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"Christenverfolgung nimmt zu"

Günther Birkenstock10. November 2013

Das überkonfessionelle christliche Hilfswerk Open Doors schätzt, dass weltweit 100 Millionen Christen wegen ihres Glaubens verfolgt werden. Eine Besserung der Situation sei nicht in Sicht, sagt einer ihrer Analysten.

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Ausgebrannte Koptische Kirche in Kairo Foto: AFP
Bild: AFP/Getty Images

DW: Herr Müller, die fünf Länder, in denen Christen am meisten verfolgt werden, sind allen voran Nordkorea, dann Saudi-Arabien, Afghanistan, Irak und Somalia. Ist das ein Zustand, der seit Jahren herrscht oder gibt es hier große Veränderungen?

Thomas Müller: Grundsätzlich kann man sagen, das ist ein Zustand, der seit Jahren herrscht. Nordkorea ist beispielsweise zum elften Mal in Folge auf Platz eins unserer Rangliste von Ländern, in denen Christen am meisten verfolgt und unterdrückt werden. Das ist auch nicht verwunderlich, nach dem, was man aus dem Land hört. Es ist eher verständlich, dass man sagt: "Was, da gibt es tatsächlich noch Christen?" Es gibt sie, aber sie müssen in den absolut tiefsten Untergrund gehen. Sobald sie entdeckt werden, droht auf jeden Fall Arbeitslager und manchmal auch noch Schlimmeres.

Gibt es denn auch Länder, in denen eine andere Tendenz zu sehen ist, wo die Christenverfolgung abgenommen hat?

Es gibt Länder, wo ein bisschen Hoffnung da ist. Einige Länder in Südostasien zum Beispiel. Ein Land, das man da herausstellen kann, ist Myanmar, das frühere Burma, was ja auch international dadurch Schlagzeilen gemacht hat, dass die Militärjunta zumindest einen Teil der Macht abgegeben hat. Allerdings: Eine der größten Minderheiten, die es in Myanmar gibt, ist eine christliche Minderheitengruppe, die Kachin. Gegen die kämpft das Militär weiterhin. Von daher kann man durchaus fragen, wer hat in Myanmar eigentlich die wirkliche Macht? Ist es das Militär oder der Präsident? Und in diesem Fall der Kachin oder auch der Shan und anderen Minderheiten trifft es dann die Christen. Und es werden dort ganz speziell Kirchen attackiert, weil sich Menschen dorthin flüchten.

Christenverfolgung weltweit (Foto: DW)

Christenverfolgung hat unterschiedliche Facetten, reicht von direkter physischer Gewalt bis zu Benachteiligungen im Alltag bei Behörden und in Geschäften. Gibt es hier eine Tendenz? Ist die Christenverfolgung gewalttätiger geworden?

Die Tendenz, die wir sehen, ist, dass früher der Staat der Verfolger war. Beispielsweise, wenn Sie an den Kommunismus denken. Und das hat sich in den letzten Jahren ein wenig dahin verschoben, dass Regierungen gemerkt haben, das gibt ganz schlechte Presse, wenn wir gegen christliche oder auch andere Minderheiten vorgehen. Lass uns lieber irgendwelche unabhängigen Gruppen oder angeblich unabhängige Gruppen fördern, die dann gegen die Christen vorgehen.

Insgesamt muss man sagen, die Situation, auch die Gewalttätigkeit, hat sich leider nicht gebessert, ist nicht weniger geworden. Gerade in einem Land, in das viele ja Hoffnung gesetzt hatten, wie Ägypten, sind in letzter Zeit immer wieder schwere, auch schwerste Übergriffe auf die koptische Minderheit verübt worden. Wobei das immerhin acht bis zehn Millionen Menschen sind, einige sprechen sogar von mehr. Deshalb können wir hier nicht mehr von einem Arabischen Frühling sprechen.

Sie erfassen die Christenverfolgung weltweit nicht nur in abstrakten Zahlen, sondern Sie analysieren sehr weitgehend. Kann man da von einigen herausragenden Trends sprechen?

Der Trend ist: Wir sehen den islamischen Extremismus leider immer mehr zunehmen. Es gibt einige Gruppierungen, die es inzwischen leider sogar bis in die westlichen Medien geschafft haben. Ich erwähne da jetzt nur mal die Boko Haram in Nigeria, wo es immer wieder schwere Anschläge gibt, speziell auf Christen. Ein anderes Beispiel aus diesem Jahr wäre Mali, wo im letzten Jahr, dem Beobachtungszeitraum des Index, islamistische Gruppen den gesamten Norden erobert haben. Ganz aktuell ist der Angriff auf die Kirche in Pakistan der schwerste, den es jemals auf eine christliche Kirche gegeben hat in diesem Land. Die Gewalt nimmt also zu und ist auch nicht auf eine bestimmte Region fokussiert .

Das, was Sie beschreiben, zeichnet ein düsteres Bild. Ist das auch Ihre Prognose für die Christenverfolgung in der Zukunft?

So lange nicht verstanden wird, dass bei allen begrüßenswerten Demokratisierungstendenzen, die es in den verschiedenen Ländern gibt, Demokratie nicht nur einfach aus Wahlen besteht, sondern dazu auch immer Minderheitenschutz gehört, so lange sehe ich in diesen Ländern keine Veränderung. Das gilt nicht nur für die Länder, die ich bereits genannt habe, sondern auch für demokratische Länder, wie etwa Indonesien, wo die Demokratie seit einigen Jahren schon sehr gut funktioniert. Aber auch dort ist der Minderheitenschutz einfach nicht gewährleistet, teilweise gibt es gewalttätige Übergriffe auf Christen, teilweise werden schlicht und einfach auch Kirchen geschlossen.

Sie beschreiben den Mechanismus, der im Augenblick zu beobachten ist. Das ist aber keine Prognose. Wie sieht Ihre Einschätzung für die Zukunft aus?

Meine Einschätzung ist, dass es keine Verbesserung geben wird, zumindest nicht in großer Breite. Es kann in einzelnen Ländern immer mal eine Veränderung geben. Es gibt zum Beispiel ein Land wie Bhutan, wo man durchaus sieht, dass es den Christen in den letzten Jahren besser geht, wobei sie immer noch keine Freiheit haben. Aber insgesamt und solange diese muslimischen Extremisten immer stärkeren Zulauf haben, sieht es schlecht aus. Und solange das nicht abnimmt - und dafür haben wir im Moment keine Anzeichen - würde ich sagen, wird es auch keine Verbesserungen geben.

Thomas Müller (Name wurde von der Redaktion geändert) ist Jurist und arbeitet als Analyst bei der Organisation Open Doors, einem überkonfessionellen christlichen Hilfswerk, das in über 50 Ländern mit stark eingeschränkter Religionsfreiheit verfolgte Christen unterstützt. Open Doors erstellt außerdem jedes Jahr eine Studie über die Zahl der verfolgten Christen und die politischen Hintergründe.