Olof-Palme-Preis für John le Carré
10. Januar 2020Das Schreiben halte ihn bei Verstand, berichtet John le Carré. Ganz altmodisch schreibt der 88-jährige Brite seine Bücher mit der Hand. Computer sind ihm ein Graus. "Ich kann nicht mal auf einer Schreibmaschine tippen", erzählt er mit gesunder Selbstironie in Interviews. Um geistig wach zu bleiben, gehe er täglich spazieren. Und er mische sich leidenschaftlich gern in die politische Gemengelage ein - mit Essays und Interviews.
Für seine "engagierte und humanistische Meinungsbildung", so die Begründung der Jury, wird der Brite jetzt mit dem schwedischen Olof-Palme-Preis ausgezeichnet. Er kümmere sich als Schriftsteller um die wirklich großen Schicksalsfragen, die die Menschheit bewegten. Le Carré rufe seine Leser konstant dazu auf, über die fragwürdigen Machtspiele in der Welt, über korrupte Politiker und die Gier globaler Konzerne nachzudenken.
Vor allem das alarmierende Anwachsen von Rassismus, Antisemitismus und zunehmenden Nationalismus in Europa und in den USA beschäftige ihn. Im Geiste von Olof Palme, den 1986 ermordeten schwedischen Ministerpräsidenten, trage er mit seinen Büchern und publizistischen Einmischungen "in außergewöhnlichem Maße" zum Kampf für Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit bei. Der Preis ist mit 100.000 US-Dollar (rund 90.000 Euro) dotiert. Überreicht wird er dem Autor am 30. Januar 2020 in einer feierlichen Zeremonie in Stockholm.
Eine doppelbödige Lebensgeschichte
Der seit Jahrzehnten erfolgreiche Schriftsteller blickt nicht nur kritisch auf Lug und Trug der Welt der Geheimdienste und ihren zweifelhaften Agenten, sondern auch auf die Matadore der Weltpolitik, wie Boris Johnson und US-Präsident Donald Trump. Seine Romanfiguren sind aber eher Anti-Helden: britisch, skeptisch die Welt beobachtend, mit teuren, schlecht sitzenden Anzügen und einem Hang zur Melancholie deutscher Dichter und Denker.
John le Carrés Lebensgeschichte passt irgendwie zu seinen Geschichten - alles etwas mysteriös und halbseiden. Geboren wird er am 19. Oktober 1931 mit dem bürgerlichen Namen David Cornwell. Er wächst in der britischen Kleinstadt Poole auf, unter prekären und schwierigen Verhältnissen. Seine Mutter verlässt die Familie, als er fünf Jahre alt ist. Sein Vater lebt als notorischer Betrüger und Hochstapler auf großem Fuß und geht auch mal für Monate in den Knast.
Vieles davon taucht später in seinem Roman "Ein blendender Spion" (1986) auf. "Ich weiß nicht, wie oft der Gerichtsvollzieher kam. Es ist unvorstellbar demütigend für einen Jungen, wenn ihm alles weggenommen wird - sogar die Spielsachen. Ich schämte mich und fühlte mich schmutzig", schreibt er über diese schwierige Zeit, die ihn nachhaltig geprägt hat.
Der junge David verlässt vorzeitig die Schule und studiert in der Schweiz Sprachen - die sind für ihn faszinierender als eine normale Schulbildung. Im renommierten Oxford setzt der Hochbegabte sein Studium fort, wird Lehrer am britischen Eton College. Schon in seinem Wehrdienst in der britischen Armee kommt er mit dem Nachrichtendienst in Kontakt. 1958 wird er als Agent angeworben und bleibt bis 1964 in den Diensten von MI5 und später MI6, dem Auslandsgeheimdienst.
Erster Welterfolg mit Agententhriller
Noch während seiner Agententätigkeit kommt er als Zweiter Sekretär der Britischen Botschaft nach Deutschland: Bonn ist damals die Macht- und Regierungszentrale der jungen Bundesrepublik. Hinter den Kulissen des politischen Tagesgeschäftes laufen die Fäden der internationalen Geheimdienste zusammen - der Stoff für viele hochspannende Romane, die Cornwell später unter dem Pseudonym John le Carré schreiben wird. Nach seinem offiziellen Ausscheiden aus dem Geheimdienst kann er das nur unter einem Künstlernamen tun, den keiner kennt.
Seinen ersten Roman "Schatten von gestern" (1963) schreibt le Carré noch in seiner Bonner Zeit. Kurz danach wird er offiziell britischer Vizekonsul in Hamburg - und beginnt sein Doppelleben als Autor und Ex-Agent zu führen. In seinen ersten Büchern führt er auch den MI6-Agenten George Smiley ein, Hauptfigur vieler späterer Romane. Einen Welterfolg, der in viele Sprachen übersetzt und erfolgreich mit Richard Burton in der Hauptrolle verfilmt wird, landet John le Carré mit "Der Spion, der aus der Kälte kam" (1964). Ein Roman, der in die Zeit des Kalten Krieges passt und ihn in die glückliche Lage versetzt, seinen Dienst zu quittieren und sich fortan nur noch dem Schreiben zu widmen.
Einmal Spion, immer Spion
Doch trotz der Distanz des Schriftstellers bleibt le Carré der abenteuerlichen, undurchschaubaren Welt der Geheimdienste treu: "Einmal Spion, immer Spion - das ist vollkommen richtig", sagte er mal lakonisch in einem "Spiegel"-Interview. "Ich weiß nicht, ob ich ein Schriftsteller bin, der Spion wurde, oder ein Spion, der schließlich Schriftsteller wurde."
Viele der zahlreichen Bestseller von John le Carré sind auch als Kinofilme oder TV-Serien verfilmt worden. Seine Romanfigur des sensiblen und grüblerischen Agenten Smiley - angeblich sein "Alter Ego" - spielt in der Verfilmung von "Agent in eigener Sache" (1980) der britische Schauspieler Alec Guiness - ein Riesenerfolg beim britischen Fernsehpublikum. Die Neuverfilmung des Romans "Dame, König, As, Spion" brachte Schauspieler Gary Oldman für die Rolle des Smiley sogar 2012 eine Oscar-Nominierung ein.
"Spionagetätigkeit und Schriftstellerei sind wie füreinander geschaffen", sagt Bestsellerautor Le Carré rückblickend über sein Erfolgsrezept. "Beide erfordern ein waches Auge für menschliche Verfehlungen und die vielen Wege hin zum Verrat". Mit seinen ganz persönlichen Erfahrungen aus der Welt der Geheimdienste hat er das Genre des Agentenromans neu erfunden. Kaum jemand erzählt so realistisch und doch phantastisch, als wäre es erfunden.
Wacher Blick fürs politische Weltgeschehen
Die Romane des agilen Briten sind auch heute spannend wie eh und je. Meisterhaft beherrscht er als Autor das Spiel zwischen Spannung, Action und pointierten Dialogen, gewürzt mit einer Prise trockenem britischem Humor. Und er verfolgt mit politischem Instinkt die Schachzüge der Weltmächte, schießt 2005 wortgewaltig gegen die "Blair-Bush-Allianz" - und mischt sich leidenschaftlich ins Weltgeschehen und die US-Präsidentschaftswahlen ein.
Mit weltweiter Publikumsresonanz ist 2016 sein Roman "The Night Manager" (1993) als aktueller TV-Mehrteiler von der BBC verfilmt und auch in Deutschland ausgestrahlt worden. Ein grandioses Kinoerlebnis: Premiere war auf der Großleinwand des Berlinale-Palastes - auch für den erfolgsverwöhnten Autor eine große Ehre.
John le Carré ist auch mit 88 noch neugierig auf die politischen Geschehnisse dieser Welt. Und er liebt nach wie vor das Abenteuer: Spaziergänge an den steilen Felsklippen an der Küste von Cornwall zum Beispiel, wo er mit seiner zweiten Frau lebt sind ihm am liebsten. Der Welt hat der Schriftsteller und Ex-Spion schon jetzt vieles hinterlassen, was Geschichte geschrieben hat - nicht nur Literaturgeschichte. Für sein politisches Engagement für die Werte der Demokratie wird er jetzt ausgezeichnet.