1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Nichts als die Wahrheit?

Oliver Samson24. März 2003

Kurz bevor US-Präsident George W. Bush seinen Truppen den Angriffsbefehl auf den Irak gab, hatte er vom "moment of truth" gesprochen. Doch momentan scheint kaum etwas schwerer zu bekommen zu sein, als die Wahrheit.

https://p.dw.com/p/3QBP
"Eingebetteter" Journalist an Bord eines FlugzeugträgersBild: ap

Es heißt, dass Saddam Hussein möglicherweise mehrere Doppelgänger habe. Möglicherweise. Vielleicht ist auch eines dieser Double nach dem ersten Luftangriff am Donnerstag (20.3.2003) im irakischen Fernsehen aufgetreten. Vielleicht war es auch Saddam selbst. Vielleicht war es auch eine Aufzeichnung. Kümmerliche Nachrichten beherrschen in den ersten Tagen des Krieges die Berichterstattung aus dem Irak.

Nachrichten, die normalerweise von keinem seriösen Journalisten publiziert werden würden - und die dann auch noch von einer ganzen Heerschar von Experten hin und her gewendet, bis zum letzten Tröpfchen vermuteter Wahrheit ausgequetscht werden. Es wirkt mitunter hilflos, tatsächlich gibt es aber keine Alternative. In den Sondersendungen im Fernsehen wirkt es zuweilen, als könne man dem Entstehen der Nachricht live zuschauen. Zyniker könnten behaupten, dies sei zumindest ehrlicher, als die Versuche vorzugaukeln, man wisse genau Bescheid.

Materialschlacht - auch in den Medien

US-Militär nahe der irakischen Stadt Basra
Immer live dabei?Bild: AP

"Alles, was wir wirklich wissen ist, dass einige Soldaten und irakische Zivilisten getötet wurden, und dass Teile Bagdads in Flammen stehen", schrieb die britische Zeitung "Independent on Sunday" am Sonntag (23.3.2003): "Die endlosen Fernsehübertragungen über den Krieg im Irak vermitteln einen missverständlichen Eindruck von Klarheit. (...) In Wahrheit wird ein großer Teil der Sendezeit mit Spekulationen und nebulösen Kriegsbildern gefüllt."

Es ist der erste Medienkrieg des 21. Jahrhunderts. Auch im Bereich der Medien ist der neue Golfkrieg eine Materialschlacht ohne Gleichen. Der US-Fernsehsender ABC spricht ohne Zahlen zu nennen vom "größten personellen und wirtschaftlichen Einsatz" in seiner Geschichte. Der amerikanische Nachrichtensender CNN hat nach eigenen Angaben schon im Vorfeld des Krieges 30 Millionen Dollar ausgegeben. Hunderte von Journalisten können mit immer leistungsstärkerer und beweglicherer Technik von praktisch überall in Bild und Ton berichten.

Kampfhandlungen - quasi in Echtzeit

Noch bevor das Ultimatum von US-Präsident George Bush abgelaufen war, gab es die ersten Berichte über Kampfhandlungen und Luftwaffeneinsätze im Südirak - quasi in Echtzeit. Doch am grundlegenden Interessenkonflikt zwischen Militär und Medien kann auch der größte Aufwand nicht rühren: Die Militärs wollen den Erfolg ihrer Aktionen nicht durch Berichterstattung gefährden, die an Objektivität interessierten Medien nicht mit geschönten Bildern abgespeist werden.

Die Schlacht um das richtige Bild, den richtigen Text war schon längst im Gange, bevor die erste Bombe fiel. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie genau es die Propagandisten des Diktators Saddam mit der Wahrheit nehmen. Und auch Bush junior hat seit langem die Notwendigkeit erkannt, dass der Krieg eine guten Öffentlichkeitsarbeit braucht, wenn sich die Meinung der Weltöffentlichkeit nicht vollends gegen den Militärschlag wenden soll.

"Eingebettete Korrespondenten"

Die Rahmenbedingungen der Berichterstattung unterscheiden sich elementar von denen des Golfkrieges 1991. Damals wurden Journalisten möglichst von den Kampfgebieten ferngehalten. Information fand vor allem in "Briefings" - Besprechungen - der damaligen Alliierten mit den Pressevertretern statt. Dabei sollten abstrakte Videos und Bilder von Bombeneinschlägen präzise Zerstörung simulieren. Dazu kamen Bilder von nächtlichen Luftangriffen auf die irakische Hauptstadt in grünem Licht: die Berichte der in Bagdad verbliebenen CNN-Reporter gingen damals um die Welt und begründeten die weltweite Vormachtstellung des Nachrichtensenders.

Diesmal sollte bei der Kriegsberichterstattung ein neuer Geist der Offenheit wehen. "Embedding" - einbetten - heißt die neue Strategie des Verteidigungsministeriums: Journalisten werden dabei einer Truppeneinheit zugewiesen, die sie über einen bestimmten Zeitraum begleiten. Mehr als 500 Journalisten wurden so in den Truppenaufmarsch eingebettet. Sie mussten eine 50 Punkte umfassende Vereinbarung unterzeichnen, welche die Berichterstattung en detail festlegen. "In letzter Instanz entscheiden die Kommandanten der Einheiten, ob und welche Informationen als vertraulich oder nicht vertraulich eingestuft werden", kritisiert jedoch die Journalistenorganisation "Reporter ohne Grenzen".