieder Aufgewärmtes, das man einfach kommerziell auf den Markt wirft." Allerdings blendet der "Wiederaufbau Ost" sämtliche negativen und politischen Aspekte aus, erläutert die Trendforscherin. "Bei der Rückkehr der 70er Jahre ging es auch nicht um den Vietnam-Krieg, sondern nur um Schlaghosen und Blümchenkleider."
Außerdem, sagt sie, wollen die Menschen mit dem DDR-Revival ein Stück Alltagskultur retten, "als Gegenpol zum amerikanischen Lebensstil. Man weiß, dass es davon nicht mehr viel gibt und auch nicht mehr lange." Sie findet es bemerkenswert, "dass auch die Ostdeutschen eine Distanz dazu haben" – sie würden Spreewaldgurken weniger aus DDR-Verliebtheit kaufen, sondern weil das Produkt eben gut sei. Hans-Peter Frömmrich bestätigt das mit dem Standardspruch: "In der DDR war ja auch nicht alles schlecht."
Lektion für Wessis: Viel Party mit wenig Geld
Allzu heftig dürfe das West-meets-Ost-Erlebnis aber auch nicht ausfallen, betont Gebhardt. Einige DDR-Produkte seien für "Wessis" zu ausgefallen - andere dagegen nicht, "weil die schon Charme haben." Von solchen Ost-Resten gebe es aber noch eine Weile genug: "Es ist noch Entdeckerlaune da."
Mittlerweile hat sich die Ostalgie übrigens ausgedehnt, beobachtet die Expertin: Auch Freizeittrends aus Osteuropa schwappen nach Deutschland, vor allem nach Berlin, aber auch bis nach Hamburg. In der Hauptstadt habe vor allem die "Russendisko" des Schriftstellers Wladimir Kaminer dazu beigetragen – oder Treffpunkte wie der "Club der polnischen Versager". Damit, sagt Gebhardt, lernen die notorisch trendskeptischen "Wessis" zweierlei: Selbstironie und "mit wenig Mitteln ordentlich Partylaune verbreiten".