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Nord Stream 2: Mit Tricks gegen US-Sanktionen

22. März 2021

Der russische Rohrleger "Akademik Cherskiy" soll die umstrittene Gas-Pipeline Nord Stream 2 fertigstellen - nachgerüstet mit EU-Technik. DW-Recherchen zeigen, wie sich die Russen an den US-Sanktionen vorbeimogeln.

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Das russische Verlegungsschiff "Akademik Tscherskiy"
Bild: Gazprom Flotte

"Jede Pipeline-Ausrüstung hat ihre Geschichte", so der Slogan auf der Internet-Seite der italienischen Firma Nuova Patavium. Dieses Motto trifft besonders auf die Ausrüstung der kleinen Firma aus einem Vorort von Padua zu, mit der kürzlich das russische Verlegungsschiff "Akademik Cherskiy" ausgestattet wurde. Eine Geschichte wie ein Wirtschaftskrimi. 

Ausrüstung für "Akademik Cherskiy"

Wenn der russische Rohrleger mit dem Namen ″Akademik Cherskiy″ Ende März seine Arbeit unweit von Rügen aufnimmt, steht das Schiff international im Fokus. Der Auftrag ist die Fertigstellung von Nord Stream 2, des zweiten Strangs der geopolitisch wohl umstrittensten Gaspipeline der Welt. 

Mit an Bord von "Cherskiy", das belegen DW-Recherchen, befindet sich modernste Technik für Präzisions-Rohrbearbeitung der Firma Nuova Patavium. Dies ist bemerkenswert, denn schließlich drohen jedem, der sich am Bau von Nord Stream 2 beteiligt, schmerzhafte US-Sanktionen. Gemäß dem US-amerikanischen Akt zur Abwehr russischen Einflusses in Europa und Asien, soll das Weiße Haus Unternehmen und Personen mit Sanktionen belegen, die Waren und Dienstleistungen für den Bau von Nord Stream 2 zur Verfügung stellen. Betroffen sind alle Lieferungen im Wert ab einer Million US-Dollar beziehungsweise fünf Millionen innerhalb eines Jahres.

Nord Stream 2 | Bauarbeiten Ostsee-Gaspipeline
Röhren für Nord Stream 2 im Hafen Mukran auf RügenBild: Stefan Sauer/dpa/picture alliance

Angesichts drohender Strafmaßnahmen Washingtons musste bereits Ende 2019 die Schweizer Firma Allseas ihren Rohrleger aus dem Projekt abziehen. "Cherskiy" begab sich Anfang 2020 auf die lange Reise aus dem Pazifik, um einzuspringen. Das Problem war: Dem russischen Rohrleger fehlten große Teile der Ausrüstung. Wie schafften es die Russen, das Schiff trotz US-Sanktionen nachzurüsten? 

Antworten liefern von der DW ausgewertete russische Zollunterlagen, die über die Datenbank ImportGenius abrufbar sind. Zwischen August und September 2020 lieferte die Eigentümerin von "Cherskiy" - die Firma STIF, eine kleine russische Regionaltochter von "Gazprom" - Ausrüstung aus Italien und den Niederlanden für den Rohrverleger im Wert von circa zehn Millionen Euro. Lieferort: Hafen von Mukran auf Rügen - der Stützpunk des Baus von Nord Stream 2.

Tricks im Schatten der Weltpolitik

Allein am 12. September gingen Rohrbearbeitungsanlagen mit hydraulischen Antrieben von Nuova Patavium zum Preis von 1,1 Millionen US-Dollar von Russland nach Deutschland, so die Zollunterlagen. Eine für US-Behörden durchaus sanktionsrelevante Summe. Doch nach Russland, so die Daten des russischen Zolls, kam diese Ausrüstung zuvor in zwei Einzellieferungen mit mehreren Monaten Abstand. Ausgewiesener Preis: weniger als 200.000 US-Dollar pro Lieferung. Die Nachfrage der DW nach dem Grund für diesen Preisunterschied ließen die Italiener unbeantwortet.

Ab Juli 2020, als die US-Sanktionen verschärft und präzisiert wurden, werden die Lieferketten noch unübersichtlicher. Seitdem hat die italienische Firma auf dem Papier mit der Eigentümerin von "Cherskiy" keine Geschäfte mehr getätigt. Der neue Abnehmer der Ausrüstung ist die Firma "Sistema SPB". Das Unternehmen aus Sankt-Petersburg mit seinen lediglich drei Mitarbeitern gibt Rätsel auf. Es ist innerhalb weniger Jahre mehrmals umgezogen, änderte immer wieder ihr Geschäftsfeld und sogar die Nummer im Firmenregister. Aus einigen wenigen Spuren von "Sistema SPB" kann man sich keinen Reim machen. Aus amtlichen Quellen ist lediglich bekannt, dass sie eine staatliche Lizenz für die Installation von Feuermeldern in Gebäuden hat sowie unbezahlte Schulden beim Verband der Erdöl- und Erdgaserkundungsunternehmen. 

Neben Nuova Patavium, so die Datenbank des russischen Zolls, kaufte die Briefkastenfirma aus Sankt-Petersburg Ausrüstung für den Rohrleger "Akademik Cherskiy" bei einer weiteren Firma aus Italien - Opus S.R.L. Diese lieferte beispielsweise am 25. August 2020 pneumatische Schweißköpfe mit automatischer Positionierung an die russische "Sistema SPB". Zwei Wochen später ging die Ausrüstung weiter in den Hafen von Mukran, und zwar als Eigentum der "Gazprom"-Tochter STIF. Auffällig: Beim Reexport aus Russland nach Deutschland kostete die italienische Ausrüstung bereits 1,2 Millionen US-Dollar - zehnmal mehr, als dem Zoll bei der Ausfuhr aus Italien gemeldet wurden. Auch Opus S.R.L. reagiert auf Anfrage nicht.

Niederländer wissen von nichts

Überrascht zeigt sich stattdessen der Hersteller Vermaat Technics B.V. aus den Niederlanden. Dessen modernes computergesteuertes Orbital-Schweißgerät Veraweld Torch System D. wurde, das belegen russische Zollunterlagen, von der Gazprom-Tochter STIF für die "Akademik Cherskiy" nach Mukran geliefert. "Wir wissen nicht, was an Bord von 'Akademik Cherskiy' passiert", so die Firma in ihrer schriftlichen Stellungnahme - "wir haben keine Ausrüstung geliefert, um Nord Stream 2 fertigzustellen". Mit US-Sanktionen rechnen die Niederländer deshalb nicht.

Russland I Dänemark I Verlegeschiff Fortuna
Bauarbeiten an der Pipeline Nord Stream 2 in deutschen OstseegewässernBild: Dmitrij Leltschuk/Sputnik/dpa/picture alliance

Auf dem Papier hatte Vermaat Technics keine Geschäfte mit STIF. Die Schweißgeräte wurden nicht an die Gazprom-Tochter geliefert, sondern an die russische "Vermaat Service". "'Vermaat Service' ist keine Tochter von uns", betonen die Niederländer. Lieferten sie bis Juli 2020 noch direkt an "Vermaat Service", so haben sie seit der Verschärfung der US-Sanktionen formell überhaupt keine Geschäfte mehr mit Russland.

Stattdessen übernahm die Firma BHS International B.V. weitere Lieferungen. Von dieser Firma gibt es nur einen Briefkasten in einem Dorf in Südostholland und eine nicht funktionierende Internetseite. Die Internetdomäne der Seite ist auf eine russische Firma registriert. Diese Firma hat den gleichen Gesellschafter wie die russische "Vermaat Service". "Wir wissen nichts davon, dass unsere Technik aus Russland nach Deutschland weitergeleitet wurde", so Vermaat Technics. Insgesamt bekam die "Akademik Cherskiy" Ausrüstung aus den Niederlanden im Wert von knapp fünf Millionen US-Dollar.

"Das schützt nicht vor Sanktionen"

Umwege und Mittelsmänner, Briefkastenfirmen und Widersprüche bei Preisangaben - ist die US-Regierung so einfach hinters Licht zu führen? Dem widerspricht der langjährige US-Diplomat Daniel Fried. "Scheinfirmen in die Lieferketten zwischenzuschalten - das hilft nichts. Das ist trotzdem ein Verstoß. Das ist riskant und schützt nicht vor Sanktionen", so Fried im Gespräch mit der DW. Von 2014 bis 2017 war er Koordinator für Russland-Sanktionen im US State Department. Dass die Europäer nun tatsächlich von den USA mit Sanktionen belegt werden, steht aber keineswegs fest. Es gilt für Washington, politische Risiken abzuwägen, so der Ex-Diplomat. "Sanktionen sind teuer. Auf jegliche Sanktionen können Gegensanktionen folgen", gibt Daniel Fried zu bedenken.

Nikos Tsafos von Zentrum für strategische und internationale Studien in Washington glaubt nicht, dass europäische Firmen etwas zu befürchten haben. "Die USA sind nicht bereit, alles Erdenkliche zu tun, um Nord Stream 2 zu stoppen. Ich glaube, es gibt eine rote Linie für Washington. Es geht darum, das Verhältnis zu Europa nicht zu stark zu belasten", analysiert Tsafos. Allen Sanktionsdrohungen zum Trotz glaubt der Experte, dass in Washington ein Auge zugedrückt werde, um den Bogen mit Europa nicht zu überspannen und Raum für einen Kompromiss zu lassen.

Viel Zeit für einen solchenKompromiss rund um Nord Stream 2 bleibt den Beteiligten nicht. Bis September soll "Akademik Cherskiy" mit der Verlegung fertig werden. Dank der Nachrüstung mit modernster europäischer Technik kann der russische Rohrleger doppelt so schnell verlegen wie das kleinere Schiff "Fortuna", das bisher südlich der dänischen Insel Bornholm am Werk ist.