"Nicht nur geboren, um zu leiden" – Malis Frauen zwischen Tradition und Moderne
Die alte Frau empfängt uns in ihrem Haus in einem belebten Viertel von Bamako, der Hauptstadt Malis. Neben ihrem Bett liegen zwei Packungen Rasierklingen, die eine davon ist fast leer. Früher, sagt sie, da habe man die Beschneidung mit Schmiedeeisen durchgeführt. Dabei seien aber Krankheiten übertragen worden. „Heute nehmen wir Klingen, eine pro Mädchen. Auch wenn es 100 Mädchen zu beschneiden gibt, nehmen sie für jedes Mädchen eine neue Klinge.“ Früher war es dasselbe Messer für alle.
Beschneidung ist reine Frauensache
Beschneidungen werden immer von Frauen an Frauen durchgeführt. Meistens sind die Mädchen da zwischen 6 und 14 Jahren alt. Zum Verheilen dienen Blätter eines traditionellen Baums, die auf die Wunde gelegt werden. Dennoch bleibt ein hohes gesundheitliches Risiko: Neben den starken Schmerzen sind häufig Infektionen und chronische Entzündungen der Harnwege die Folge, manchmal verläuft eine Beschneidung sogar tödlich. Aus diesem Grund haben mehrere Nachbarländer Malis – wie etwa der Senegal oder Burkina Faso – die Mädchenbeschneidung gesetzlich verboten. Für die Beschneiderinnen ist es jedoch ein lukratives Geschäft: Rund 7,50 Euro erhalten sie pro Eingriff – viel Geld für malische Verhältnisse. Dass dennoch so viele Mädchen beschnitten werden, hat seinen Grund, sagt Virginie Koné vom Verein zur Aufklärung von Genitalverstümmelung. Die einen betrachten es als Initiationsritus vom Mädchen zur Frau, andere praktizieren es aus religiösen Gründen. "Und es gibt Leute, die Vorurteile über die Klitoris haben. Sie denken, sie könne übergroß werden, sich verwandeln oder von bösen Geistern heimgesucht werden."
Keine freie Wahl des Ehemanns
In Mali regiert noch ein strenges Patriarchat. Als Kind muss das Mädchen ihrem Vater gehorchen und als erwachsene Frau ihrem Ehemann. Und erst dann gilt eine Frau als eine richtige Frau, wenn sie verheiratet ist. Das musste Mafing am eigenen Leib spüren: Mit 12 wurde sie von ihren Eltern zwangsverheiratet, erlebte ein Martyrium und floh zu ihrer Tante in die Hauptstadt Bamako. „Wenn so ein erwachsener Mann ein 13-jähriges Mädchen mit auf’s Zimmer nimmt, wie kannst du da erwarten, dass sich das Mädchen ihm nicht unterwirft? Er kann sie tot prügeln, mit ihr machen, was er will. Es ist eine totale Abhängigkeit“, weiß Nana Traoré von der Menschenrechtsorganisation „Association malienne des droits de l’Homme“. Offiziell dürfen Mädchen erst im Alter von 18 und Jungen ab 21 heiraten. Doch frühe Heirat ist in Mali nicht ungewöhnlich – sie kann für ärmere Familien eine (materielle) Bereicherung und eine (finanzielle) Entlastung bedeuten: Schließlich erhalten die Brauteltern oftmals viele Geschenke, denn die Braut zieht ja nun zur Familie des Bräutigams.
Rechte nur auf dem Papier
Immer stärker setzen sich Frauenorganisationen dafür ein, dass die Rechte der Frauen tatsächlich anerkannt werden. Sie leisten Aufklärungsarbeit für Frauen und Männer, sensibilisieren beide Geschlechter für Verhütungsmittel und Familienplanung und fordern eine gerechte Ausbildungschance für Frauen. 80% der malischen Frauen haben nie eine Schule besucht, können weder lesen noch schreiben. Welche Rechte sie haben, wissen sie nicht. Deshalb ist es bis zur Gleichberechtigung noch ein weiter Weg, befürchtet der Arzt Moussa Diallo aus Kati, einer ländlichen Kommune in der Nähe von Bamako: „Die Frauen sind Sklavinnen, den kulturellen Zwängen unterworfen. Schon die Alten wurden so erzogen, man hat ihnen eingetrichtert, dies und jenes sei gut und richtig so.“ Aber die Aufklärungsarbeit erntet bereits ihre ersten Früchte. Vor allem in den Städten werden Frauen immer selbstbewusster: So gibt es bereits zahlreiche Scheidungsfälle.
Autoren: Bakary Coulibaly, Mariam Doumbia und Sandrine Blanchard
Redaktion: Peter Koppen