Interaktives Orgelkonzert
23. Mai 2014Die Zuhörer sitzen auf den Kirchenbänken, vor ihnen liegen statt Gesangbüchern ihre Smartphones. Die Leute warten gespannt, denn keiner weiß so genau, was ihn jetzt hier erwartet. Ein interaktives Orgelkonzert soll es werden, bei dem die einzigartige Orgel des Kölner Doms durch eine speziell dafür entwickelte App mit den Smartphones der Zuhörer verbunden wird.
Anlass ist die Digitalkonferenz "Interactive Cologne", die die Veranstalter durch das nächtliche Domkonzert um ein musikalisches Experiment erweitern wollen. Einer von ihnen ist Norbert Oberhaus, der auch das Kölner Musikfestival c/o pop organisiert. "Wir wollten dieses Digitalfestival ein bisschen lebhafter und anfassbarer machen", so Oberhaus. "Daher kam die Idee, die Internetwirtschaft und die Musik zusammen zu bringen. Und das musste schon was ganz Besonderes sein. Und so kamen wir auf den Dom, der ja ein ein unfassbar tolles Gebäude ist." Das Domkapitel zeigte sich von der Idee begeistert und stimmte zu. Ungewöhnlich seien solche musikalischen Experimente nicht, sagt Cheforganist Professor Winfried Bönig. "Im normalen Gottesdienst ist das natürlich nicht die Regel, aber bei besonderen Veranstaltungen spielen wir auch experimentelle Musik."
Der Computer haut in die Tasten
Das erste Stück "Lux et Color", wird von einem Zufallsgenerator gesteuert, analog zum berühmten "Richterfenster", dem riesigen Fenster im Westflügel des Doms, das der Künstler Gerhard Richter geschaffen hat. "Die Idee war, das Richterfenster mit seinen mehr als 11.000 farbigen Quadraten in Musik umzuwandeln," erklärt Norbert Oberhaus.
Die leuchtenden Handys sollen das Farbspiel weiterführen. Winfried Bönig kündigt ein "akustisches Flimmern" an. Bevor der erste Ton erklingt, blinken die Handys bereits erwartungsvoll: türkis, violett, gelb, blau, orange. Weit über dem Publikum: das Richterfenster in der Dunkelheit.
Erst schwirren leise Töne durch das Gewölbe. Sie springen wie kleine Flöhe über die Köpfe der Zuhörer hinweg, alle zwölf Töne der Tonleiter in zufälliger Reihenfolge. Tatsächlich wird daraus eine Art akustisches Flirren, in allen Klangfarben, die die Orgel hergibt. Laut, leise, scharf, weich, mal wenige Töne, mal scheinen alle Tasten gleichzeitig gedrückt zu sein. Das altehrwürdige Instrument wird stark beansprucht. Musikalisch ist das zehnminütige Werk eher Geschmacksache - es sind eben 11.000 verschiedene Töne, gesteuert von einem USB-Stick. Die Register und damit die Klangfarbe und Lautstärke ändert der Organist. Die Größe des Raumes und der Klang sind dennoch beeindruckend.
Das Experiment beginnt
Jetzt kommt der Kölner Komponist Gregor Schwellenbach ins Spiel. Sein Stück "Interactive Composition #1" basiert auf den IP-Adressen der Smartphones der Zuhörer. Es ist eine Mischung aus Komposition und Improvisation. "Den Charakter der Musik habe ich vorher bestimmt", sagt Schwellenbach, "ich habe festgelegt, dass ich eine sieben-tönige Tonleiter benutze, also nur bestimmte Ziffern der IP-Adressen verwende." Aus den Ziffern erstellt er Loops - sich wiederholende Tonschleifen. "Die IP-Adressen sind die Noten, die ich benutze, der Rest ist spontan." Als die Musik beginnt, flimmern tatsächlich die Handys, auf die der Organist gerade zugreift. Erst sind es nur wenige, bis zum Ende hin immer mehr Smartphones blinken, passend zum musikalischen Crescendo.
Licht-Orgel
Bei der abschließenden Orgel-Improvisation setzt sich noch einmal der Cheforganist Winfried Bönig an die Tasten. Nun steuert er über eine Schnittstelle die 380 anwesenden Smartphones: Die Orgel schickt Farben an die Geräte, und die reagieren ensprechend auf die Töne - im Dom leuchtet es bunt.
Die Kommunikation zwischen Orgel und Computer ist durch eine Technik möglich, die es schon seit 1982 in der Musik gibt: Die Midi-Schnittstelle. Hierüber werden Steuerbefehle aus dem Computer an die Orgel geschickt. "Die Orgel ist dafür besser geeignet als andere Instrumente", erklärt Gregor Schwellenbach. "Beim Klavier etwa kommt es darauf an, wie man die Taste spielt. Bei der Orgel macht nicht die Taste den Ton, sondern die Pfeife. Die Taste gibt nur die Information darüber, welche Pfeife dran ist. Daher ist es egal, ob ein Mensch die Orgel spielt oder ein Laptop." Er habe schon oft erklärt, so Schwellenbach, das die Orgel im Grunde ein digitales Instrument sei. Ohne Strom und schon vor tausend Jahren. Denn eine Orgel kenne nur zwei Befehle: Ja und Nein, Eins und Null. "Und daher ist das Midisystem wie gemacht für die Orgel."
Am Ende ist die Stimmung im Publikum gemischt. Musikalisch, so einer der Zuhörer, sei das ja nicht so beeindruckend. "Aber technisch ist das schon abgefahren. So eine Software baut man nicht mal eben so an einem Wochenende." Gregor Schwellenbach ist nach dem Konzert begeistert: "Ein technisch so aufwendiges Ding werde ich wohl nie mehr in meinem Leben so machen, egal, was ich sonst noch so für verrückte Kompositionen machen werde."
Die Technik funktionierte tatsächlich einwandfrei. Zumindest die digitale. Die Orgel des Kölner Doms aber, die ging vor dem dritten Akt in die Knie - das System brauchte eine Art "Neustart".