Olympia 2036 in Berlin: 100 Jahre nach den Nazi-Spielen
17. November 2023Berlin ist bereit, im Jahr 2036 oder 2040 die Olympischen Sommerspiele auszurichten. Eine entsprechende Erklärung gegenüber dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) haben Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner und die Berliner Sportsenatorin Iris Spranger in dieser Woche unterzeichnet. "Wir wollen Spiele nicht nur für, sondern vor allem mit den Berlinerinnen und Berlinern", sagte Wegner.
Warum löst der Vorschlag Kritik aus?
Bekäme Berlin für 2036 den Zuschlag, fänden die Spiele genau 100 Jahre nach den von den Nationalsozialisten inszenierten Spielen von 1936 statt. Das stößt vielen Kritikern übel auf, die es für pietätlos halten, ausgerechnet 100 Jahre danach erneut Olympische Spiele in Berlin zu veranstalten. "Da entsteht der schräge Eindruck einer 100-Jahr-Feier", sagte beispielsweise Historiker Oliver Hilmes im "Tagesspiegel". Es wäre daher, so Hilmes, eine besondere Form der Begleitung nötig, um die historischen Zusammenhänge einzuordnen.
Aus den Reihen der Opposition im Berliner Senat gab es aus anderen Gründen Kritik an dem Vorhaben: Die Grünen verwiesen auf den teilweise prekären Zustand der Berliner Sportstätten und den hohen Sanierungsbedarf bei Sportplätzen, Turnhallen und Schwimmbädern. "Bevor man Milliarden in ein Sportgroßevent steckt, müssen wir uns darauf konzentrieren unsere Sportstätten und Vereine fit zu machen", sagte Klara Schedlich, die Sprecherin für Sportpolitik der Berliner Grünen.
Wie wurden die Spiele 1936 wahrgenommen?
Die internationalen Gäste der Spiele erlebten im sommerlichen Berlin von 1936 eine perfekt organisierte, bombastische Sport-Großveranstaltung. Fast 4000 Sportlerinnen und Sportler aus 49 Nationen bedeuteten damals einen Teilnehmerrekord. Auch die Besucherzahlen übertrafen alles bisher Dagewesene. In den Cafés und Tanzlokalen der deutschen Hauptstadt wurde 16 Tage lang gefeiert und das Leben genossen.
Gleichzeitig waren die Spiele eine große Inszenierung und Propagandaschau der Nationalsozialisten. Zum letzten Mal in ihrer bis 1945 andauernden Herrschaft präsentierte man sich nach außen und zum Schein friedlich. Bereits im Sommer 1933 hatten Adolf Hitler und die NS-Regierung wie vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) gefordert eine Erklärung abgegeben, die Spiele stünden "allen Rassen und Konfessionen" offen.
Allerdings gab es bereits im Vorfeld der Spiele Ereignisse, die zeigten, dass der wahre Geist der Nazis ein anderer war: 1935 wurden die Nürnberger Rassengesetze verabschiedet, die ihre antisemitische und rassistische Ideologie verdeutlichten. Im gleichen Jahr wurde die Truppenstärke der Wehrmacht von 100.000 auf über eine halbe Million Soldaten vergrößert. Zudem besetzte man 1936 das Rheinland militärisch und brach damit internationale Abkommen.
Die Spiele waren 1931 an das damals noch demokratische Deutschland der Weimarer Republik vergeben worden. Viele Kritiker sagen, dass man sie den Deutschen nach der Machtergreifung Hitlers und der Nationalsozialisten im Januar 1933 wieder hätte entziehen müssen. Dazu kam es aber nicht. Auch ein lange diskutierter Olympiaboykott durch die US-Amerikaner und andere Nationen fand letztlich nicht statt. Hitler bekam seine große Bühne und nutzte sie.
Welche Chancen würde Berlin 2036 bieten?
100 Jahre nach den "Nazispielen unter dem Hakenkreuz" könne die Stadt zeigen, wie vielfältig und offen die Sportmetropole Berlin heute sei, sagte Bürgermeister Wegner. Auch seine Vorgängerin im Amt, die heutige Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey, sieht in der Ausrichtung Olympischer Spiele in der Hauptstadt eine große Chance. "Wir haben schon bei den Special Olympics in diesem Jahr gesehen, was das für eine positive Wirkung in die Stadt gebracht hat, allein schon, was die vielen Gäste angeht, die den Tourismus stärken", sagte sie. "Wenn Olympische Spiele erfolgreich ausgetragen werden, dann ist der wirtschaftliche Effekt für ganz Berlin zu spüren."
Und die Befürworter kommen nicht nur aus der Berliner Lokalpolitik: So befand auch Jens-Christian Wagner die Idee, Olympia 2036 nach Berlin zu holen, gegenüber dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) für gut. Wagner ist Direktor der Stiftung Gedenkstätte Buchenwald. In Buchenwald bei Weimar befand sich von 1937 bis 1945 das größte Konzentrationslager auf deutschem Boden.
Allerdings, so Wagner, gehöre zwingend auch eine intensive Auseinandersetzung mit der Vereinnahmung der Spiele von 1936 durch die Nationalsozialisten dazu. "Zum einen wird man auch Sportstätten nutzen, die 1936 schon genutzt wurden." Diese müssten entsprechend gekennzeichnet werden. "Damit muss man ganz bewusst umgehen und inhaltlich muss man sich mit der Frage auseinandersetzen, wie Sport für politische Zwecke missbraucht werden kann", sagte Wagner.
Wie wahrscheinlich sind Olympische Spiele in Deutschland generell?
IOC-Präsident Thomas Bach hat mögliche Olympia-Ambitionen deutscher Städte oder Regionen zuletzt gedämpft. Zwar würde sich über Olympische Spiele in seiner Heimat "riesig freuen". Doch käme Deutschland aufgrund der Einreisebeschränkungen als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als Gastgeber - zumindest derzeit - nicht infrage. "Das IOC kann Spiele nur dorthin vergeben, wo seine Regeln respektiert werden", so Bach. "Dazu gehört, dass jeder vom IOC akkreditierte Teilnehmer einreisen darf."
Die nächsten drei Sommerspiele sind an Paris (2024), Los Angeles (2028)und Brisbane (2032) vergeben, die nächsten Winterspiele finden 2026 in Mailand/Cortina d'Ampezzo statt. Die Gastgeber der Spiele 2030 und 2034 werden im kommenden Jahr in einer Doppelvergabe benannt. Frühestens wäre daher eine Ausrichtung 2036 möglich. Allerdings ist die Konkurrenz schon jetzt groß. "Eine gesunde zweistellige Anzahl an Interessenten" gibt es laut Bach. Als großer Favorit gilt bislang Indien.