Wagner: "Beethovenfest sucht die Klassik-Hörer der Zukunft"
3. September 2015DW: Nach dem Scheitern von Plänen für ein neues Festspielhaus in Bonn stellen einige Beobachter wenig Interesse für klassische Musik in der allgemeinen Bevölkerung fest. Ist das Genre zu elitär geworden - und deshalb für den Steuerzahler wenig relevant?
Wir müssen uns fragen: Wo sind die Hörer der Zukunft für die Klassische Musik? Einerseits beobachten wir einen Anstieg von spektakulären modernen Konzerthallen: Nehmen Sie nur die neue Philharmonie in Paris! Oder die Wünsche in München! Das Klassik-Publikum scheint also nicht auszusterben. Da sich die meisten Veranstalter wirtschaftlich aber gezwungen sehen, mehr und mehr auf "Klassik-Events" zu setzen und auf die immergleichen Stars, ändert sich der Charakter des Klassik-Publikums. Aus den "Kennern" früherer Zeiten werden die Konsumenten. Die passen aber eher in den Mainstream, in die populären Riesenveranstaltungen Pop, Rock, Unterhaltung. Die Klassik im weitesten Sinne war aber für ein kleines Publikum geschrieben und gedacht. Eine paradoxe Entwicklung - wobei aber auch die schönsten und "elitärsten" Werke unter die Leute kommen.
Apropos Kennerpublikum - damit kommen wir zum Motto des diesjährigen Beethovenfests "Veränderungen", das im musikalischen Sinne "Variationen" heißt. Etwas Musikalisches also, das dem Ohr schmeichelt, weil man es kennt. Gehirnforscher wissen, warum das so funktioniert. Gleichzeitig gibt es im Programm einiges an Neuer Musik. Was macht man, um diese Neue Musik greifbarer zu machen, damit sie für das Ohr leichter konsumierbar wird?
Auch Beethoven war einmal Neue Musik, auch Wagner! Ich bin Gott sei Dank früh in die Zirkel der zeitgenössischen Musik gekommen und empfinde es als selbstverständlich, dass die Musikgeschichte weiterläuft. Das Ohr ist aber ein konservatives Organ, und das Publikum muss listig an die Gegenwart herangeführt werden. Dafür gibt es gewisse Programmiertechniken, etwa die Sandwich-Technik, in dem das voraussichtlich "schwierige" neue Werk zwischen zwei ultrabekannte geschoben wird, zwischen zwei Tortenschichten sozusagen. Eine andere Methode ist die beharrliche Vermittlung: viel darüber reden, überzeugen, werben.Ich habe einem der besten europäischen Komponisten - dem Italiener Salvatore Sciarrino - einen Kompositionsauftrag gegeben mit der Auflage, sich auf ein Beethovenwerk zu beziehen. Sciarrino arbeitet mit Subtilitäten, Klangfarben, Stille, mit theatralischen Aspekten, und er hat sich Beethovens "Chorfantasie" als Referenzwerk ausgesucht. Zum Konzept gehört auch, da sehen Sie meine kleine pädagogische Ader, dass das neue Werk zweimal gespielt wird. Da kann man den ersten Höreindruck sortieren, rekapitulieren.
Die DW wird das Konzert verbreiten. Dazu gehören unsere Hörfunkproduktionen, die von Partnersendern übernommen und örtlich ausgestrahlt werden. Wir übertragen Beethoven also auch dorthin, wo er vielleicht weniger bekannt ist. Welches Verhältnis haben Sie zum Radio? Nutzen Sie es, um Musik zu hören?
Ich liebe das Radio. Ich drehe es oft gewohnheitsmäßig oder zerstreut auf - und bleibe dann hängen. Höre plötzlich Stücke oder Interpretationen, die mich faszinieren, lerne so über die Wortbeiträge oder guten Features auch nebenbei was. Möge die Radiokultur erhalten bleiben! Ich weiß von sehr vielen Menschen, dass sie nur im Auto Radio hören, dort können sie nicht fernsehen. Auch gut! Last Exit für das Radio ist das Autoradio. Die "Eroica" im Stau, ist doch großartig!
Beethoven hätte es allerdings für eine Frechheit gehalten, wenn man ihn hätte leiser drehen können! Ist die mediale Verbreitung für Sie als Intendantin des Beethovenfests ein großes Anliegen?
Selbstverständlich - und bitte auf möglichst vielen Medien, auf allen Kanälen! Die Kooperation durch Mitschnitte, durch alle Formen der Übertragung bis hin zu Streaming und Podcast, ist unentbehrlich für die geplagten Klassik-Veranstalter. Die Welt ist vernetzt, und es soll ja nicht nur die NSA davon profitieren!
Haben Sie für uns weitere Empfehlungen aus der kommenden Saison: Konzerte, die wir nicht verpassen dürfen?
Ich habe eine ganz besondere Empfehlung. Eines meiner Lieblingsensembles kommt für drei Konzerte nach Bonn - Anima Eterna aus Brügge unter der Leitung von Jos van Immerseel. Das ist ein Orchester, das sich auf den Originalklang spezialisiert hat. Es ist ein durchsichtiger Beethoven, etwas härter im Klang. Man kommt gar nicht auf die Idee, dass Beethoven einmal als "Titan" gefeiert wurde. Man hört eine wunderbar klare, scharfe, durchgeatmete Musik.
Wohin möchten Sie mit dem Festival in fünf Jahren kommen? Was ist Ihre Vision?
Mein Traum wäre, dass das Publikum bis dahin Vertrauen ins Beethovenfest gefasst hätte, Vertrauen ins Programm. Dass man sagt: "Ich kenne den Interpreten, den Komponisten zwar nicht, aber ich gehe mal hin. Die Frau Wagner hat's bis jetzt ganz gut gemacht, ich bin nie enttäuscht worden: Probieren wir's doch heute wieder!" Ich wäre glücklich, wenn hier ein neugieriger und aufgeschlossener Geist wehte, hier in Bonn und in der Region - wie in all jenen Städten dieser Welt, die sich Ungewöhnliches leisten wollen.