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Oh, die Toiletten

Stephan Hille 5. Februar 2004

Frühling in Moskau: Alles blüht, vor allem auch der Verkauf von Bier. Stephan Hille berichtet aus Moskau.

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Noch haben die meisten Straßencafes und Biergärten nicht geöffnet, und das treibt den Kioskverkauf in die Höhe. Unter den Moskowitern ist es keineswegs verpönt, mit der Bierflasche in der Hand durch die Parks und Alleen zu schlendern. Im Gegenteil: Das Bier in der Hand gilt gerade bei jungen Männern und Frauen offenbar als sehr schick.

Dort, wo der letzte Schluck getrunken wurde, wird die Flasche meist entsorgt, häufig sogar direkt mitten auf dem Gehsteig. Dies geschieht aus Rücksichtslosigkeit, aber auch in der Gewissheit, dass die leere Flasche dort ohnehin nicht lange stehen bleibt. Überall in der Stadt sind zumeist ältere Frauen, deren mickrige Rente nicht zum Überleben reicht, mit Plastiktüten und Argusaugen unterwegs, um die leeren Flaschen einzusammeln und zur Pfandstelle zu bringen. Ein nahezu perfekter Wirtschaftskreislauf.

Ein anderer Lauf, der durch das Bier angestoßen wird, hingegen funktioniert nur mangelhaft und füllt die Geldbeutel korrupter Milizionäre. "Pivo ischet svoju dirotschku" lautet eine russische Volksweisheit zum Thema Bier und Blasendruck. "Das Bier sucht sein Löchlein" lautet die Übersetzung - und hier fangen die Probleme an: Es gibt in der ganzen Stadt nur 1200 öffentliche Toiletten, umgerechnet ein "stilles Örtchen" pro 50.000 Einwohner. Eindeutig zu wenig. Die meisten werden von privaten Firmen in Form von blauen Plastikkabinen - wie man sie im Westen von großen Freilichtveranstaltungen kennt - betrieben.

Eine Klofrau kassiert umgerechnet 10 Cent für das Verrichten des allzu menschlichen Bedürfnis. Abends jedoch werden diese so genannten Bio-Toiletten abgeschlossen, auch aus Furcht vor Vandalismus, obwohl diese Kunststoff-Klosetts eigentlich unzerstörbar sind. Wer also Abends auf der Straße unterwegs ist und "muss", sucht entweder die nächste Filiale von McDonald's oder einen stillen Hinterhof.

Wird der Leidensdruck zu groß, ist auch der zivilisierteste Mensch gezwungen, sich in die Büsche zu schlagen. Wen die Miliz erwischt, dem drohen empfindliche Geldstrafen. Denn die öffentliche Notdurft gilt nach russischem Strafgesetzbuch als "Leichter Hooliganismus". Dem ersten "unsauberen Geschäft" folgt dann gleich das nächste. Der Pinkel-Straftäter muss sich freikaufen, um sich und den Beamten, die die Protokoll-Arbeit fürchten wie der Teufel das Weihwasser, den Gang zur Polizeiwache zu ersparen.

In einer Umfrage unter Ausländern über das Leben in Moskau wurden vor allem zwei Mängelpunkte hervorgehoben: Korrupte Milizionäre und der Mangel an öffentlichen Toiletten.