Olaf Scholz und die Verzweiflung der Klimaschützer
13. November 2021Am Ende waren die Fronten komplett verhärtet. "Herr Scholz, der Worte sind genug gewechselt", unterbrach der 21-jährige Henning Jeschke nach einer knappen Stunde Diskussion einen weiteren Versuch des SPD-Kanzlerkandidaten, seine politischen Vorhaben zu erklären. Wenn die neue Bundesregierung nicht sofort zu mehr Klimaschutz umsteuere, so der Klimaaktivist, dann "werden wir ab Januar die Bundesrepublik stilllegen, weil es nicht sein kann, dass der jungen Generation ihr Recht auf Leben abgesprochen wird".
Jeschke kündigte unter anderem Störaktionen auf Autobahnen an, sollte die neue Bundesregierung nicht bis Ende des Jahres in einem ersten Schritt gegen Lebensmittelverschwendung vorgehe und den radikalen Umbau der Landwirtschaft weg von der klimaschädlichen, industriellen Produktion einleiten.
27 Tage Hungerstreik
Wie ernst es Jeschke und seiner Mitstreiterin Lea Bonasera ist, haben sie bereits unter Beweis gestellt. Im September demonstrierten sie mit mehreren anderen Aktivisten als Gruppe "Letzte Generation" in Berlin mit einem Hunger- und zum Schluss auch Durststreik für einen radikalen Kurswechsel in der Klimapolitik. Sie forderten die Ausrufung eines Klimanotstands und beendeten ihren Streik erst, nachdem die drei Kanzlerkandidaten von SPD, CDU/CSU und Grünen ihnen zugesagt hatten, nach der Bundestagswahl für ein politisches Gespräch zur Verfügung zu stehen.
Olaf Scholz löste dieses Versprechen nun ein. Doch das Gespräch wurde schnell schwierig, war auf Seiten der Aktivisten empört und verzweifelt und insgesamt sehr konfrontativ. Scholz und seine beiden Gesprächspartner gerieten mehrfach heftig aneinander und redeten über weite Strecken vollkommen aneinander vorbei.
"Es geht um Leben und Tod"
Die Klimaschützer gehen davon aus, dass nur noch drei bis vier Jahre bleiben, um in der Klimapolitik komplett umzusteuern. Danach würden Kipppunkte erreicht und klimatische Prozesse in Gang gesetzt, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. "Bei einer Erwärmung der Erde um zwei Grad werden Millionen Menschen verhungern und sterben", so Bonasera. "Es geht um Leben und Tod."
Mehrfach warfen die beiden Aktivisten Scholz vor, die katastrophalen Folgen des Anstiegs der globalen Temperaturen zu ignorieren und zu wenig zu unternehmen. "Wir kommen sie persönlich damit zurecht, dass Deutschland nicht und auch keine andere Regierung auf der Welt genug tut, um das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen?", fragte Bonasera.
Wer findet den Weg aus der Katastrophe?
Der derzeitige politische Kurs werde dazu führen, dass sich die Welt um weit mehr als zwei Grad erwärmen werde. Das werde weite Teile der Erde unbewohnbar machen und eine Milliarde Menschen auf die Flucht schicken. "Sie schicken uns in eine Klimahölle und niemand hat einen Plan, uns herauszuführen aus der Katastrophe", so Jeschke.
"Ich habe einen Plan", konterte Scholz und zählte mit stoischer Ruhe die Vorhaben der künftigen Regierung auf. Es seien sehr viele konkrete Schritte zu tun, um die Industrie, die Energieerzeugung und die Landwirtschaft klimafreundlich umzubauen, und er sei entschlossen, diese Schritte zu tun. "Das ist die größte industrielle Transformation aller Zeiten."
"Stahl kann man nicht essen"
Schon das Vorhaben, bis 2045 klimaneutral zu werden, werde sehr schwierig. "Wir müssen uns richtig anstrengen", so Scholz. Als starkes Industrieland habe die Bundesrepublik aber das Geld, die Wirtschaft und die Wissenschaft, um klimaneutral zu wirtschaften und dabei den Wohlstand zu erhalten. "Wir müssen auch dafür sorgen, dass weiterhin Stahl hergestellt werden kann." Der Konter der Aktivisten darauf: "Stahl kann man nicht essen."
Scholz warf den Aktivisten eine "fatalistische Haltung" vor. Sie würden sich weigern, wahrzunehmen, dass Politiker und Politikerinnen in allen Parteien sich intensiv mit der Menschheitsherausforderung des Klimawandels auseinandersetzen und an Lösungen arbeiten würden.
Demokratie sei, dass in einer Gesellschaft verhandelt werde, so Scholz. Er bekomme jeden Tag auch Briefe und E-Mails, in denen der Klimawandel geleugnet und weniger Maßnahmen gefordert würden. Die Politik müsse Perspektiven geben. "Wir als Menschen können nur nach vorne schauen, wenn wir Hoffnung haben."
Man findet einfach nicht zueinander
Während Jeschke und Bonasera im Verlauf des Gesprächs immer emotionaler argumentierten, blieb Olaf Scholz meistens ruhig und wurde nur ab und zu etwas lauter. Vor allem, wenn er - was mehrfach vorkam - unterbrochen wurde. Brüsk konterte er den Vorwurf, dass nur die Aktivisten und nicht die Politik den Ernst der Lage sehen würden. "Wie kommen Sie eigentlich auf diese größenwahnsinnige Selbsteinschätzung?"
Im Laufe des Gespräches wird es immer deutlicher: Der wohl künftige Kanzler und die Klimaaktivisten finden einfach nicht zueinander. Auf ihrer Webseite ruft die "Letzte Generation" nun zu zivilem Widerstand auf. Informationen soll es in Vorträgen in Deutschland geben, aber auch online.