Niederlande: Einfluss der Populisten wächst
22. Februar 2017Ein kalter Wind fegt über den "Binnenhof", einen Gebäudekomplex aus dem 13. Jahrhundert, der das Parlament beherbergt. Ein paar Regierungsbeamte essen an einem Kiosk vor dem Innenhof Hering-Sandwiches, niederländische und ausländische Touristen spazieren über das Kopfsteinpflaster und machen Fotos.
In weniger als einem Monat, am 15. März, wird in den Niederlanden ein neues Parlament gewählt. Derzeit führt die populistische "Partei für Freiheit" (PVV) mit rund 17 Prozent die Umfragen an, dicht gefolgt von den Liberalen (VVD). PVV-Chef Geert Wilders hat vor dem Hintergrund des Wahlsiegs von Trump, des Brexits und der wachsenden populistischen Anti-Einwanderungsbewegung in Europa bereits von einem "patriotischen Frühling" gesprochen.
"Es ist beängstigend", findet Marleen Breuker. Die 62-Jährige arbeitet im Bildungsbereich und macht mit ihrer Familie einen Tagesausflug nach Den Haag. "Ich hoffe, die Umfragen sind falsch," sagt sie, und fügt hinzu, dass sie immer die Grünen wähle.
Der niederländische Trump
Geert Wilders, der unter anderem wegen seiner markanten Frisur der "niederländische Trump" genannt wird, steht seinem Vorbild aus den USA in nichts nach, wenn es um den Wahlkampf geht und darum, seine persönliche Interpretation der Nachrichtenlage auf Twitter zu verbreiten.
"Einen direkten Vorteil hat er dadurch vielleicht nicht", sagt Sarah Lange, Professorin an der Universität Amsterdam. In ihrer Doktorarbeit hat sie sich mit rechtspopulistischen Parteien in Westeuropa beschäftigt. "Aber dieses Vorgehen generiert viel Medienaufmerksamkeit. Wilders hat so die Möglichkeit, den Wählern immer wieder seine Ideen zu vermitteln."
Auch Chris Aalberts von der Erasmus Universität in Rotterdam hat sich auf Populismus spezialisiert. Er ist nicht der Meinung, dass Wilders viel von anderen kopiert. Das Parteiprogramm der PVV sei nur eine Seite lang, sagt er. "Es ist sehr konsequent. Er wiederholt immer wieder das Gleiche." Trotzdem glaubt Aalberts, dass politische Maßnahmen von Donald Trump wie etwa das umstrittene Einreiseverbot für Menschen aus muslimisch geprägten Ländern Wilders in die Hände spielen: "Er kann sagen: 'Schaut, jemand anderes macht das auch.'"
2012 hat Aalberts ein Buch über PVV-Wähler geschrieben. Inzwischen sei es kein so großes Tabu mehr, zu sagen, dass man diese Partei wählt - obwohl es viele Menschen in der Bildungsschicht verschwiegen, um ihre Karriere nicht zu gefährden.
Raymon (27), der seinen Nachnamen nicht nennen möchte, wählte Wilders bei den Wahlen 2012. Nach einem Wochenende in Den Haag mit seiner Freundin wollen jetzt beide wieder nach Hause in den Osten des Landes fahren, wo Raymon mit Demenzkranken arbeitet. Er freut sich, dass Wilders mehr Geld in das Gesundheitssystem investieren will, findet aber kaum etwas anderes ansprechend.
"Wilders unterstützt jetzt Trump und will, dass wir aus der EU austreten. Das ist nicht mehr meine Partei", sagt er. "Außerdem haben so gut wie alle Parteien eine Koalition mit Wilders ausgeschlossen. Was nützt es dann noch, ihn zu wählen?"
Auch Ministerpräsident Mark Rutte von der Liberalen Partei (VVD) hat nicht noch einmal vor, mit der PVV zu koalieren. 2010 unterstützte sie ihn in einer Minderheitsregierung. Chris Aalberts warnt aber davor, den Ankündigungen Ruttes zu trauen. "Sein Versprechen ist natürlich nichts wert", sagt er. "Die Umstände können sich immer ändern." Aalberts glaubt trotzdem nicht, dass die PVV im nächsten Kabinett sitzen wird, weil sie "unfähig" sei.
"Gefährlich" und "zu extrem"
Raymons Freundin Loes Hammerstein studiert Sozialwissenschaft. Sie werde wahrscheinlich die sozialistische Partei (SP) wählen, sagt sie. "Ich interessiere mich nicht wirklich für Politik", erklärt die 22-Jährige, aber sie wisse, dass sie gegen Wilders sei. "Mir gefällt nicht, wie er über Muslime und Flüchtlinge redet."
"In unserer Stadt gibt es nicht so viele von ihnen", unterbricht Raymon, "aber wenn man in Amsterdam rumläuft, kann ich schon verstehen, dass es einigen Leuten zu viel ist. Aber ich stimme zu, dass Wilders ein wenig gefährlich geworden ist - zu extrem."
Nach Informationen des Wahlforschungsinstituts "I&O Research" sind 77 Prozent der Wähler in den Niederlanden noch unentschlossen. Eine gemeinsame Untersuchung der Tageszeitung "De Volkskrant" und der Universität Amsterdam hat ergeben, dass ein Fünftel der Wähler, die sonst nicht die VVD wählen würden, in Betracht ziehen, ihnen aus "strategischen Gründen" ihre Stimme zu geben, um einen Sieg der PVV zu verhindern.
Politischer Selbstmord
Marianne Maarschalkerweerd, 70, hat bisher immer die niederländischen Christdemokraten gewählt. Jetzt tendiert sie zu 50Plus, einer Partei, die die Interessen von Rentnern vertreten will. Maaschalkerweerd hat ihre Zweifel, ob die Prognosen stimmen. "Es heißt, jetzt sei es eine Entscheidung zwischen Wilders und Rutte, aber das halte ich für Medienpropaganda." Sie glaubt, dass die PVV viele Sitze im Parlament bekommen wird, und findet das "verständlich", denn die anderen Parteien hätten "zu viele Versprechen gemacht, die sie nicht eingehalten haben. Ich spreche nicht gerne über Flüchtlinge, aber ich möchte nicht, dass diese ganzen jungen Männer hierher kommen, und ich denke, es muss einen strengeren Ansatz geben."
Laut den Wissenschaftlern De Lange und Aalberts haben die meisten gemäßigten Parteien in Sachen Einwanderung, Islam und EU einige Streitpunkte der PVV übernommen. So hat Rutte vor kurzem in den großen Zeitungen einen offenen Brief veröffentlicht. Wer nicht bereit sei, sich "normal" zu verhalten und die niederländische Kultur zu akzeptieren, solle das Land verlassen, heißt es darin. "Es wäre politischer Selbstmord, sich der PVV inhaltlich jetzt nicht anzunähern", sagt Aalberts. De Lange fasst zusammen: "Egal, wie viele Sitze Wilders gewinnt und ob er Teil der Regierung sein wird: Sein Einfluss wird spürbar sein."