Ohne Plastik leben
11. Dezember 2015Es war im Frühjahr 2013. Nadine Schubert war schwanger und dachte über ihre Gesundheit und die ihres ungeborenen Kindes nach. "In dieser Zeit ist man ja besonders empfänglich für Themen wie Erziehung und Gesundheit." Eine Fernseh-Reportage über Plastikmüll in den Ozeanen, die Infos über Mikroplastik in Produkten wie Zahnpasta oder Peelingcremes und die Tatsache, dass synthetische Kunststoffe aus dem fossilen Rohstoff Erdöl hergestellt werden, weckten das Interesse der Journalistin. So konsumierte sie alles an Informationen, was sie zum Thema in Erfahrung bringen konnte: "Je mehr ich wusste, desto geschockter war ich."
Bestandsaufnahme für den Kampf gegen Plastik
Schnell war ihr klar, dass sie dem Plastikwahn ein Ende bereiten wollte. Die häufigen Fahrten zum Wertstoffhof, um dort Unmengen Müll zu entsorgen, hatte sie ohnehin satt. "Ich bin sehr ehrgeizig und energisch in der Umsetzung. Alle reden nur über Umweltschutz und Gesundheit und davon, das Leben zu ändern. Ich handle."
Zunächst machte sie eine Bestandsaufnahme der Plastikbestände im eigenen Haushalt, erzählt die Mutter von zwei Kindern. In der Küche, bei Lebensmitteln fand sie besonders viele Verpackungen, die eigens als Wegwerfprodukt, zur einmaligen Verwendung, hergestellt worden waren. Nadine Schubert beschloss, ab sofort beim Einkauf von Lebensmitteln auf Plastikverpackungen zu verzichten. Milch und Joghurt kauften die Schuberts nur noch im Glas. "Das war einfach umzusetzen." Danach klapperte Schubert die Märkte in der Umgebung ab, um sich neu zu orientieren. "Ich musste ja schauen, was ich wo bekomme." Ein Prozess, der Zeit und Ausdauer erforderte, zumal sie ihre Familie bei der Umstellung nicht überfordern wollte.
Regionale Unterschiede beim Plastikgebrauch
Die Schuberts wohnen in Unterfranken, einer ländlichen Region. Wochenmärkte, wie in Städten üblich, auf denen Bauern und Bäcker frische Waren aus eigener Herstellung und ohne Plastikfolienverschweißung anbieten, gibt es nicht. Und auch keine großen Supermärkte. Mit dem Leiter des Ladens um die Ecke wurde sich Nadine Schubert schnell einig. "Ich kann meine Wünsche nach frischer Ware äußern. Sie werden erfüllt." Vorteil: Auf dem Land kennt man sich.
Im Bioladen dagegen wurde sie enttäuscht: "Es gibt so viele Waren, die sind wie im Supermarkt in Plastik verpackt, nur 'bio' steht drauf. Das ärgert mich massiv, weil der Bio-Charakter für mich die Relevanz verliert, wenn die Kiwi in Plastik verpackt ist", ereifert sich Schubert.
Knapp vier Wochen dauerte der Umgewöhnungsprozess, bis sie alle geeigneten Einkaufsmöglichkeiten geprüft hatte. "Einige Dinge sind schnell aus unserem Kühlschrank und damit aus unserem Leben verschwunden." Nadine Schubert kann sich ein Lachen nicht verkneifen. Süßigkeiten und Kartoffelchips gibt es im Haushalt nicht mehr - obwohl es inzwischen Verpackungen gibt, die den Anschein erwecken, aus Papier zu bestehen. Nadine Schubert lässt sich nicht täuschen: "In Papier würden die Chips schnell pappig. Im Zweifel auf den Recycling-Code schauen! Papier hat keinen."
Ein Buch als Wink für die Wegwerfgesellschaft
Tomaten, Salate und Kräuter erntet sie im eigenen Garten oder bekommt frische Produkte von der Verwandtschaft. "Bezüglich der Selbstversorgung haben wir Landbewohner Vorteile gegenüber den Städtern", resümiert sie. In zwei Jahren hat Nadine Schubert so viele Erfahrungen gesammelt, um das Buch "Besser leben ohne Plastik" zu schreiben. Ihre Co-Autorin Anneliese Bunk wohnt in der Großstadt München. "Dort gibt es schon 'Unverpackt-Läden'. Man kann die Produkte von Hand in eigene Behälter abfüllen oder Zahnbürsten aus Holz kaufen."
Spezielle Sachen bestellt Schubert im Internet - auch wenn es ihr schwerfällt, wegen der Transportwege die Umwelt zu belasten. "Ich bestelle große Mengen Seifen, Shampoos und Artikel aus Holz für ein Jahr auf Vorrat bei kleinen Manufakturen. Die unterhalten keine Läden, leben vom Online-Handel."
Das Leben sei durch die Umstellung nicht teurer geworden. Sie kaufe vieles frisch ein, vermeide dadurch große Mengen mitzunehmen und gebe meist nicht mehr als 40 Euro aus. "Ich denke mehr nach, wähle bewusster aus als früher. Das spart Zeit, denn an dem ganzen Plastiksortiment laufe ich konsequent vorbei", erklärt Nadine Schubert.
Umweltschutz - für die Gesundkeit und das gute Gewissen
Wasch- und Putzmittel stellt sie selbst her, auf Basis von Kernseife, Soda, Zitronensäure. Bei gesundheitlichen Beschwerden greift Nadine Schubert zu bewährten Hausmitteln - ohne Nebenwikrungen. Auf Schmerzmittel verzichtet sie, denn Tabletten stecken in einer Kunststoffverpackung. Kapseln sind mit einer Plastikschicht überzogen, damit sie besser geschluckt werden können und sich nicht gleich in der Magensäure auflösen.
Konservendosen und Plastikgeschirr wird aus dem Rohmaterial Polycarbonat produziert, dessen Bestandteil Bisphenol A ist. Der wurde im Hausstaub und im menschlichen Blut nachgewiesen. Bisphenol A hat Einfluss auf den Hormonhaushalt. Parabenen, Konservierungsstoffen in Kosmetik, wird nachgesagt, krebserregend zu sein.
Die Grenzen der Plastikfreiheit
Schwieriger als im Haushalt ist es beim Kleidungskauf, ohne Plastik auszukommen. Polyester und Polyamid stecken in den meisten Anziehsachen. Auf erstaunte Zuhörer trifft Schubert regelmäßig, wenn sie bei Vorträgen berichtet, dass ein kuscheliger und pflegeleichter Fleece-Pulli aus 25 recycelten PET-Flaschen besteht.
"Bei langfristigen Anschaffungen, Haushaltsgeräten wie Waschmaschine, Fernseher oder auch Handy muss ich, mangels Alternativen, Produkte aus Kunststoffen kaufen. Ich achte aber immer auf die Qualität und ob es 'made in Germany' ist." Natürlich wisse sie, dass ihr Smartphone in China produziert wurde. Spielwaren, die in Fernost aus billigen Materialien hergestellt werden, kauft sie grundsätzlich nicht mehr.
Bei ihrer Oma drückt sie allerdings beide Augen zu: "Sie ist über 80 Jahre alt. Die hat von der Zeit der Entbehrungen so die Nase voll, dass sie froh über die neuen Errungenschaften ist. Auch wenn die aus Plastik bestehen."
Nadine Schubert dagegen hält sich eisern an den Kunststoffboykott. Trotzdem findet sie immer noch irgendwo versteckt abgelagerte Plastikteile. Die sammelt sie und bringt sie zum Wertstoffhof. Vor fast einem Jahr war sie das letzte Mal dort.