#MeToo auf Griechisch
21. Januar 2021Im antiken Griechenland wurden Mauern eingerissen, damit die Sieger der Olympischen Spiele die Stadt angemessen betreten konnten. Für sie war keine Ehre zu groß - wobei Olympiasieger damals natürlich immer Männer waren. Frauen galten in der Antike als Menschen zweiter Klasse, geschaffen, um Kinder zu kriegen und Männer zu bedienen.
Im heutigen Griechenland sind Frauen genauso viel wert wie Männer. Vor dem Gesetz zumindest. Und natürlich dürfen sie an Olympischen Spielen teilnehmen - und dabei sogar gewinnen.
Wie die Seglerin Sofia Bekatorou, Olympiasiegerin 2004 und 2008, vierfache Weltmeisterin und zweifache Weltseglerin des Jahres. Ihr gelang es jetzt, eine Mauer zu durchbrechen: die Mauer des Schweigens, die sexuellen Missbrauch in Griechenland umgab.
Die 43-Jährige hat öffentlich gemacht, dass sie als junge Sportlerin 1998 von einem Funktionär des Seglerverbands EIO vergewaltigt wurde. Wie unzählige andere Frauen in Sportverbänden, im Betrieb, an der Uni, in der Politik. Von Männern, die Macht haben und ein "Nein" nicht akzeptieren. Weil sie es können und weil sie sehr selten für ihre Taten büßen müssen. Fast immer gelingt es ihnen, die Mauer des Schweigens hochzuhalten. Und das meistens, weil ihre Opfer Angst vor Stigmatisierung haben.
Ein "unschöner Vorfall"
Bekatorou, eine starke, erfolgreiche, sehr bekannte und sehr beliebte Frau und zweifache Mutter, hatte diese Angst 22 Jahre lang. Genug Mut gefasst hatte sie erst am 13. November 2020, als sie ihre Anschuldigungen bei der Sport-Staatsanwaltschaft vorbrachte. Ihr mutmaßlicher Peiniger, Aristeidis Adamopoulos, war zu diesem Zeitpunkt noch immer ein hohes Tier im griechischen Seglerverband.
Wochenlang passierte nichts. Die Justiz reagierte nicht - denn die Tat war verjährt. Der Sport reagierte nicht - denn alte Männer halten zusammen. Der zuständige Minister reagierte nicht - Sportfunktionäre sind für Politiker wichtig. Erst als Bekatorou ihre Geschichte in einem Interview mit der Frauenzeitschrift Marie Claire wiederholte - übrigens ohne den Namen Adamopoulos zu nennen - reagierte der Seglerverband: Es handele sich um einen "unschönen Vorfall", heißt es in der schriftlichen Stellungnahme, die vor unterschwelligen Zweifeln an der Darstellung der Seglerin strotzt.
Eine enorme Solidaritätswelle
Wieso hat es auch solange gedauert, bis Bekatorou den Mund aufmachte, fragten auch User der sozialen Medien und Sportredakteure. Wie jedes Mal, wenn eine Frau in Griechenland über ihre Vergewaltigung spricht. Aber dieses Mal wurden die Zweifler überrollt von einer enormen Solidaritätswelle für Bekatorou - und damit auch für die vielen Frauen, die immer noch schweigen.
Damit ist im Macho-Land Griechenland endlich eine "#MeToo"-Debatte entbrannt. Die weltweite #MeToo-Debatte, die im Oktober 2017 begann, war in Hellas kein großes Thema. Über eigene Erfahrungen mit sexueller Belästigung, sexuellen Übergriffen, sexuellem Missbrauch oder Vergewaltigung hatte zu dem Zeitpunkt noch kaum eine Frau in den EU-Mitgliedsstaat öffentlich gesprochen - obwohl einer aktuellen Studie zufolge fast jede zweite Griechin mindestens einmal im Leben sexuell belästigt wird.
Frauen beginnen zu sprechen
Einen öffentlichen Aufschrei löste erst die Enthüllung Bekatorous aus. Endlich beginnen auch andere Frauen, über sexuelle Belästigung zu sprechen. Durch Professoren, Spitzenvertreter von Parteien und Medien, Funktionäre und sogar Ex-Minister. Männer, die ihre Machtposition missbrauchen.
Die Namen der Täter nannten die wenigsten Frauen öffentlich - auch Sofia Bekatorou teilte ihn einzig der Sport-Staatsanwaltschaft mit. Aber bis dahin waren sehr wenige Frauen mutig genug, über die eigene Vergewaltigung zu sprechen. Die Verletzung geht zu tief, die Angst von Stigmatisierung ist zu groß, die Macht der Macho-Gesellschaft überwältigend.
Die Politik reagiert
Diesmal aber reagierte die griechische Politik - und solidarisierte sich mit der Olympiasiegerin. Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou hat Sofia Bekatorou in ihrem Amtssitz empfangen. Sowohl der konservative Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis als auch der linke Oppositionschef Alexis Tsipras unterstützen die Sportlerin und sprechen sich klar gegen sexuelle Belästigung aus.
Vor allem aber sprechen endlich viele Politikerinnen über die Mauer des Schweigens - und über die Notwendigkeit, diese ein für alle mal abzureißen. Die Vize-Sprecherin der sozialdemokratischen Partei KINAL, Sefi Dimadama, machte sogar ihre eigene Erfahrung mit sexueller Belästigung innerhalb ihrer eigenen politischen Organisation öffentlich. "Frauen müssen endlich Stärke finden und offen reden", erklärte sie ihren Schritt.
Die Staatsanwaltschaft handelt
Sofia Bekatorou äußerte sich zuletzt am Montag (18.1.2021) auf Facebook: "Meine persönliche Erfahrung ist kein individuelles Thema, das nur mich betrifft. Es ist Teil eines umfassenden und chronischen Problems in Bezug auf Machtmissbrauch im Allgemeinen, aber auch im Besonderen durch die derzeitige Verbandsspitze des EIO."
Jetzt werden sich die Strafverfolgungsbehörden Griechenlands mit Bekatorous Aussagen befassen. Staatsanwältin Sotiria Papageorgakopoulou hat eine Voruntersuchung angeordnet, um festzustellen, was genau geschehen ist - unabhängig von der Verjährungsfrist. Der mutmaßliche Vergewaltiger, Aristeidis Adamopoulos, der seine Unschuld beteuert, ist von der Spitze der EIO suspendiert. Aus der regierenden Partei Nea Dimokratia (ND), deren Funktionär er ebenfalls war, wurde er ausgeschlossen.
Auch die Stiftung Stavros Niarchos, der größte Sponsor Griechenlands, reagierte umgehend und stoppte ihre finanzielle Unterstützung für den Seglerverband. Die griechischen Medien berichten endlich über sexuelle Gewalt und Machtmissbrauch in den Sportvereinen - und über das Recht der Frauen, "Nein" zu sagen. Und die Täter bekommen zum ersten Mal ein kleines bisschen Angst.