EU-Empfehlungen für Berlin
18. Mai 2015Eigentlich sollte Pierre Moscovici ein gern gesehener Gast in Berlin sein. Er zollt seinen Respekt schon dadurch, dass er bereits das dritte Mal die deutsche Hauptstadt besucht, seit er im letzten Herbst zum EU-Kommissar für Wirtschaft und Währung ernannt worden ist. Der französische Politiker lobt lieber und will nicht nur mahnen: "Deutschland ist eines von sieben Ländern, die keine Empfehlungen für ihre Finanzpolitik erhalten haben. Es ist ein starkes Land und wichtig für die Union, das will ich ganz klar sagen." Er sieht Deutschland allgemein auf einem guten Weg. Vor allem die geplanten Investitionen in Verkehrswege und Bildung finden die Zustimmung des Wirtschaftskommissars. "Das sind sehr wichtige Schritte!"
Moscovici weiß, dass er bei den Deutschen - gerade weil sie so ausnehmend gut in Europa dastehen - nicht mit der Tür ins Haus fallen sollte, wenn auch seine kritischen Anmerkungen Gehör finden sollen. So formuliert er seine Tipps auch sehr vorsichtig: "Wenn wir keine Empfehlung geben würden, hieße das, alles wäre perfekt." Und um dahin zu kommen, müsse sich Deutschland noch mehr anstrengen, macht der EU-Kommissar deutlich. Und auch, dass das Land die Ressourcen dazu hat. "Deutschland hat finanziellen Spielraum und sollte ihn nutzen."
Die Kommission wünscht sich, dass die öffentlichen Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Forschung weiter erhöht würden, der Wettbewerb im Dienstleistungssektor belebt wird, indem beispielsweise Beschränkungen für Freiberufler gestrichen würden und im Bereich des Arbeitsmarktes solle die Bundesregierung dafür sorgen, dass die Menschen länger arbeiten und Geringverdiener weniger Steuern und Abgaben zahlen müssen. Und Deutschland solle auch etwas gegen seinen hohen Exportüberschuss tun. "Das ist keine Kritik, sondern nur eine Analyse", beschwichtigt Moscovici bei seinem Statement in Berlin aber sofort wieder.
Ratschläge für alle EU-Mitglieder
Die länderspezifischen Empfehlungen der EU-Kommission sind vor wenigen Tagen frisch herausgekommen. Diesmal, so Moscovici, habe man versucht, mit weniger Ratschlägen auszukommen, diese aber mehr zu fokussieren. Im Fall von Deutschland bedeutet das, dass nur noch drei, statt wie im Vorjahr vier, Bereiche moniert wurden. Fast alle der 28 Mitgliedsländer erhalten Empfehlungen - nur Griechenland und Zypern nicht, weil sie Gegenstand von groß angelegten Umstrukturierungsprogrammen sind. Die Ratschläge beziehen es sich vor allem auf den Umbau des Arbeitsmarktes und des Dienstleistungssektors, eine verantwortungsvolle Fiskalpolitik sowie eine Verbesserung der Beschäftigungspolitik und des sozialen Schutzes.
In ihrer Beurteilung der Lage in Europa freut sich die Kommission, dass die meisten Mitgliedsländer ihr Staatsdefizit unter Kontrolle gebracht haben. Das erste Mal seit 2008 sei man nun insgesamt gesehen unter einem Defizit von drei Prozent, unterstreicht der Wirtschaftskommissar. Acht Defizitverfahren liefen noch: Betroffen seien Spanien, Frankreich, Irland und Slowenien, während die Verfahren gegen Malta und Polen bald eingestellt werden sollten und Großbritannien eine Fristverlängerung bis 2016/17 bekommen werde. Finnlands Bilanz gäbe allerdings Anlass zu neuer Sorge.
Weiter Ringen um Griechenland
Pierre Moscovici hat sich viel vorgenommen für seinen Deutschlandbesuch: Nach einer Begegnung mit seinem "Freund und Kollegen" Wolfgang Schäuble geht es weiter zu einem Treffen mit Vertretern des Bundestages und danach zu einer Visite ins Kanzleramt. Später spricht Moscovici in Frankfurt mit EZB-Präsident Mario Draghi.
Natürlich geht es bei den Begegnungen nicht nur um die Vorschläge für ein wirtschaftskräftigeres Deutschland, sondern besonders um die brenzlige Situation mit Griechenland. "Die Zeit läuft uns davon", drängt Moscovici, weil das zweite Hilfsprogramm am 14. Juni ausläuft. Aber er verbreitet gleichzeitig Optimismus, dass es zu einer neuen Übereinkunft kommt. "Da hat sich in den vergangenen Wochen einiges getan und ich glaube, dass ein Abkommen möglich ist." Von einem Scheitern will er nichts wissen. "Es gibt nur ein Szenario und das ist ein starkes Griechenland in einer starken Eurozone."