Nur ein erster Schritt
12. Oktober 2009Der armenische Außenminister Edouard Nalbandian und sein türkischer Kollege Ahmet Davutoglu unterzeichneten am Samstagabend (10.10.2009) in Zürich ein Abkommen, das eine Öffnung der Grenze und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vorsieht. Die Außenminister Hilary Clinton (USA), Sergej Lawrow (Russland), Bernard Kouchner (Frankreich), Micheline Calmy-Rey (Schweiz) und EU-Chefdiplomat Javier Solana waren erleichtert und die Nachrichtenagenturen meldeten “große Zufriedenheit" aus Brüssel und Washington.
Berg-Karabach muss gelöst werden
Die viel gepriesene Annäherung ist zwischen der Türkei und Armenien jedoch noch nicht vollzogen. “Die dreistündige Verzögerung, mit der die Unterschriften unter die beiden wichtigen Protokolle gesetzt wurden, waren ein Zeichen dafür, dass noch längst nicht alle Probleme gelöst sind“, berichtete die liberale türkische Tageszeitung “Radikal“.
In der Tat steht die schwierigste Etappe der Türkei und Armenien noch bevor. Die beiden Schriftstücke, die von ihren Außenministern nach einer kurzfristigen Feuerwehrdiplomatie doch noch ratifiziert wurden, müssen nämlich noch die Parlamente in Ankara und Eriwan passieren, wo erheblicher Widerstand lauern wird.
In der Türkei könnte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Sache zwar mit der absoluten Mehrheit seiner konservativen AKP formal erledigen. Doch ein schlichtes “Durchpeitschen“ würde einen Sturm der Entrüstung entfachen. „Die Straße nach Eriwan führt durch Baku“, wie Murat Yetkin in seinem Artikel für die Zeitung “Radikal“ schreibt. Mit anderen Worten: Eine wirkliche Normalität mit Armenien kann aus türkischer Sicht nur dann eintreten, wenn das Problem Berg-Karabach gelöst wird.
Die Kaukasus-Enklave, in der mehrheitlich Armenier leben, wurde von Eriwan annektiert, obwohl sie völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehört. Die Türkei hat aber enge kulturelle und sprachliche Bindungen zu der aserbaidschanischen Bevölkerung. Dort wollen selbst viele gemäßigte Kräfte eine Normalität mit den Armeniern erst dann, wenn diese aus Berg-Karabach abziehen. Onur Öymen, der Vizeparteichef der türkischen Oppositionspartei CHP, bezeichnete die Vertragsunterzeichnung als “sehr beunruhigend für die Zukunft unseres Landes“.
Zeiten der Unsicherheit
Auch in Armenien ist deutliche Kritik zu vernehmen. So sagte ein führendes Mitglied der oppositionellen Partei des Kulturerbes der Nachrichtenagentur AFP: “Die unterzeichneten Protokolle bergen große Risiken“. Für sein Land beginne jetzt eine “Zeit der Unsicherheit“.
Viele Armenier befürchten nämlich, dass das Massaker in den Jahren 1915/1916 jetzt nicht angemessen verurteilt werden könnte. In den Verträgen wurde eine Historikerkommission beschlossen, die sich aus den Vertretern beider Länder zusammensetzen soll. Die Armenier sehen in dem Ereignis einen Völkermord. Bei den Greueltaten der Türken im ausgehenden Osmanischen Reich sollen bis zu 1,5 Millionen Armenier umgebracht worden sein. Bereits vor der Unterzeichnung protestierte vor allem die armenische Diaspora in den USA, Frankreich, Libanon und Russland gegen die Protokolle.
Autor: Ulrich Pick
Redaktion: Heidi Engels