Online-Krieg der Sterne
10. April 2018Ganz egal, ob man einen neuen Laptop oder eine Arzt-Praxis in der Nähe sucht oder man wissen möchte, wie der Italiener um die Ecke so ist: Im Internet ist fast alles bewertet oder rezensiert und mit bis zu fünf gelben Sternen gekennzeichnet. Online-Bewertungen dienen als Orientierungshilfe und können darüber entscheiden, ob sich ein Produkt verkauft - oder eben nicht.
Das macht sie für Unternehmen so wichtig. "Es gibt Hotels, die auf einigen Plattformen gar nicht mehr stattfinden, wenn sie nicht eine Mindestanzahl positiver Sterne erreichen. Der Druck wächst", sagt Christian Scherg. Er ist Geschäftsführer der Revolvermänner, einer Agentur für Reputationsmanagement.
Der Druck wächst nicht nur auf Hotels - viele Branchen sind betroffen. "Es besteht ein hoher Wettbewerbsdruck. Die Sichtbarkeit wird heute von den Suchalgorithmen bestimmt und diese Bewertungen fließen in die Suchalgorithmen mit ein", sagt Karsten Gulden, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht. "Wenn sie viele positive Rezensionen haben, dann trägt das dazu bei, dass sie hoch gelistet werden, wenn ein Kunde nach einem bestimmten Produkt sucht."
Positive Rezensionen sind überlebenswichtig. Häufig seien es aber gerade die unzufriedenen Kunden mit "Wut im Bauch", die Bewertungen und Rezensionen schreiben - und nicht die zufriedenen, sagt Scherg.
Krieg der Sterne
Der Druck, möglichst viele positive Bewertungen zu sammeln, führe zu einer Art Bewertungskrieg, so Fachanwalt Gulden. "Wir reden im Grunde genommen von einer Art Wettrüsten, was die Sterne angeht", sagt auch Scherg.
Grundsätzlich dürfen Unternehmen ihren Kunden Anreize bieten, damit sie Rezensionen und Bewertungen abgeben - zum Beispiel kostenlose Testprodukte. Solche Bewertungen müssen dann aber eindeutig gekennzeichnet sein, erklärt Carsten Föhlisch, Rechtsexperte bei Trusted Shops, einem Dienstleister für den Online-Handel. Besonders verkaufsfördernd sei das nicht. Einige Plattformen wie Amazon untersagen diese Art Bewertungen sogar komplett.
Doch wie dann an Bewertungen kommen? Auf dieser Frage basiert das Geschäftsmodell von spezialisierten Händlern, die Bewertungen und Rezensionen verkaufen.
"Es gibt beispielsweise in China und in Indien ganze Heerscharen von Bewertern, die nichts anderes machen, als Apps zu bewerten, weil die ansonsten gar nicht mehr in den Fokus des Kunden kommen", sagt Scherg.
Bewertungen kann man schon eine geraume Zeit kaufen - allerdings habe die Industrie rund um gefälschte Bewertungen weltweit zugenommen. Anbieter würden "wie Pilze aus dem Boden schießen".
Gekaufte Bewertungen
Eine kurze Google-Suche zeigt, wie einfach der Kauf von Bewertungen tatsächlich ist: Fix die Schlagworte "Bewertungen kaufen" eingetippt, prompt erscheinen zig Unternehmen, die scheinbar offiziell Bewertungen anbieten: Eine positive Bewertung bei TripAdvisor für 14,90 Euro? Oder doch lieber fünf Bewertungen bei Facebook für 49,90 Euro?
Egal um welche Plattform es geht - gekauft werden kann fast alles. Gezahlt wird via Paypal oder anderen gängigen Methoden. Schnell das gewünschte Bewertungspaket in den Warenkorb und die positiven Bewertungen purzeln laut Werbung nur so auf die Seite.
Eine Bewertungshändler wirbt ganz offen: "Wir analysieren Ihr Profil bei dem von Ihnen gebuchten Bewertungsportal und arbeiten einen Plan aus, wie wir Ihre Bewertungen platzieren lassen, dass Sie den normalsten Eindruck erwecken." Damit sind Bewertungen gemeint, die bei Google nicht die "Alarmglocken" schrillen lassen - geschrieben von echten Accounts und deshalb schwer als Fake zu entlarven.
"Ich kann Unternehmen nur dringend davon abraten, sich Bewertungen zu kaufen", sagt Fachanwalt Gulden. "Die Rechtsprechung geht davon aus, dass Bewertungen echte Kundenrezensionen sind, also tatsächlich von Kunden stammen, die das Produkt gekauft oder den Arzt besucht haben." Bei den meisten Bewertungshändlern sei allerdings davon auszugehen, dass das nicht der Fall ist. Leser würden in die Irre geführt, den Unternehmen drohten Abmahnungen von Konkurrenten und der Ausschluss von Plattformen, weil gegen deren Richtlinien verstoßen wurde.
Ein schwerer Kampf
Plattformen versuchen rechtlich gegen Bewertungshändler vorzugehen - leicht ist das allerdings nicht: "Häufig läuft das ins Leere, weil die Firmen in der Regel im Ausland sitzen", sagt Fachanwalt Gulden. "Eine vor Gericht erwirkte einstweilige Verfügung muss ja zugestellt werden - sitzen die Firmen aber auf den Bahamas oder den Fidschi-Inseln, verläuft das Ganze im Sande."
Es geht auch anders: So ging die Ärztebewertungsplattform Jameda Ende 2017 erfolgreich gegen einen Bewertungshändler mit Sitz in Deutschland vor. Der darf nun keine Bewertungen für die Jameda-Plattform mehr anbieten und verkaufen - wirbt aber weiterhin mit Angeboten für andere Plattformen. Andere Händler bieten im Netz weiterhin Bewertungen für Jameda an.
Jameda geht nach eigenen Angaben nicht nur gegen Bewertungshändler vor, sondern auch gegen Ärzte, die sich Bewertungen gekauft haben, sagt Unternehmenssprecherin Kathrin Kirchler.
Viele große Plattformen wie Jameda und Amazon betonen, gefakte Rezensionen auf ihren Seiten verhindern zu wollen - es schade ihrer Glaubwürdigkeit. Bei Jameda werde jede Bewertung vor der Veröffentlichung überprüft.
"Gerade Manipulationsversuche im größeren Stil sind für uns relativ einfach zu erkennen, weil sich dann mit der Zeit technische oder sprachliche Muster ergeben, die unser System erkennt und daher nicht veröffentlicht", sagt Kirchler. Bei den gekauften Bewertungen handele es sich um Einzelfälle, sagt Kirchler. "Aber es scheint Ärzte zu geben, die solche Angebote in Anspruch nehmen", sagt Kirchler.
Reputationsmanager Scherg hält es nicht nur aus juristischen Gründen gefährlich, wenn sich Unternehmen Bewertungen kaufen. "Ich tue mir keinen Gefallen, wenn ich gefälschte Bewertungen einkaufe, die meine Produkte oder Dienstleistungen über den grünen Klee loben." Bei den Kunden entstehe so eine Erwartungshaltung, die nur enttäuscht werden könne. "Hinterher erhalte ich dann umso mehr negative Bewertungen."
Bewertungen als Fetisch
Trotzdem habe sich im Online-Geschäft der Glaube durchgesetzt, dass es ohne positive Bewertungen nicht geht, sagt Mark Steier, früher Ebay-Verkäufer, jetzt Blogger und Berater. "Das lernt man in diesen "Werde schnell mit dem Online-Handel reich"-Kursen: Du brauchst Bewertungen, du musst sie kaufen."
Viele Anbieter würde überhaupt nicht mehr in Erwägung ziehen, fair und ohne Tricks vorzugehen. "Diese Möglichkeit ist nicht kalkulierbar, nicht berechenbar, also nicht digital. Und es lässt sich damit kein Geld verdienen. Von daher wird diese Möglichkeit auch sehr selten propagiert", so Steier.
Natürlich sei es schwierig, Kunden dazu zu bringen, Bewertungen abzugeben, man müsse sie gezielt darauf aufmerksam machen. "Das kann längere Zeit in Anspruch nehmen - und die haben viele Händler scheinbar nicht mehr."
Ehrlich, fair, regelkonform - auch Reputationsexperte Scherg hält das für den Königsweg. "Im großen Stil Bewertungen einzukaufen, das fällt einem am Ende des Tages auf die Füße. Und dann ist der Reputationsschaden größer, als wenn man mit eher durchwachsenen Bewertungen gelebt hätte."
Allerdings sind die Kunden selbst nicht ganz unschuldig an der Entwicklung. "Die Verbraucher bringen Rezensionen und Bewertungen viel zu viel Vertrauen entgegen", sagt Georg Tryba von der Verbraucherzentrale NRW.
Er rät Käufern, sich erst über unabhängige Tests - beispielsweise von der Stiftung Warentest - über das gewünschte Produkt zu informieren. Erst dann sollten sie einen bewussten Blick auf Online-Rezensionen richten, um sich über Punkte zu informieren, die in den Test nicht abgehandelt wurden.
"Man wird es nicht schaffen, gar nicht auf Rezensionen und Bewertungen zu gucken", so Tryba. "Aber man sollte sich bewusst sein, dass das, was man da liest, nicht die Wahrheit sein muss."